Medizinisches Cannabis
Zeit:
Mittwoch, 20. März 2019,
15.30 Uhr
bis
17 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3 101
Gesundheitsexperten halten den Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen bei Therapien mit Medizinalcannabis für sinnvoll. Anlässlich einer Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Erwin Rüddel (CDU/CSU) zu dem Thema am Mittwoch, 20. März 2019, machten Mediziner wie auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) deutlich, dass ein Verzicht auf diese Regelung für die Ärzte mit zusätzlichen Risiken verbunden wäre. Zugleich plädierten einige Sachverständige dafür, rund zwei Jahre nach der Verabschiedung des Cannabisgesetzes die Regelungen für die Ausgabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken in einigen Punkten anzupassen. Die Sachverständigen äußerten sich auch in schriftlichen Stellungnahmen.
Gegenstand der Anhörung waren Gesetzentwürfe der Fraktion Die Linke (19/6196) und von Bündnis 90/Die Grünen (19/5862), in denen gefordert wird, den Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen zu streichen. Ferner verlangt die FDP-Fraktion in einem Antrag (19/4835), die Möglichkeit zu schaffen, Medizinalcannabis in Deutschland gezielt zum Export anzubauen. Die AfD-Fraktion fordert in einem Antrag (19/8278) eine wissenschaftliche Nutzenbewertung für Medizinalcannabis analog dem Arzneimittelrecht.
Gegen eine Streichung des Genehmigungsvorbehalts
Die Bundesärztekammer (BÄK) wandte sich gegen eine Streichung des Genehmigungsvorbehaltes. Cannabis in Form von Blüten und Extrakten sei nicht mit anderen Arzneimitteln zu vergleichen. So mangele es den Cannabisarzneien weiterhin an den nötigen wissenschaftlichen Wirkungsnachweisen sowie an dem Nachweis eines über bereits verfügbare Therapien liegenden Nutzens. Es handele sich auch angesichts der gebotenen Wirtschaftlichkeit um eine Ausnahmeverordnung, die eine Einzelfallgenehmigung durch die Krankenkassen rechtfertige.
Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) lehnte eine Aufhebung des Genehmigungsvorbehalts ab. Die jetzige Regelung erhöhe die Sicherheit für die Ärzte, da sich diese dann nicht gegenüber den Krankenkassen in Wirtschaftlichkeitsprüfungen rechtfertigen müssten, Cannabispräparate verordnet zu haben. Nachvollziehbar sei die Forderung, dass bei einem Wechsel der Cannabissorte zur optimalen Einstellung der Patienten keine erneute Genehmigung der Kassen erforderlich sei. Eine solche Neuregelung sei in einem kommenden Gesetzentwurf vorgesehen.
„Schutz der Patienten vor nicht ausreichenden Therapien“
Der GKV-Spitzenverband erklärte, angesichts der enttäuschenden Evidenzlage diene die nachrangige Versorgung mit Cannabisarzneimitteln dem Schutz der Patienten vor nicht ausreichenden Therapien. Mit der Vorabprüfung durch die Kassen könne auch sichergestellt werden, dass die Indikationsstellung des Vertragsarztes den gesetzlichen, medizinischen und im weiteren Sinn wirtschaftlichen Anforderungen gerecht werde.
Der Palliativmediziner Dr. Knud Gastmeier berichtete, die durch den Genehmigungsvorbehalt begründete hohe Ablehnungsrate sei in seiner Praxis belegbar und treffe insbesondere multimorbide geriatrische Schmerz- und Palliativpatienten. Ein Wegfall des Genehmigungsvorbehaltes ohne rechtliche Absicherung der Ärzte würde sich jedoch negativ auswirken. Daher sollte der Gesetzgeber die Wirtschaftlichkeitsprüfungen aussetzen, bis sich konsensfähige Therapiestandards entwickelt hätten.
