Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes
Zeit:
Mittwoch, 16. September 2020,
11 Uhr
bis
13 Uhr
Ort: Berlin, Jakob-Kaiser-Haus, Sitzungssaal 1.302 (Videokonferenz)
Den bevorstehenden nationalen CO2-Zertifikatehandel hält der eine Jurist für verfassungskonform, der andere für verfassungswidrig: Kontroverse Befunde waren kennzeichnend für eine Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit unter Leitung von Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen) am Mittwoch, 16. September 2020. Die Experten bewerteten den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (19/19929).
Mit dem Gesetz (BEHG) war ein Emissionshandel für die Sektoren Wärme und Verkehr ab dem Jahr 2021 eingeführt worden. Die angepeilte Änderung sieht nun unter anderem eine Erhöhung der Preise für die Emissionszertifikate in der Einführungsphase zwischen 2021 bis 2026 vor.
Klärschlamm als Brennstoff
Dr. Torsten Mertins von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände verwies auf ein Rechtsgutachten, demzufolge Siedlungsabfall und Klärschlamm nicht als Brennstoff im Sinne des BEHG anzusehen sei. Demgegenüber vertrete das Bundesumweltministerium offenbar eine gegenteilige Rechtsauffassung. Eine gesetzgeberische Klarstellung sei unbedingt erforderlich. Ansonsten drohe für die Kommunen und ihre Betriebe bis zu einer eventuellen Klärung durch Gerichte eine langjährige rechtliche Unsicherheit, in der Planungen und Investitionsentscheidungen erheblich erschwert seien. Die avisierte zusätzliche Belastung mit der Pflicht zum Erwerb von CO2-Zertifikaten sehe die Bundesvereinigung wegen der ohnehin großen Herausforderungen für die Stabilität der kommunalen Gebühren kritisch. Der Verband der kommunalen Unternehmen liest ebenfalls laut Michael Wübbels aus dem Rechtsgutachten die Bestätigung seiner Position heraus, dass Siedlungsabfälle und Klärschlamm „nicht in den Anwendungsbereich des BEHG fallen, rechtlich auch nicht fallen dürfen und abfallwirtschaftlich auch nicht fallen sollten“.
Patrick Hasenkamp von den Abfallwirtschaftsbetriebe Münster schlug in die nämliche Kerbe. Siedlungsabfälle mit ihren deutlich geringeren Heizwerten müssten aus dem Gesetz herausgenommen werden. Ohnehin sei das Preisniveau in der kommunalen Abfallwirtschaft hoch. Dies habe schon zu Ausweichbewegungen in der EU wie dem deutlichen Anstieg des Exports von brennbaren Abfällen nach Tschechien geführt. Eric Rehbock vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung sagte, nach der jetzigen Systematik fielen Abfälle mit höheren durchschnittlichen Heizwerten unter die Energiesteuerpflicht und damit unter die zukünftige Emissionshandelspflicht, Abfälle mit niedrigeren durchschnittlichen Heizwerten sowie Siedlungsabfälle jedoch nicht. Er machte sich aus, wie er sagte, umweltpolitischen, aber auch wettbewerbspolitischen Gründen für die Abschaffung der Heizwertgrenze stark.
Debatte über die Bepreisung
Prof. Dr. Henning Tappe von der Universität Trier sah keine überzeugende Begründung für eine Verfassungswidrigkeit des BEHG. Mit der CO2-Bepreisung wolle der Gesetzgeber zur Erreichung der Klimaschutzziele beitragen. Er verfolge damit legitime Interessen, die einen sachlichen Grund für die Zahlungs- beziehungsweise Abgabepflicht im Rahmen des nationalen Energiehandelssystems darstellten.
Für Prof. Dr. Alexander Dilger von der Universität Münster ist die Erhöhung der Preise für die Emissionszertifikate der „wichtigste und kritischste Punkt“ der geplanten Gesetzesänderung. Auf Dauer könne es zu höheren Preisen als für die EU-Zertifikate kommen. Ideal wäre seiner Meinung nach eine EU-weite oder sogar global einheitliche Lösung. Wenn diese politisch nicht erreichbar sei, wäre es, so seine Überlegung, effizienter und auch einfacher, auf eine eigene deutsche Preisbildung zu verzichten, sondern den Preis für die EU-Emissionszertifikate auch für die Sektoren Verkehr und Heizen in Deutschland zu verwenden.
