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13.05.2013 Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ — hib 259/2013

Lebensqualität und Nachhaltigkeit

Berlin: (hib/KOS) Die Politik soll sich nicht mehr allein an der Steigerung der Wirtschaftsleistung, sondern verstärkt auch an ökologischen Erfordernissen und der sozialen Balance ausrichten. Stützen soll sich ein solches Umdenken auf das von der Enquetekommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ entworfene „W3 Indikatoren“-Modell, das Lebensqualität nicht nur über das am Wachstum orientierte Bruttoinlandsprodukts (BIP) definiert und misst, sondern auch anhand der Kriterien „Ökologie“ sowie „Soziales und Teilhabe“. Das Gremium pocht darauf, dass sich Parlament und Regierung künftig regelmäßig mit der Entwicklung der auf diese Weise ermittelten Lebensqualität befassen. So lautet eine zentrale Botschaft des Abschlussberichts der 17 Abgeordneten und 17 Wissenschaftler, den jetzt der Deutsche Bundestag als Drucksache17/13300veröffentlicht hat.

Angesichts von Umweltzerstörungen, Finanzkrisen und Verteilungsungerechtigkeiten wollte die Kommission Wege hin zum nachhaltigen Wirtschaften weisen und deshalb das BIP als traditionelle Rechengröße für Wohlfahrt durch ökologische wie soziale Aspekte ergänzen. Das Gremium unter Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) zeigte sich zwar in der Problemanalyse weithin einig, etwa über Grenzen bei der ökologischen Belastbarkeit des Planeten oder über die vom Finanzsystem ausgehenden Gefahren. Umstritten waren hingegen öfters die Konsequenzen aus diesen Betrachtungen, etwa Strategien zur Senkung des Ressourcenverbrauchs. Gleichwohl wurde der Bericht einstimmig verabschiedet. Der Grund: Die rund 1.000 Seiten enthalten nicht nur die von der Koalitionsmehrheit geprägten Passagen, sondern auch zahlreiche Sondervoten von Oppositionsfraktionen und einzelnen Parlamentariern, so dass sich alle Seiten in der Expertise wiederfinden können.

Wichtigstes Ergebnis der über zweijährigen Arbeit ist das „W3“-Konzept, dessen Größen „Materieller Wohlstand“, „Soziales und Teilhabe“ sowie „Ökologie“ Auskunft geben sollen, wie es um die Wohlfahrt im Land steht. Aufgeschlüsselt werden diese drei Kriterien durch zehn „Leitindikatoren“ wie etwa BIP, Einkommensverteilung, Beschäftigungsquote, Artenvielfalt oder Emissionen von Treibhausgasen sowie durch neun „Warnlampen“ und eine „Hinweislampe“ - wobei es sich bei Letzteren unter anderem um Arbeitsqualität oder Weiterbildung dreht. Die Politik soll eingreifen, sobald „W3“ Alarm schlägt - wenn beispielsweise das Beschäftigungsniveau sinkt, der materielle Wohlstand abnimmt oder sich der Zustand der Umwelt wegen der Treibhausgase verschlechtert.

Der Bericht offenbart, dass auch fürderhin umstritten bleiben wird, welchen Stellenwert Wachstum konkret haben soll. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP bestehen auf einem positiven Verständnis von Wachstum: Dieses schaffe finanzielle und technisch-innovative Mittel, um Nachhaltigkeit zu fördern, Umwelt- und Finanzkrisen zu meistern oder Schuldenabbau, Sozialleistungen und Beschäftigung zu ermöglichen. Für die Opposition ist indes die Wachstumspolitik mitverantwortlich für ökologische und wirtschaftliche Krisen, weswegen eine „Neujustierung der sozialen Marktwirtschaft“ mit einer aktiven Rolle des Staats nötig sei. Mit der Idee einer „sozialökologischen Transformation“ scheiterten Abgeordnete von SPD, Linken und Grünen freilich an der Koalition.

Von diesem Gegensatz ist auch das Kapitel über „Nachhaltig gestaltende Ordnungspolitik“ geprägt. Union und FDP befürworten eine pragmatische Anpassung der sozialen Marktwirtschaft, die ihre „Anpassungsfähigkeit“ schon häufig bewiesen habe, an die Erfordernisse der Nachhaltigkeit. Die Opposition hingegen hält weitreichende Änderungen für nötig. Der Staat solle nicht alles dekretieren, aber entsprechende Regulierungsrahmen setzen. Bei den dramatischen Krisen handele es sich „nicht nur um einen Betriebsunfall“, weshalb „kleinere pragmatische Anpassungen“ nicht genügten.

Trotz solcher Unterschiede verständigte man sich auf Vorschläge zur Stabilisierung des Bankensystems. Dazu zählt eine Stärkung des Haftungsprinzips über eine größere Eigenkapitalausstattung der Kreditinstitute und über „Vergütungssysteme, die das Risikobewusstsein schärfen“. Schattenbanken müssten effizienter kontrolliert werden, auch eine wirkungsvolle europäische Finanzaufsicht sei geboten.

Konsens herrscht, dass die Politik die ökologischen Grenzen des Planeten akzeptieren müsse. In manchen Bereichen wie dem Ausstoß von Klimagasen, dem Rückgang der Artenvielfalt oder der Überlastung des Stickstoffkreislaufs seien diese Grenzen schon heute überschritten. Deshalb müsse der Umwelt- und Ressourcenverbrauch gesenkt werden. Über konkrete Forderungen zur Reduzierung des Rohstoffkonsums konnte man sich jedoch nicht einigen. Die Koalition sieht dies als Aufgabe der künftigen Regierung an. Ein Sondervotum der Opposition macht zahlreiche Vorschläge, etwa ein Wertstoffgesetz, eine effizientere Kreislaufwirtschaft mit höheren Recyclingquoten oder eine Abgabe auf Stickstoff.

Auch zu einer zukunftsfähigen Arbeitswelt war „ein fraktionsübergreifender Konsens nicht herzustellen“. Der Bericht präsentiert lediglich als Basis künftiger Debatten drei unterschiedliche Modelle. Ein Konzept, das Union und FDP zuzuordnen ist, macht sich für eine Ausdehnung der Erwerbsarbeit und für mehr Flexibilisierung stark. Ein von der SPD favorisierter Entwurf zielt auf „qualitativ wertvolle Arbeit“, lehnt eine Ausdehnung des gesamten Arbeitsvolumens ab und will die Arbeitszeit zwischen Frauen und Männern ausgeglichener verteilen. Linke und Grüne verlangen, soziale Sorgearbeit und bürgerschaftliches Engagement stärker mit Erwerbsarbeit zu verknüpfen.

Einhellig plädiert die Kommission für eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit von Frauen und deshalb für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zum umstrittenen Mindestlohn nimmt der Bericht nicht Stellung. Lediglich ein Sondervotum dreier Sachverständiger aus dem Oppositionslager setzt sich für den Mindestlohn ein.

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