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Gesundheit

Abkehr von der Sieben-Tage-Inzidenz trifft auf Zu­stimmung bei Experten

Zeit: Dienstag, 31. August 2021, 9.30 Uhr bis 10.30 Uhr
Ort: Videokonferenz

Die geplante Abkehr von der Sieben-Tage-Inzidenz als zentralem Maßstab für die Verhängung von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 stößt bei Sachverständigen auf breite Zustimmung. Während einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses unter der Leitung von Erwin Rüddel (CDU/CSU) am Dienstag, 31. August 2021, gab es jedoch auch Forderungen nach einer weitergehenden Differenzierung als bislang von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen geplant ist.

Ursprünglich sollte Paragraf 28a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) dahingehend geändert werden, dass sich die Schutzvorkehrungen gegen das Coronavirus an der Hospitalisierungsrate ausrichten. Ein Änderungsantrag von Unions- und SPD-Fraktion sieht nun als Kriterien eine nach Altersgruppen aufgeschlüsselte Sieben-Tage-Inzidenz, die verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten und die Entwicklung der Impfquote vor.

Wissenschaftler fordern Nachbesserung

Für Prof. Dr. Ferdinand Wollenschläger von der Universität Augsburg bedarf der Änderungsantrag einer Nachbesserung hinsichtlich der Zielsteuerung. Aktuell sei er so zu verstehen, dass die drohende Überlastung der stationären Versorgung das ausschließliche Kriterium ist. Wenn dem so sei, müsse dies auch in den Gesetzestext aufgenommen werden, forderte Wollenschläger. Sollten Maßnahmen auch mit Blick auf weitere Aspekte – unabhängig von der drohenden Überlastung des Gesundheitssystems – ergriffen werden können, empfehle es sich, dies zu verdeutlichen.

Dr. Andrea Kießling von der Ruhr-Universität Bochum kritisierte, dass lediglich die stationäre, aber nicht die ambulante Versorgung in den Blick genommen werde. Auch diese könne aber überlastet sein, „was sich negativ auf die Versorgung in anderen Krankheitsfällen auswirkt“. Auch inwiefern Kinder bei steigenden Infektionszahlen geschützt werden müssen, beantworte die geplante Änderung nicht.

Expertin: Gefahr von Long-Covid mitbedenken

Aus Sicht von Dr. Elisabeth Fix vom Deutscher Caritasverband bedarf die Entwicklung der Reproduktionsrate (R-Wert) weiterhin einer genauen Beobachtung. Auch könnten Menschen, die nicht stationär wegen Covid-19 behandelt wurden, unter Long-Covid leiden, sagte sie. Diese beiden Indikatoren müssten ergänzt werden.

Prof. Dr. Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), verwies auf einen deutlichen Anstieg der Anzahl von Covid-Patienten auf Intensivstationen innerhalb der vergangenen vier Wochen. Er betrachte dies mit großer Sorge. Die geplanten Änderungen bewerte die DIVI positiv, so Marx. Es sei aber zu bedenken, dass die Inzidenz der Altersgruppe 35plus nach wie vor sehr gut mit den Aufnahmen auf den Intensivstationen korreliere und daher Beachtung verdiene.

Zusammenhang von Inzidenz um Impfquote

Nach Auffassung des Virologen Dr. Dr. Martin Stürmer vom Labor für interdisziplinäre Medizin und Diagnostik (IMD Labor) in Frankfurt, sollte die Sieben-Tage-Inzidenz weiterhin fester und genau definierter Bestandteil einer Regelung sein, um das Infektionsgeschehen weiterhin auf einem möglichst niedrigen Level zu halten. Ein kompletter Verzicht oder eine nicht definierte Grenze der Sieben-Tage-Inzidenz für verschärfende Infektionsschutzmaßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt bedeute, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung einer Infektion schutzlos gegenüberstehe.

Prof. Dr. Christian Karagiannidis von der Universität Witten/Herdecke verwies darauf, dass die Intensivbelegung nicht nur an die Inzidenz, sondern auch an den Impffortschritt insbesondere der über 35-Jährigen gekoppelt sei. Da dies von Woche zu Woche variiere, eventuell aber auch zu erwarten stehe, dass die Impfung insbesondere bei Hochbetagten oder immunsupprimierten Patienten im Laufe des Jahres nachlässt, sollte dieser Faktor seiner Ansicht nach in die Findung der Grenzen der Inzidenzen miteinbezogen werden.

„Entwurf führt zu Entparlamentarisierung“

„Schwere Bedenken“ äußerte Prof. Dr. Hinnerk Wißmann von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Der Entwurf führe zu einer Entparlamentarisierung, die der Bundestag in den vergangenen Monaten mühsam habe vermeiden wollen. Das gelte für das Verfahren wie auch für die Sachregelung. Das Verfahren laufe erneut im Panikmodus, kritisierte er und verwies darauf, dass erst am gestrigen Nachmittag die Kriterien erweitert worden seien. In der Sache läge ein Paradigmenwechsel vor, der nicht zu Ende gedacht sei. So gebe es keine parlamentarische Grenzziehung mehr. Stattdessen könnten nun 16 Bundesländer auf 16 verschiedene Arten diese Grenzen gestalten.

Aus virologischer Sicht handle es sich um einen sehr guten Vorschlag, befand Prof. Dr. Ulrike Protzer vom Institute of Virology in München. Es zeige sich, dass mit steigender Impfquote die Kurve der Hospitalisierungen und die Kurve der Infektionen immer weiter auseinandergehen. Es sei die Hospitalisierungsrate, die einen Einblick in die Zahl der relevant Infizierten gebe, die wiederum relevant für die Belastung des Gesundheitssystems sei.

Prof. Dr. Jörn Dötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), nannte es sehr sinnvoll, eine altersbezogene Hospitalisierungsrate statt Inzidenzen zu Rate zu ziehen. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass viele Hospitalisierungen nicht aufgrund einer Covid-Erkrankung erfolgten, sondern aufgrund einer anderen Erkrankung mit gleichzeitigem Vorliegen eines positiven Corona-Tests. Dies gelte es zu differenzieren, forderte er. Das Verhältnis schätze die DGKJ auf 10:1 – also zehn positiven Abstrichen gegenüber einem Covid-Erkrankten.

Änderung des Infektionsschutzgesetzes

Im Rahmen des von CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurfs zur Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe 2021“ im Nachgang der Starkregenfälle und Hochwasser im Juli 2021 (Aufbauhilfegesetz 2021, 19/32039) plant die Koalition eine weitere Änderungen im Infektionsschutzgesetz (Artikel 12). So soll künftig für alle, die in die Bundesrepublik einreisen wollen oder eingereist sind, unabhängig vom Verkehrsträger die Pflicht bestehen, entweder den vollständigen Corona-Impfschutz oder eine überstandene Corona-Infektion nachzuweisen. Alternativ muss ein negatives Testergebnis vorgelegt werden können. (hau/ste/31.08.2021)

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