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Gesundheit

Heftige Kritik an der geplanten Pflegereform

Zeit: Montag, 7. Juni 2021, 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 300

Die von der Koalition geplanten Neuregelungen in der Pflege werden von Fachverbänden zum Teil heftig kritisiert und als nicht nachhaltig bewertet. Vermisst wird eine langfristige strukturelle und finanzielle Absicherung der Pflege. Das ergab eine Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Erwin Rüddel (CDU/CSU) zu Änderungsanträgen von CDU/CSU und SPD zum Entwurf für das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (19/26822, 19/27214) und zu Anträgen der Linken (19/24448) und von Bündnis 90/Die Grünen (19/14827) am Montag, 7. Juni 2021. Die Sachverständigen äußerten sich in schriftlichen Stellungnahmen. Das Gesetz soll am 10. Juni vom Bundestag verabschiedet werden.

Koalitionsvorschläge zur Pflegereform

Die Neuregelungen sollen dazu beitragen, Pflegekräfte besser zu bezahlen und zugleich Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zu entlasten. Die Koalition will dazu den Beitragszuschlag für Kinderlose ab dem vollendeten 23. Lebensjahr in der gesetzlichen Pflegeversicherung von 0,25 Prozent des Bruttogehalts um 0,1 Punkte auf 0,35 Prozent anheben. Auch soll sich der Bund ab 2022 jährlich mit einer Milliarde Euro an den Aufwendungen der sozialen Pflegeversicherung beteiligen.

Ferner ist geplant, dass ab September 2022 Versorgungsverträge nur noch mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden dürfen, die ihren Pflegekräften einen Lohn zahlen, der in Tarifverträgen oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen vereinbart worden ist, an die die Pflegeeinrichtungen gebunden sind. Mit Pflegeeinrichtungen, die nicht an Tarifverträge oder kirchliche Arbeitsrechtsregelungen gebunden sind, dürfen Versorgungsverträge nur noch abgeschlossen werden, wenn diese ihre Pflegekräfte nicht untertariflich bezahlen.

Geringerer Eigenanteil an der Pflegevergütung

Um vollstationär versorgte Pflegebedürftige finanziell nicht zu überfordern, soll ihr Eigenanteil an der Pflegevergütung schrittweise verringert werden. In den Pflegegraden 2 bis 5 soll er sich durch einen von der Pflegekasse zu zahlenden Leistungszuschlag um fünf Prozent in den ersten zwölf Monaten, nach einem Jahr um 25 Prozent, nach zwei Jahren um 45 Prozent und nach drei Jahren um 70 Prozent reduzieren.

Geplant ist ferner ein neuer Anspruch auf Übergangspflege im Krankenhaus. Voraussetzung ist, dass nach einer Krankenhausbehandlung erforderliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege, der Kurzzeitpflege, der medizinischen Rehabilitation oder weitere Pflegeleistungen nur unter erheblichem Aufwand sichergestellt werden können.

Mehr Verantwortung für qualifizierte Pflegefachkräfte

Qualifizierte Pflegefachkräfte sollen zudem mehr Verantwortung bekommen und innerhalb eines vertragsärztlich festgestellten Verordnungsrahmens für Leistungen der häuslichen Krankenpflege selbst über die erforderliche Häufigkeit und Dauer der Maßnahmen bestimmen können. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll dazu Rahmenvorgaben erarbeiten.

Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) soll sich künftig mit 640 Millionen Euro pro Jahr an den Kosten der medizinischen Behandlungspflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen beteiligen. Die Reform beinhaltet für 2022 schließlich auch einen ergänzenden Bundeszuschuss an die GKV in Höhe von sieben Milliarden Euro, um einen Anstieg der Zusatzbeiträge zu verhindern.

Beitragssatzerhöhung schon 2022 befürchtet

Der GKV-Spitzenverband erklärte, die Reform der sozialen Pflegeversicherung sei eine der am drängendsten sozial- und gesellschaftspolitischen Aufgaben. Allerdings seien die jetzt geplanten Änderungen nicht ausreichend, die Finanzierung nicht nachhaltig. Die nächste Bundesregierung werde eine Reformbaustelle gewaltigen Ausmaßes erben.

