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Ausschüsse

Rechtssicherheit für Schwerkranke

Zeit: Mittwoch, 20. Februar 2019, 14.30 Uhr bis 16 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3 101

Der Gesundheitsausschuss des Bundestages hat sich am Mittwoch, 20. Februar 2019, in einer Expertenanhörung unter der Leitung des Vorsitzenden Erwin Rüddel (CDU/CSU) mit Fragen der Sterbehilfe befasst. Dabei ging es um einen Antrag der FDP-Fraktion und die Frage, ob eine Behörde schwer kranken und sterbenswilligen Menschen den Zugang zu einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel verwehren darf. Gesundheits- und Rechtsexperten, die sich in der Anhörung am Mittwoch sowie in schriftlichen Stellungnahmen äußerten, sind hier unterschiedlicher Ansicht.

Derzeit sind beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrere Beschwerden gegen den nach der Sterbehilfedebatte im Bundestag 2015 neu eingeführten Strafrechtsparagrafen 217 anhängig, der eine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung verbietet. Ein Expertenrat lautete daher, vor einer gesetzlichen Änderung die Entscheidung des obersten Gerichts abzuwarten.

Antrag der Liberalen

Die FDP-Fraktion fordert in ihrem Antrag (19/4834) Rechtssicherheit für schwer kranke Menschen in extremen Notlagen. Für unheilbar kranke Patienten, die sterben wollten, müsse der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung ermöglicht werden. Im dem Zusammenhang müssten ,,Wertungswidersprüche im Wechselspiel mit Paragraf 217 StGB aufgelöst„ werden. Zudem sollte ein Bescheidungsverfahren für die Anträge Betroffener vorgesehen werden, das eine sachverständige ärztliche Beurteilung gegebenenfalls auch einer entsprechenden Kommission vorsehe und gewährleiste, dass die Anträge in angemessener Zeit bearbeitet würden.

Anlass für die Initiative ist eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) von März 2017. Das Gericht hatte mit Verweis auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Grundgesetz) festgestellt, dass dieses auch das Recht eines unheilbar kranken Patienten erfasse, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden solle, vorausgesetzt, er könne seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Das Recht sei dahingehend auszulegen, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung in einer extremen Notlage ausnahmsweise erlaubt sei.

Nichtanwendungserlass der Bundesregierung

Eine Notlage sei gegeben, wenn die unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen, verbunden sei und eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht zur Verfügung stehe. Die Bundesregierung wollte der Entscheidung jedoch nicht folgen und verfügte laut Presseberichten einen Nichtanwendungserlass für das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Im konkreten Fall ging es um eine Frau, die nach einem Unfall 2002 unter einer Querschnittslähmung litt und vom Hals abwärts gelähmt war. Die Frau musste künstlich beatmet werden, war auf ständige medizinische Hilfe und Pflege angewiesen und litt unter starken Schmerzen. 2004 beantragte die Frau beim BfArM die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels. Die Behörde lehnte den Antrag ab. 2005 reiste die Frau mit ihrem Mann in die Schweiz, wo sie sich mit Unterstützung eines Sterbehilfevereins das Leben nahm. Ihr Mann führte die juristische Auseinandersetzung weiter.

Ergänzung im Betäubungsmittelgesetz gefordert

Nach Ansicht des Strafrechtsexperten Prof. Dr. Helmut Frister könnte das Problem durch eine Ergänzung im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) gelöst werden. Dort könnte ausdrücklich geregelt werden, dass und unter welchen Voraussetzungen eine Verschreibung von Betäubungsmitteln für eine Selbsttötung zulässig sei.

Dabei sollte die Zulässigkeit nicht nur von einer extremen Notlage abhängen, sondern auch etwa von einer palliativmedizinischen Beratung des Betroffenen durch eine unabhängige Stelle. Eine Kommission könnte die extreme Notlage überprüfen. Das Problem, befand Frister, bedürfe schon aus formal rechtsstaatlichen Gründen einer Lösung.

Experte empfiehlt eine Rechtsbereinigung

Auch der Rechtstheoretiker Prof. Dr. Reinhard Merkel empfahl eine Rechtsbereinigung. Das BVerwG habe eine rechtlich wie ethisch rundum überzeugende Entscheidung getroffen. Der Gesetzgeber sollte diese Entscheidung bei einer Neuregelung nicht zum Schaden aller zurücknehmen, sondern ihr in Gesetzesform ausdrücklich und zweifelsfrei Geltung verschaffen.

Was die Möglichkeiten der Palliativmedizin betrifft, merkte Merkel an, Leid sei nicht dasselbe wie Schmerz und könne über dessen Präsenz und Wirkung weit hinausreichen.