„Cannabis auch für den Export vorsehen“
Mehrere Sachverständige befürworteten außerdem, in Deutschland produzierten Cannabis auch für den Export vorzusehen. Dies würde die Versorgungssicherheit erhöhen, argumentierte der Mediziner Jan P. Witte. Es sei absehbar, dass die zur Produktion ausgeschriebenen Mengen nicht ausreichten, um den inländischen Bedarf zu decken. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) könnte Lose für unterschiedliche Blütensorten in größeren Mengen vergeben. Das nicht benötigte Cannabis könnte dann auf dem internationalen Markt angeboten werden. Dadurch würde sich das wirtschaftliche Risiko durch Fehlbeschaffungen für den Staat markant verringern. Auch würden Anreize für Produzenten geschaffen, seltener nachgefragte Blüten anzubauen und eine höhere Auslastung zu erreichen, das könnte die Kosten drücken. Die Patienten würden profitieren, weil die für sie optimalen Blüten mit höherer Sicherheit und in ausreichender Menge verfügbar wären.
Wie der Sachverständige Werner Sipp in der Anhörung mit aktuellen Zahlen belegte, ist die Produktion von Medizinalcannabis international in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen. Hauptproduzenten seien das Vereinigte Königreich, Kanada und Israel.
„Veränderungen in der Praxis nicht angekommen“
Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) sind viele der gewünschten Veränderungen nicht in der Praxis angekommen. So erhielten immer noch zahlreiche Patienten keine Behandlung mit Cannabis, etwa, weil sie keinen Arzt fänden, der ihnen solche Medikamente verschreibe oder Lieferengpässe für Cannabisblüten eine konstante Therapie verhinderten. Auch lehnten Krankenkassen immer wieder eine Kostenübernahme ab, weil Erkrankungen nicht als schwerwiegend eingestuft würden. Dabei werde übersehen, dass nahezu alle Erkrankungen, bei denen Cannabismedizin nützlich sein könne, von leicht bis schwerwiegend eingeschätzt würden. Dieser Umstand sollte gesetzlich berücksichtigt werden.
Die Forderung, Medizinalcannabis wie andere Arzneimittel zu behandeln, sei im Ansatz richtig, aber rechtlich schwer umsetzbar, erklärte die ACM, denn Cannabis sei keine Heilpflanze wie jede andere. Auch seien Cannabisprodukte keine Medikamente wie alle anderen, da große klinische Studien für einige Indikationen nicht ausreichten, um das gesamte therapeutische Potenzial auszuschöpfen. Das Bundesverwaltungsgericht habe deutlich gemacht, dass der Zugang nicht grundsätzlich verweigert werden dürfe, auch wenn keine arzneimittelrechtliche Zulassung vorliege.
Die Deutsche Schmerzgesellschaft (DGSS) erklärte, es sei wichtig, Medizinalcannabis als therapeutische Alternative zu anderen Therapien nach den Grundsätzen der wissenschaftlichen und evidenzbasierten Medizin zu beurteilen. Allerdings sei die Studienlage nicht ausreichend. Klare Aussagen über die Wirksamkeit seien lediglich in Hinblick auf einzelne Indikationen möglich. Es zeige sich zudem bundesweit eine sehr unterschiedlich hohe und vielfach intransparente Ablehnungsquote durch die Krankenkassen. Daher sollten die Abläufe und Prüfkriterien überarbeitet werden.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag mit dem Titel „Verfahren im Arzneimittelmarktneuordungsgesetz zur Nutzenbewertung und Preisfindung anwenden, Anwendungssicherheit verbessern und Krankenkassen entlasten“ (19/8278) auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem sichergestellt wird, dass Medizinalcannabis dem mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz eingeführten Verfahren zur Nutzenbewertung und Preisfindung von Arzneimitteln unterzogen wird.