Mit den jetzt vorgesehenen Regelungen werde sich die kritische Finanzlage weiter zuspitzen und voraussichtlich schon 2022 zu einer Beitragssatzerhöhung führen. In der Pflegeversicherung müsse 2022 mit einem Defizit von mehr als zwei Milliarden Euro gerechnet werden.

„Pflegepaket nicht ausreichend gegenfinanziert“

Die Entlastung der Pflegebedürftigen von den Eigenanteilen ist aus Sicht der GKV dringend erforderlich, zumal diese zwischen 2017 und 2020 im Schnitt um mehr als 50 Prozent gestiegen seien. Allerdings würden künftige Kostensteigerungen durch höhere Entlohnung und mehr Personal nicht berücksichtigt.

Das Pflegepaket sei insgesamt nicht ausreichend gegenfinanziert, ein Teil der Gegenfinanzierung basiere aus dem Verzicht auf die Dynamisierung der Leistungsbeträge. Für 2021 werde der Bedarf für einen Bundeszuschuss bei mehr als drei Milliarden Euro gesehen, um höhere Beiträge 2022 zu vermeiden.

„Über Finanzierungsreform der Pflege nachdenken“

Ähnlich kritisch äußerte sich der Sozialverband VdK, der von einer unausgegorenen Reform sprach. Durch die mangelnde Gegenfinanzierung landeten die Kosten am Ende bei den Pflegebedürftigen. Für die soziale Pflegeversicherung fielen 2022 mit der Reform 3,14 Milliarden Euro Mehrkosten an, für 2023 bereits 3,66 Milliarden Euro. Auf der Einnahmeseite stünden eine Milliarde Bundeszuschuss und 0,4 Milliarden Euro aus dem Zuschlag für Kinderlose.

Zusätzlich werde mit Einsparungen in Milliardenhöhe durch die Aussetzung der Leistungsdynamisierung getrickst, monierte der VdK. Die Gesamtkosten des Pflegepakets lägen geschätzt bei sechs Milliarden Euro, nur 1,4 Milliarden Euro seien solide gegenfinanziert, 1,8 Milliarden Euro stammten aus einer Umwidmung verplanter Gelder. Angesichts dieser Unterdeckung sei es Zeit, über eine tiefgehende Finanzierungsreform der Pflege nachzudenken.

Pflegebürgervollversicherung befürwortet

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bemängelte die finanzielle Unterdeckung und sprach sich für eine Pflegebürgervollversicherung aus. Die vorgelegten Schritte zur Verbesserung der Pflege stünden in keinem Verhältnis zu der ursprünglich angekündigten Strukturreform.

Die Kostenerstattung von Pflegeleistungen bei Tarifbindung bringe den meisten Beschäftigten nichts, solange nicht bundesweit ein guter, allgemeinverbindlicher Tarifvertrag gelte. Eine Tarifanbindung ohne diesen Tarifvertrag sei ein zahnloser Tiger.

„Pflegekosten-Eigenanteil auf planbaren Betrag deckeln“

Der Deutsche Pflegerat (DPR) bedauerte, dass es in dieser Wahlperiode nicht zu der lange anstehenden und dringend benötigten umfassenden Pflegereform gekommen sei, insbesondere mit Blick auf eine nachhaltige Finanzierung.

Derzeit gingen höhere Verdienste der Pflegenden sowie Verbesserungen bei den Pflegestellen zulasten der Pflegebedürftigen. Dies müsse sich ändern. Der Eigenanteil an den pflegbedingten Kosten müsse auf einen überschaubaren und planbaren Betrag gedeckelt werden.

„Zusätzliche Stellen in der Klinikpflege finanzieren“

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) erklärte, die geplante Übergangspflege in Krankenhäusern sei zu begrüßen, sie könne aber nur durch zusätzliche Stellen in der Klinikpflege gewährleistet werden. Diese Stellen müssten gesichert finanziert sein.

Zur Stellenberechnung bedürfe es einer Personalbemessung, die den individuellen Pflegebedarf der Patienten erfasse. Das Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstrument (PPR 2.0) müsse somit sofort eingeführt werden.

„Indikation muss der Einschätzung des Arztes obliegen“

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) lehnte die sogenannte Blankoverordnung ab, wonach Pflegekräfte selbstständig bestimmte Leistungen der häuslichen Krankenpflege festlegen können.

