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Gesundheit

Experten machen Vor­schläge für den Um­gang mit künftigen Pandemien

Zeit: Donnerstag, 8. Juli 2021, 10.30 Uhr bis 12 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 300

Krisenvorräte anlegen, die Arbeitsbedingungen für Ärzte und Pfleger optimieren, die digitalen Innovationen der Gesundheitswirtschaft nutzen: Um für künftige Pandemien oder eine mögliche vierte Corona-Welle besser gerüstet zu sein, braucht es Verbesserungen auf allen Ebenen des Gesundheitssystems, so die Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Begleitgremiums Covid-19-Pandemie am Donnerstag, 8. Juli 2021, unter Leitung von Rudolf Henke (CDU/CSU).

„Alles gehört auf den Prüfstand“, sagte der Vorsitzende und mahnte an, es bei allen nationalen und europäischen Reparaturen und Ambitionen nicht an internationaler, weltweiter Solidarität fehlen zu lassen: „Wir sind erst auf der sicheren Seite, wenn alle auf der sicheren Seite sind.“

Experte empfiehlt „differenzierte Lagerhaltung“

Um in internationalen Krisensituationen mit entsprechenden Engpässen und Knappheiten keinen Mangel bei dringend nötigen Gesundheitsgütern mehr zu erleiden, mache eine „nationale Gesundheitsreserve“ unbedingt Sinn, sagte Prof. Dr. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement, auf eine Frage von Nina Warken (CDU/CSU).

Es sei „unabdingbar für die Zukunft Lagerkapazitäten aufzubauen“. Die Politik müsse dabei die Entscheidung treffen, um welche Produkte es sich handeln müsse, und, wie lange man solche Vorräte vorhalten solle. Greiner sprach sich dabei für eine „differenzierte, dezentrale Lagerhaltung“ aus und gab zu bedenken, dass wegen der Haltbarkeitsgrenzen die Produkte, wenn sie nicht gebraucht würden, in einem „rollierenden System“ laufend ausgetauscht und am Ende auch entsorgt werden müssten – was natürlich ein ethisches Problem sei.

Marburger Bund: Ärzte besser bezahlen

Was nach der Sparwelle im Gesundheitswesen seit den 1990er Jahren jetzt zu tun sei, wollte Stephan Albani (CDU/CSU) von Dr. Susanne Johna, der 1. Vorsitzenden des Marburger Bundes, wissen. Bislang sei doch alles „auf Kante genäht“, die Frage nach vorhandenen Reserven erübrige sich eigentlich, so Albani. „65 Millionen Überstunden leisten unsere Krankenhausärzte im Normalfall pro Jahr. Im stationären Bereich haben wir einen realen Ärztemangel“, sagte Johna.

Jetzt gelte es, mehr Medizinstudienplätze zu schaffen sowie bessere Arbeitsbedingungen und Vergütung für Ärzte und Pflegekräfte – „damit Menschen unter dieser hohen Belastung da ein Leben lang arbeiten können.“ Außerdem müsse man die Krankenhausplanung verbessern, sich einen Überblick über den Bestand verschaffen und dann den Bedarf planen und auch entsprechend finanzieren, „sonst wird daraus nichts“.

Aus der europäischen Perspektive blickte Annabel Seebohm vom Ständigen Ausschuss der Europäischen Ärzte auf die Herausforderungen für die nationalen Gesundheitssysteme und die Rolle der Europäischen Union dabei. Obwohl die Gemeinschaft nun vieles auf den Weg gebracht habe – „Wir begrüßen das Gesetzespaket der EU-Kommission sehr“ –, liege es weiterhin am Willen der Mitgliedstaaten, gemeinsam zu handeln, um die EU auch zu einer echten „Gesundheits-Union“ zu machen.

„Wie wird der Herbst?“

„Wie wird der Herbst?“, fragte Gülistan Yüksel (SPD) Prof. Dr. Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), Wissenschaftliche Leitung des DIVI-Intensivregisters, im Blick auf die Auslastung der Krankenhäuser.