Nichtanwendungserlass verletzt Rechtslage

Der Rettungsmediziner Michael de Ridder wertete den Nichtanwendungserlass des Ministeriums als eklatante Verletzung der Rechtslage. Zwar dürfe ein Arzt niemals zu einer Suizidbeihilfe genötigt werden. Einem aussichtslos erkrankten, leidenden Patienten dürfe jedoch die Erfüllung seines Wunsches nach ärztlicher Suizidhilfe mittels eines tödlich wirkenden Medikaments nicht verwehrt werden.

Die palliativmedizinische beziehungsweise Hospiz-Versorgung und die ärztliche Beihilfe zum Suizid schlössen einander grundsätzlich nicht aus. Unter Umständen sei die Suizidbeihilfe nicht nur gerechtfertigt, sondern auch geboten.

Ablehnung bei Ärzteverbänden

Ärzteverbände lehnen hingegen eine Beihilferolle ab. Die Bundesärztekammer (BÄK) erklärte: Ärzte leisten Hilfe beim Sterben, aber nicht zum Sterben. Es dürfe keine Option ärztlichen Handelns sein, in hoffnungslosen Lagen einem Patienten eine aktive Tötung zu empfehlen oder daran mitzuwirken.

Menschliche Extremnotlagen könnten nicht mit einem behördlichen Verwaltungsakt gelöst werden. Die palliativmedizinische Versorgung biete eine zumutbare Alternative zu einer Erlaubnis für den Erwerb einer tödlichen Betäubungsmitteldosis zur Selbsttötung. Ein Bescheidungsverfahren, das den Betroffenen ein tödliches Betäubungsmittel beschaffen würde, konterkariere eine palliativmedizinische Begleitung.

Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung

Auch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) wandte sich gegen die Bereitstellung von Betäubungsmitteln zum Zwecke des Suizids. Mit der verbesserten Hospiz- und Palliativversorgung sei fast immer eine Minderung der Leiden möglich. Zudem bestünde die Gefahr, dass eine Begrenzung auf extreme Ausnahmesituationen nicht möglich sei, da die vom Gericht genannten Vorbedingungen nicht präzise eingegrenzt würden.

Außerdem könnte eine staatliche Pflicht zur Assistenz beim Suizid geschaffen werden. Mehrere Palliativmediziner berichteten in der Anhörung, die Medizin könne auch extremes Leiden sehr erfolgreich lindern, viele Menschen wüssten gar nicht, was an Hilfe möglich sei. Bei manchen Patienten ändere sich mit der erfolgreichen Palliativbehandlung der Wunsch nach Sterbehilfe auch plötzlich wieder.

Warnung vor Normalisierung des Suizids

Das Kommissariat der Deutschen Bischöfe sieht keine Notwendigkeit für eine Anpassung der Rechtslage und erinnerte daran, dass der Bundestag 2015 die gesetzlich regulierte Gewährung von Optionen zur Realisierung von Suizidwünschen verworfen habe. Das Parlament sei mehrheitlich der Überzeugung gewesen, dass die Schaffung, Etablierung und Legitimierung von Angeboten der Hilfe zur Selbsttötung zu einer Normalisierung und Professionalisierung der Lebensbeendigung durch Suizid führen würde. Ein behördliches Verfahren zur Umsetzung von Suizidwünschen würde die Gefahr beinhalten, dass sich Menschen unter Druck gesetzt fühlen könnten, von solchen staatlich legitimierten Optionen Gebrauch zu machen.

Auch die Ethikerin Sigrid Graumann warnte in der Anhörung, aus extremen Notfällen könnten sich Routinen entwickeln und ein erlaubter Normalfall. Von einer gesetzlichen Regelung würde vermutlich ein Sog ausgehen und ein Zwang zur Entscheidung. Sie plädierte dafür, die Palliativversorgung weiter zu verbessern. (pk/20.02.2019)

Liste der geladenen Sachverständigen

Verbände/Institutionen:

  • Bundesärztekammer (BÄK)
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
  • Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V. (DGHS)
  • Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. (DGP)
  • Deutscher Ethikrat
  • Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V. (DHPV)
  • Deutscher Richterbund, Bund der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte e. V. (DRB)
  • Kommissariat der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin

Einzelsachverständige:

  • Prof. Dr. Steffen Augsberg (Universität Gießen)
  • Prof. Dr. Helmut Frister (Universität Düsseldorf)
  • Prof. Dr. Reinhard Merkel (Universität Hamburg)
  • Prof. Robert Roßbruch (Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes)
  • Dr. Thomas Sitte (Deutsche PalliativStiftung)

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