Aus Sicht der KBV sei unabdingbar, dass die Indikationsstellung und die Entscheidung, ob und welche Behandlung erbracht werde, der Einschätzung des verordnenden Arztes obliege. Nur der Arzt könne die ganzheitliche Betrachtung sicherstellen und trage die Therapieverantwortung.

„Höhere Löhne erfordern gesicherte Refinanzierung“

Arbeitgebervertreter wandten sich entschieden gegen die Koppelung der Versorgungsverträge für Pflegeeinrichtungen an eine tarifliche Entlohnung. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) sprach von einer willkürlichen Regelung und warnte vor einer existenziellen Gefährdung der Betriebe. Damit würden die Prinzipien der Tarifautonomie aufgegeben.

Der Verband unterstütze höhere Löhne für Pflegekräfte, dazu brauche es aber keinen Tariflohnzwang, sondern eine gesicherte Refinanzierung. Dabei müssten auch die betrieblichen Risiken und das unternehmerische Wagnis berücksichtigt werden.

„Völlig unzureichende Gegenfinanzierung“

Der Arbeitgeberverband BDA wertete die geplante Tarifregelung als Angriff auf die grundgesetzlich geschützte Koalitionsfreiheit. Die Gehaltslage für Pflegekräfte habe sich in den vergangenen Jahren deutlich gebessert.

Die geplanten zusätzlichen Ausgaben durch höhere Gehälter und die Deckelung der Eigenanteile seien nicht nachhaltig finanziert. Die Gegenfinanzierung sei völlig unzureichend. Es sei absehbar, dass ab 2023 eine noch größere Finanzierungslücke in der Pflegeversicherung klaffen werde.

Antrag der Linken

Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag mit dem Titel „Solidarische Pflegevollversicherung umsetzen“ (19/24448) die Einführung einer solidarischen Pflegevollversicherung. Derzeit finanzierten Menschen mit Pflegebedarf in einem Pflegeheim bis zu drei Viertel ihrer Heimkosten selbst, heißt es darin. Auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die Zuzahlungen zu den Investitionskosten wüchsen rasant.

Die Abgeordneten fordern ein Sofortprogramm zur Verbesserung der Einnahmesituation der Pflegeversicherung, das unter anderem die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der Pflegeversicherung auf 15.000 Euro pro Monat vorsieht. Die Eigenanteile in stationären Pflegeeinrichtungen müssten auf 450 Euro gesenkt und gedeckelt werden bis zur Einführung einer Pflegevollversicherung 2025.

Antrag der Grünen

Die Grünen fordern in ihrem Antrag mit dem Titel „Die Pflegeversicherung verlässlich und solidarisch gestalten – Die doppelte Pflegegarantie umsetzen“ (19/14827) eine umfassende Reform der Pflegeversicherung mit einer Begrenzung der Kosten. Sie schlagen dazu eine „doppelte Pflegegarantie“ vor.

Demnach solle der Pflege-Eigenanteil, den Pflegebedürftige monatlich tragen, festgeschrieben werden. Für die stationäre Pflege solle der Eigenanteil unterhalb der derzeit durchschnittlich 690 Euro gedeckelt werden. Die Pflegeversicherung solle ferner alle darüber hinausgehenden Kosten für eine bedarfsgerechte Versorgung tragen. Eine Eigenverantwortung bestehe weiter bei den Kosten für Unterkunft und Verpflegung.

Steuerzuschuss zur Pflegeversicherung verlangt

Flankierend dazu sollen die Kosten für die medizinische Behandlungspflege von der Krankenversicherung übernommen werden. Neu eingeführt werden solle zudem ein Steuerzuschuss des Bundes für die Pflegeversicherung, um versicherungsfremde Leistungen zur sozialen Sicherung der pflegenden Angehörigen auszugleichen.

Die Grünen fordern in ihrem Antrag zudem die Einführung einer solidarischen Pflege-Bürgerversicherung, bei der alle Bürger einkommensabhängig zum Solidarausgleich beitragen und alle Einkommensarten bei der Berechnung der Beiträge berücksichtigt werden. (pk/08.06.2021)

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