„Wir gehen jetzt in eine chronische Phase über“, so dessen Prognose. Auch „bei nahezu normalem öffentlichen Leben“ sei ein „weiter starker Anstieg nicht mehr zu erwarten“. Die meisten über 60-Jährigen seien ja nun geimpft, und die seien es ja gewesen, die in den letzten drei Wellen einen Großteil der Intensivbetten belegt hätten. Eine so hohe Zahl an Beatmungen werde wohl nicht mehr nötig sein. Wie hoch eine mögliche vierte Welle bei den Infektionszahlen werden könne, hänge nun von der Impfquote ab. Aber: „Selbst bei 70 Prozent“ doppelt Geimpften bleibe das „Problem einer hohen Zahl von Mitbürgern, die sich infizieren können“, gab Karagiannidis zu bedenken und sprach sich für weitere „sinnvolle Kontaktbeschränkungen“ aus. „Wir müssen versuchen die vierte Welle flach zu halten. Dann kommt das Gesundheitswesen damit zurecht.“

Der Intensivmediziner sprach sich zudem dafür aus, die Datenbasis des DIVI-Intensivregisters durch weitere „automatisierte Zuleitung“ von Daten aus den einzelnen Krankenhäusern zu verbessern: für ein präziseres Handeln im Krisenfall, eine bessere Planung und für Studienzwecke. Zudem dürfe man die „Ressource Mensch“ in der Intensivmedizin nicht aus dem Blick verlieren – diese hätten in den vergangenen Monaten eine enorme Last geschultert. Bei der Personalplanung müsse man das berücksichtigen.

„Intensivregister ist äußerst primitives System“

Der Informatiker und Datenanlyst Tom Lausen kritisierte auf Nachfrage von Jörg Schneider (AfD) die Datenbasis für die Maßnahmen von Bund und Ländern und insbesondere das Intensivregister scharf. Die schlechten daraus abgeleiteten Prognosen, die „dauernd nachgeschärft werden“ mussten, hätten das eindrücklich gezeigt. Die drei Corona-Wellen seien zudem, egal ob mit oder ohne Vorbereitung, ob mit oder ohne Maßnahmen, „nahezu identisch verlaufen. Auch die vierte Welle wird so verlaufen.“

„Das DIVI-Intensivregister ist ein äußerst primitives System und bedarf dringend der Überarbeitung“, beklagte der Informatiker. Es sei viel zu undifferenziert und bilde wesentliche Daten, die man zur Pandemiebekämpfung kurz- und langfristig brauche, nicht ab. Leitender Gedanke sei offenbar gewesen, den „Oberärzten mit einer möglichst primitiven Maske Erleichterung“ bei ihrer täglichen Arbeit „zu verschaffen“. Das sei aber der falsche Ansatz.

„Um die genauen Zahlen“ müsse sich „wie in einer Bank die Krankenhausverwaltung kümmern“, „Profis, die sich nur mit Zahlen beschäftigen“, und nicht die Mediziner. „Das muss sofort verändert werden bis zur nächsten Welle“, so Lausen mit Verweis auf die Forderung zahlreicher Mediziner. Der Paradigmenwechsel wie er im neuen Krankenhausfinanzierungsgesetz vollzogen worden sei, nämlich die Betten-Finanzierung im Nachhinein, wenn eine Belegung von 75 Prozent nachgewiesen werde, zeige, dass die Bundesregierung gar nicht von einer Überlastung des Gesundheitssystems ausgehe.

Innovationspotenzial der Gesundheitswirtschaft nutzen

Der Gesundheitswirtschaft mehr Chancen zu geben, sich mit innovativen Produkten am Gelingen einer guten Gesundheitsversorgung zu beteiligen, dafür warb Sebastian Zilch, Geschäftsführer Bundesverband Gesundheits-IT. „Die Gesundheits-IT ist essenzieller Bestandteil der Gesundheitswirtschaft“ und sei dies auch schon vor der Pandemie gewesen. „Die Gesundheitswirtschaft kann schnell reagieren“, sei voller Innovationspotenzial und konnte dies nun unter Beweis stellen, als sie den an ihre Grenzen stoßenden Gesundheitsämtern mit der Luca-App zur Hilfe geeilt sei.

