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30.01.2013 Ausschuss für Gesundheit (Anhörung) — hib 058/2013

Experten beurteilen den Umgang mit der „Schweinegrippe“ unterschiedlich

Berlin: (hib/TVW) Der Gesundheitsausschuss hat sich am Mittwoch in einer öffentlichen Anhörung mit dem Thema Pandemiebekämpfung befasst. Gegenstand der Beratungen mit knapp 20 Experten war ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (17/3544), in dem mehr Flexibilität und Transparenz bei der Pandemiebekämpfung gefordert werden. Hintergrund des Antrages ist die sogenannte Schweinegrippe, die Mitte 2009 in Mittelamerika aufgetreten war und sich rasch verbreitet hatte. Nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang Juni 2009 die höchste Alarmstufe ausgerufen hatte, begannen die meisten Staaten, Maßnahmen gegen eine drohende Pandemie zu ergreifen. Dazu gehörte auch die Beschaffung von Impfstoffen. Bedingt durch einen vergleichsweise harmlosen Erkrankungsverlauf bei der Mehrzahl der Betroffenen sowie durch öffentliche Kritik an dem Impfstoff blieb die Zahl der in Deutschland Geimpften relativ gering. Dies führte dazu, dass ein großer Teil der von den Impfstoffanbietern erworbenen 34 Millionen Impfdosen nicht verwendet wurde und wahrscheinlich verfällt.

Prof. René Gottschalk von der Schutzkommission beim Bundesinnenministerium wies darauf hin, dass man vor dem Ausbruch einer Pandemie nicht voraussagen könne, wie gefährlich ein Erreger sei. Im Rückblick betrachtet, habe Deutschland, vor allem im Vergleich zu Ländern wie Großbritannien oder den USA, „alles richtig gemacht.“ „Eigentlich hätten wir noch viel mehr Impfstoff kaufen müssen“, behauptete Gottschalk.

Prof. Reinhard Burger vom Robert-Koch-Institut (RKI) erklärte, dass Deutschland beim Ausbruch der sogenannten Schweinegrippe gut aufgestellt gewesen sei und zum Beispiel sehr rasch Tests für den Virus entwickelt habe. Im Übrigen hätten die zuständigen Institutionen die Pflicht, sich auch auf schwere Krankheitsverläufe einzustellen. Denn „man erfährt erst im Verlauf der Pandemie, wie sich das Virus verhält“, sagte Burger. Andererseits sei es aber nötig, bereits zu Beginn der Pandemie schon sehr weitreichende Entscheidungen treffen. „Wir hatten Glück, dass die Pandemie so milde verlaufen ist“, sagte Burger.

Prof. David Harper von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestätigte, dass bei einem neu aufgetretenen Virus die Unsicherheit über dessen Wirkungen immer sehr groß sei. „In der Frühphase einer Pandemie ist es kaum möglich, Aussagen über den Schweregrad des Krankheitsverlaufs zu machen“, sagte Harper. Bisher sei der Verbreitungsgrad der wichtigste Gradmesser. „Die WHO arbeitet ständig an einem Instrument zur Einschätzung des Schweregrades“, berichtete Harper weiter. Dessen Entwicklung benötige aber noch Zeit. Vor diesem Hintergrund hält es Prof. Klaus Cichutek vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für nicht vertretbar, sich bei der Entscheidung über den Kauf von Impfstoffen von den WHO-Warnstufen abzukoppeln. Annegret E. Schoeller von der Bundesärztekammer (BÄK) erinnerte in diesem Zusammenhang an die Aufforderung der WHO im Jahre 2010 an die einzelnen Staaten, eigene Pandemiepläne zu entwickeln. „Wir mussten damals mit großen Unwägbarkeiten umgehen“, sagte Schoeller. Mittlerweile habe man Lehren aus den Ereignissen gezogen und einen neuen Pandemieplan entwickelt.

Thomas Barta von der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) äußerte sich zu der die Öffentlichkeit seinerzeit stark bewegenden Frage, ob zu viel Impfstoff eingekauft worden sei. Seiner Ansicht nach hat damals zunächst sogar zu wenig Impfstoff zur Verfügung gestanden. Dann aber seien die Patienten durch die öffentliche Debatte und die vergleichsweise milden Verläufe sehr rasch impfmüde geworden, sagte Barta. Mittlerweile hätten die Länder aus dem Verlauf der Pandemie im Jahre 2010 die nötigen Schlüsse gezogen. So sei eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, deren Arbeitsergebnisse in einen Beschluss mit 21 Punkten Eingang gefunden hätten.

Kritisch beurteilt wurde von den Sachverständigen unter anderem die Informationspolitik. So räumte Prof. Reinhard Burger vom Robert-Koch-Institut (RKI) ein, dass in der Öffentlichkeit eine erhebliche Verwirrung über die Frage geherrscht habe, welchen der beiden auf dem Markt befindlichen Impfstoffe man verwenden solle. „Mit der Kommunikation über die Verwendung des Impfstoffes waren wir nicht zufrieden“, sagte Burger. Ähnliches berichtete Prof. Klaus-Dieter Kossow vom Deutschen Hausärzteverband (DHV): „Es ist uns nicht gelungen, unsere Meinung zur herrschenden Meinung zu machen.“ Einzelne Hausärzte hätten zum Kreis der Impfkritiker gehört. Aus den Erfahrungen seien nun die richtigen Schlüsse zu ziehen. „Wir brauchen eine Standardinformation, die alle wesentlichen Akteure gemeinsam verbreiten,“ fordert Kossow. Ergänzend wies Paul Rheinberger von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) darauf hin, dass auch die Vergütungsregelungen strittig gewesen seien. „Die Ärzte waren sich im Unklaren darüber, wie die Impfungen vergütet werden“, sagte Rheinberger. So etwas müsse künftig im voraus und einheitlich geregelt werden.

Kritik an dem Umgang der beteiligten Stellen mit der sogenannten Schweinegrippe äußerte Prof. Gert Antes von Deutschen Cochrane Zentrum. Er ist der Ansicht, das viele der Probleme, die bei der Pandemie aufgetreten seien, auf ein Verschulden dieser Stellen zurückzuführen seien. „Ich teile die allgemeine Zufriedenheit über die Vorbereitung auf und den Verlauf der Pandemie im Jahre 2009 nicht“, sagte er. Zwar habe sich jede der beteiligten Institutionen für sich rational verhalten, das Zusammenspiel habe aber nicht funktioniert. Für Wolfgang Wodarg von Transparency International ist im Zusammenhang mit der Pandemie zudem offenbar geworden, dass zwischen Industrie, öffentlichem Gesundheitsdienst und Politik „unselige Verquickungen“ bestünden. Man könne Industrievertreter zwar zu den Problemen befragen und auch in Expertengremien einladen, sie dürften aber auf keinen Fall mit entscheiden.

Der Einzelsachverständige Matthias Gruhl äußerte sich zu den Konsequenzen, die aus dem Umgang mit der Pandemie zu ziehen seien. Künftig müssten flexiblere Pandemiepläne konzipiert werden, mit denen man angemessen auf unterschiedliche Schweregrade reagieren könne. „Wir sind damals zunächst von einem Worst-Case-Szenario ausgegangen und waren dann nicht in der Lage, auf ein anderes Szenario umzuschalten“, sagte er. Annegret E. Schoeller von der Bundesärztekammer hält es vor allem für befremdlich, dass die Haftung für den Impfstoff seinerzeit allein auf die Länder abgewälzt worden sei. Ihrer Ansicht sollten „diejenigen, die das Serum herstellen, auch weitestgehend die Haftung dafür übernehmen“.

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