Prof. Dr. Rainer Wernsmann von der Universität Passau stellte fest, mit dem Änderungsgesetz werde die „sogenannte CO2-Bepreisung“ erhöht, allerdings bleibe die im Gesetz verankerte verfassungswidrige Regelung, den Ausstoß von CO2 mit festen Preisen je ausgestoßener Mengeneinheit zu belasten, unverändert. Der Verfassungsverstoß werde bei Umsetzen der geplanten Gesetzesänderung „infolge der Erhöhung der sogenannten Preise“ noch vertieft. Dr. Patrick Graichen von Agora Energiewende schlug ein sofortiges Vorziehen der geplanten CO2-Preis-Erhöhung im nationalen Emissionshandelssystem vor. Bereits ab nächstem Jahr solle der CO2-Preis statt 25 Euro direkt 50 Euro pro Tonne betragen. Diese Erhöhung generiere Mehreinnahmen von rund acht Milliarden Euro für den Bundeshaushalt, die durch eine Absenkung der EEG-Umlage sozialverträglich an die Verbraucher weitergegeben werden könnten.
Dr. Christian Schimansky vom Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie erklärte, dass laut interner Umfragen die vom nationalen Emissionshandelssystem betroffenen Unternehmen zum Teil keine technischen Alternativen und so gut wie nie die finanziellen Mittel hätten, um in ihren Produktionsprozessen die benötigten Brennstoffe zu ersetzen. Liquidität sei das Hauptproblem kleinerer und mittelständischer Unternehmen, vor allem in der jetzigen Krise. Um deren Existenz nicht zu gefährden, dürfe das nationale Emissionshandelssystem vorerst allenfalls mit einem deutlich geringeren CO2-Preis als 25 Euro je Tonne eingeführt werden. Er warnte davor, dass den Betrieben nur der Weg ins EU-Ausland bleibe. Dr. Ralf Bartels von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie mahnte an, mit dem Gesetz verbundene Belastungen und Entlastungen zeitlich zu koppeln. Die vorgesehenen Schritte seien für Haushalte und Unternehmen unspezifisch und asynchron.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz war ein Emissionshandel für die Sektoren Wärme und Verkehr ab dem Jahr 2021 eingeführt worden. Der Bundesrat hatte im 2019 wegen steuergesetzlicher Regelungen zur Umsetzung des Klimapakets 2030 den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat angerufen. Im Rahmen dieses Vermittlungsverfahrens hatten sich Bundestag und Bundesrat auf eine Erhöhung der Zertifikatspreise verständigt. Die Bundesregierung kündigte in einer Protokollerklärung gegenüber dem Bundesrat an, einen entsprechenden Gesetzesentwurf einzubringen.
Der vorliegende Gesetzentwurf setzt diese Ankündigung um. Gleichzeitig hatte die Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat angekündigt, die zusätzlichen Erlöse aus dem Brennstoffemissionshandel vollständig zur Senkung der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und ab dem 1. Januar 2024 auch zur Anhebung der zusätzlichen Entfernungspauschale für Fernpendler zu verwenden.
Carbon Leakage soll vermieden werden
Durch den höheren Einstiegspreis der Emissionszertifikate können laut Regierung für manche Unternehmen bereits zu einem früheren Zeitpunkt Nachteile im internationalen Wettbewerb entstehen. Dazu hatte die Bundesregierung angekündigt, dass sie das Notwendige zur Vermeidung von Carbon Leakage (Auslagerung von Kohlenstoffdioxidemissionen aus dem EU-Emissionshandelssystem) mit besonderer Berücksichtigung kleinerer und mittlerer Unternehmen mit Rückwirkung zum 1. Januar 2021 regeln werde. Mit dem Gesetzentwurf soll die Bundesregierung ermächtigt werden, bereits vor dem 1. Januar 2022 Maßnahmen zur Vermeidung von Carbon Leakage zu regeln.
Neben der Erhöhung der Zertifikatspreise in der Einführungsphase wird die Verordnungsermächtigung für Maßnahmen zur Vermeidung von Carbon Leakage angepasst, da es für betroffene Unternehmen, die mit ihren Produkten dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, bereits zu einem früheren Zeitpunkt als dem 1. Januar 2022 zu Wettbewerbsnachteilen kommen könne. Die ursprüngliche Regelung habe die Bundesregierung nur zu Regelungen ab dem 1. Januar 2022 ermächtigt. (fla/lbr/16.09.2020)