„Beschämendes Versagen“
Berlin: (hib/KOS) „Ein beispielloses und beschämendes Versagen“: Mit diesen scharfen Worten hat Sebastian Edathy ein hartes Urteil über die Arbeit der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) angelasteten Mordserie gefällt. Anlässlich der letzten Zeugenvernehmungen des Untersuchungsausschusses, der Fehlgriffe und Pannen bei den erfolglosen Ermittlungen zu der Erschießung von neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer deutschen Polizistin durchleuchten soll, sagte der SPD-Politiker, dieses Scheitern sei „beschämend für die Republik“. Das Vertrauen in den Rechtsstaat sei erschüttert worden. Das Bundestagsgremium bemühe sich, mit seiner Arbeit dieses Vertrauen wieder aufzubauen, so dessen Vorsitzender.
Edathy führte das Versagen von Polizei und Geheimdiensten auf einen „völlig unzureichenden“ Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden zurück, auch sei das Gewaltpotential der rechtsextremen Szene „massiv unterschätzt“ worden. Zudem seien die Ermittlungen nicht „ergebnisoffen“ geführt worden. Man hatte die Hintergründe der zehn Hinrichtungen vor allem im Bereich der organisierten Kriminalität vermutet. FDP-Obmann Hartfried Wolff plädierte dafür, die Arbeit des Untersuchungsausschusses auch in der nächsten Legislaturperiode fortzusetzen, viele Fragen seien bislang offen geblieben.
Am Donnerstag beendet das Gremium mit einer Sachverständigenanhörung seine öffentlichen Treffen. Ende August soll der Abschlussbericht präsentiert werden, der Anfang September bei einer Sondersitzung des Bundestagsplenums diskutiert werden soll.
Bei den sich bis in den Montagabend hinziehenden Vernehmungen mehrerer Zeugen vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) befassten sich die Abgeordneten zum wiederholten Male mit der Rolle von Spitzeln im rechtsextremen Milieu. Mehrere Fraktionssprecher wiesen darauf hin, dass die Geheimdienste auf Bundes- und Länderebene eine Reihe von V-Leuten im Umfeld des im Januar 1998 untergetauchten und später zum NSU mutierten Jenaer Trios platziert hatten, allein das BfV habe drei solche Informanten geführt. Offenbar habe man auf diesem Weg aber keine Hinweise auf den Aufenthaltsort und die Aktivitäten von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe erhalten, kritisierten die Abgeordneten. Grünen-Obmann Wolfgang Wieland fragte, ob die V-Leute keine Anweisungen zur Suche nach der Jenaer Zelle bekommen oder ob die Informanten ihr Wissen für sich behalten hätten. SPD-Sprecherin Eva Högl äußerte die Vermutung, die V-Leute seien „nicht gezielt für die Suche nach dem abgetauchten Trio genutzt worden“. Unions-Obmann Clemens Binninger monierte, die mit dem Einsatz solcher Informanten verbundenen Risiken stünden in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn.
Ein mit der Auswertung von Material über die rechtsextreme Szene befasster BfV-Mitarbeiter bezeichnete es bei seiner öffentlichen Anhörung als Fehler, dass die bei den verschiedenen Behörden vorliegenden Erkenntnisse über die Jenaer Gruppe seinerzeit nicht zentral gesammelt worden seien. Auch seien die Kapazitäten des BfV nur unzureichend genutzt worden, so der unter dem Pseudonym „Egerton“ auftretende Zeuge. Er erläuterte, dass dieser Fall durchaus als etwas Besonderes eingeschätzt und im Amt häufig diskutiert worden sei, da das spurlose Verschwinden einer rechtsextremen Gruppe über Jahre hinweg neuartig gewesen sei.
Laut „Egerton“ schätzte man Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe als verbalradikale Leute mit der Neigung zu provokanten Aktionen ein. Zwar sei bei einer Garagendurchsuchung Anfang 1998 in Jena, die das Trio zum Anlass für sein Abtauchen nahm, Bombenmaterial gefunden worden. Doch hätten damals keine Hinweise auf konkrete Anschlagspläne der Zelle existiert. Dies heiße nicht, dass man die Gruppe für ungefährlich gehalten habe. Bis heute sei ihm „schleierhaft“, wie es bei Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zum Sprung von Verbalradikalismus und provokanten Aktionen zum Terrorismus gekommen sei: „Das hätte ich denen nach dem damaligen Erkenntnisstand nicht zugetraut.“ Linken-Obfrau Petra Pau kritisierte indes, dass die Waffenfunde bei dem Trio und generell im rechtsextremen Milieu in ihrer Bedeutung von den Sicherheitsbehörden unterschätzt worden seien.
Ein Thema bei der Vernehmung „Egertons“ war auch die Erwähnung des Kürzels „NSU“ in der Zeitschrift „Weißer Wolf“ im Jahr 2002. Deren Herausgeber bedankte sich damals beim „NSU“, was sich nach heutigem Wissen auf eine Spende von 2500 Euro bezog. Auf Fragen mehrerer Abgeordneter, warum man seinerzeit nicht nach den Hintergründen dieses erstmals öffentlich erwähnten Namens geforscht habe, sagte der Zeuge, dem Herausgeber selbst sei diese Gruppe offenbar unbekannt gewesen, weshalb er sich für die Unterstützung in seinem Blatt auf allgemeine Art bedankt habe. Da außer der Erwähnung des Begriffs „NSU“ keine weiteren „inhaltlichen Anfasser“ existiert hätten, habe sich keine Möglichkeit zu weiteren Prüfungen ergeben. „Man hätte hellseherische Fähigkeiten haben müssen, um aus einem unbestimmten Dank an eine unbekannte Gruppe“ Schlussfolgerungen zu ziehen, so „Egerton“. Später habe man den Begriff NSU nie wieder gehört.
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