Zur Begründung heißt es, Medizinalcannabis sei kein Wundermittel. Ein Verfahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz würde diese Medizinalcannabis-Arzneimittel entmystifizieren, indem es den wirklichen Nutzen sowie die realen Risiken objektiviert und damit den Erstattungspreis senkt, schreibt die Fraktion. Die Arzneimittel würden für die Patienten, denen sie Nutzen bringen, auf dem Markt bleiben. Gleichzeitig würden durch Begrenzung des Einsatzes auf diese Fälle und durch die zeitgleiche Reduzierung der Erstattungspreise die Beitragszahler entlastet.
Antrag der FDP
Nach Ansicht der FDP-Fraktion sollte in Deutschland auch der Export von Medizinalcannabis ermöglicht werden. Bislang sei die Ausfuhr aus deutschem Anbau nicht vorgesehen, überschüssige Pflanzen müssten vernichtet werden, heißt es in ihrem Antrag.
Dabei böte der Export durchaus Chancen für die Landwirtschaft, die Industrie und den Handel, schreiben die Liberalen. Es müssten daher Möglichkeiten geschaffen werden, Medizinalcannabis zu exportieren und auch gezielt zum Export anzubauen.
Gesetzentwurf der Linken
Die Fraktion Die Linke fordert Nachbesserungen an dem Gesetz, das den Zugang zu Cannabis als Medizin regelt. Laut Gesetz sei eine Ablehnung des Kostenerstattungsantrags durch die Krankenkassen nur in Ausnahmefällen möglich. Die Zahlen zeigten jedoch, dass die Krankenkassen das Ausnahme-/Regelfallprinzip nicht befolgten und etliche Anträge abgelehnt würden.
Die Abgeordneten fordern in ihrem Gesetzentwurf, den Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen zu streichen. Damit würde Medizinalcannabis wie andere vom Arzt verschriebene Medikamente behandelt.
Gesetzentwurf der Grünen
Die Grünen-Fraktion will den Zugang zu Cannabis als Medizin für Patienten erleichtern. Der bisherige Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen habe sich in der Praxis nicht bewährt und müsse gestrichen werden, heißt es in ihrem Gesetzentwurf. Die jetzige Regelung könne dazu führen, dass die Linderung der Beschwerden von Patienten hinausgezögert oder gänzlich verhindert werde. Die Genehmigungsanträge seien mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden und führten aufgrund formaler Fehler häufig zu einer Ablehnung durch die Krankenkassen. Die laut Gesetz „nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnende Genehmigung der Krankenkasse“ werde in der Realität zu einer Ablehnung von etwa einem Drittel aller Anträge.
Den Ärzten werde die Therapie ihrer Patienten erheblich erschwert, schreiben die Grünen. Die Möglichkeit, eine passgenaue Medikation mit verschiedenen Cannabissorten in niedriger Dosierung zu finden, werde quasi verhindert, da nach Auskunft von Betroffenen für jede neue Erstverordnung ein weiteres Genehmigungsverfahren durchlaufen werden müsse. (pk/14.03.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
Verbände/Institutionen:
- Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e. V. (ACM)
- Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerkammern -Bundesapothekerkammer- (BAK)
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
- Bundesärztekammer (BÄK)
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
- Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI)
- Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA)
- Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V.
- Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e. V. (DMSG)
- Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. (DGSS)
- Deutsche Schmerzliga e. V.
- Deutscher Hanfverband (DHV)
- Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
- Selbsthilfenetzwerk Cannabis als Medizin (SCM) c/o Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e. V.
- Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV)
Einzelsachverständige:
- Erik Bodendieck, Sächsische Landesärztekammer (slaek)
- Dr. Knud Gastmeier
- Dr. Eva Milz (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie)
- Prof. Dr. Kirsten R. Müller-Vahl (Medizinische Hochschule Hannover, MHH)
- Werner Sipp (vorm. Präsident des Internationalen Suchtstoffkontrollrats der Vereinten Nationen, INCB)
- Jan P. Witte (Facharzt für Innere Medizin - Hämatologie und Onkologie)