Die Rahmenbedingungen für die Gesundheitswirtschaft müssten sich nun rasch verbessern. Der Staat solle die Branche stärker fördern und mit ihr stärker kooperieren. Die Gesellschaft müsse ihre Innovationsskepsis ablegen, und digitalen Anwendungen mehr Vertrauen entgegen bringen. Wie man Datennutzung und Datenschutz besser in Einklang bringen könne, fragte Nicole Westig (FDP) den IT-Experten.

Experte für neues Datennutzungsgesetz

Bei 25 Millionen Nutzern der Luca-App, und auch bei anderen digitalen Anwendungen im Gesundheitsbereich, sei in der Tat noch Luft nach oben, warb Zilch. „Wir brauchen ganz dringend eine Debatte über die Datennutzung, und Regeln dafür, wie wir hochwertige Daten, interoperable Daten, erheben können. Und keine falsche Datenschutzdebatte, die uns Möglichkeiten verstellt. Datenschutz und Datennutzung sind nicht immer so klar zu trennen.“

Letztlich gehe es ja darum, einen Nutzen zu schaffen. Das müsse ein neues „Datennutzungsgesetz“ regeln. Ansonsten ende man in einem Chaos von Papierlisten, wie man es jetzt ein Jahr lang in Restaurants und Geschäften erlebt habe.

Pflegerat: Bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte

Bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte in Senioreneinrichtungen forderte Annemarie Fajardo, Vizepräsidentin, Deutscher Pflegerat, auf Nachfrage von Kathrin Vogler (Die Linke). Viele Pflegende seien wegen der hohen Belastung, die die Pandemie nun zusätzlich mit sich gebracht habe, ausgeschieden, viele würden den Berufseinstieg in diese Branche verwerfen.

Den „Gesundheitsschutz der Bevölkerung“ zu verbessern und den „öffentlichen Gesundheitsdienst“ zu „stärken“, mahnte Prof. Dr. Raimund Geene von der Berlin School of Public Health (BSPH), Professur für Gesundheitsförderung und Prävention, an. Die Gesundheitsdienste seien momentan viel „zu schwach aufgestellt“, es gebe eine zu große „Schlagseite auf der Infektionskontrolle“, antwortete er Kordula Schulz-Asche (Bündnis 90/Die Grünen). „Die Präventionsorientierung in den Gesundheitsämtern ist noch zu schwach.“ Man müsse das „Präventionsmanagement“ verbessern und in die „konkrete Befähigung der Menschen vor Ort“ investieren. Dafür brauche es ein „übergeordnetes Konzept“.

Begleitgremium Covid-19-Pandemie

Die Bewältigung der Covid-19-Pandemie ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die zahlreiche gesundheitliche und soziale Fragen mit sich bringt. Um sich damit intensiver befassen zu können, hat der Gesundheitsausschuss das Parlamentarische Begleitgremium Covid-19-Pandemie eingerichtet. Ihm gehören 21 Mitglieder aus dem Gesundheitsausschuss, aber auch aus anderen Fachausschüssen an.

Sein Arbeitsbereich umfasst im Wesentlichen drei große Themenblöcke. Zunächst sind dies Fragen der Pandemiebekämpfung, wozu beispielsweise die Erforschung des Virus und seiner Mutationen, Chancen durch Digitalisierung sowie internationale Aspekte gehören. Der zweite Themenblock umfasst den Komplex der Impfungen, mit dem sowohl die Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen als auch der Zugang zur Impfung und die damit verbundenen ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte gemeint sind.

Schließlich sollen auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und der damit verbundenen Kontaktbeschränkungen in den Blick genommen werden. Als Erkenntnisquelle dienen dem Begleitgremium öffentliche Anhörungen von Sachverständigen und Expertengespräche. Zudem wird die Bundesregierung das Gremium regelmäßig über das aktuelle Infektionsgeschehen und anlassbezogen zu aktuellen Fragen der Pandemiebekämpfung unterrichten. (ll/08.07.2021)

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