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16.03.2015 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (Anhörung) — hib 139/2015

Experten: Reform des EU-Eigenmittelsystems

Berlin: (hib/JOH) Verschiedene Sachverständige haben sich am Montagnachmittag im Europaausschuss für eine Reform des Eigenmittelsystems der Europäischen Union ausgesprochen, die Erfolgsaussichten dafür jedoch in den kommenden Jahren als gering bewertet.

Peter Becker von der Stiftung Wissenschaft und Politik und dem Deutschen Institut für internationale Politik und Sicherheit sprach von einer „gemischten Bilanz“ des EU-Eigenmittelsystems. Zwar stelle es eine „solide und ausreichende Finanzierung“ des EU-Budgets sicher. Jedoch sei die Autonomie der EU bei ihrer Finanzierung noch immer begrenzt. Zudem sei das Finanzierungssystem „gekennzeichnet von Komplexität und Intransparenz“ und nicht ausreichend parlamentarisch legitimiert.

Professor Clemens Fuest vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZWE) betonte, die EU verfüge derzeit weder über ein eigenes Besteuerungsrecht, noch über eine Verschuldungsbefugnis. Auch wenn der Begriff der Eigenmittel den Eindruck erwecke, es bestehe eine gewisse Einnahmenautonomie, handle es sich bei den aktuellen Eigenmitteln jedoch größtenteils um Finanzbeiträge der EU-Mitgliedstaaten.

Nach Ansicht von Professor Henrik Enderlein von der Hertie School of Governance verfügt die Europäische Union über zu wenig echte Eigenmittel. Dies stehe im Widerspruch zur fortschreitenden europäischen Integration und werfe Probleme auf im Hinblick auf demokratische Legitimation und Transparenz. So fasse das Europäische Parlament ausgabenrelevante Beschlüsse, ohne jedoch Einnahmeverantwortung zu tragen. „Representation without taxation“ („Politische Vertretung ohne Besteuerung“) nannte Enderlein dies in Anlehnung an eine Parole aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Dass sich die Mitgliedstaaten der EU bisher nicht auf eine grundlegende Reform des Systems einigen konnten, liegt nach Auffassung Enderleins nicht daran, dass die Umsetzung, zum Beispiel die Einführung neuer Steuern, technisch schwierig sei. Vielmehr fehle es am politischen Willen der Akteure.

Peter Becker wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Bewertung des Eigenmittelsystems und der Wunsch nach Reformen abhängig von den integrationspolitischen Vorstellungen der einzelnen Mitgliedstaaten seien. So würde mit der seit Jahren geforderten Einführung einer genuinen neuen Eigenmittelquelle (EU-Steuer) eine integrationspolitische Grundsatzentscheidung getroffen. Nach Ansicht der Kritiker wäre sie eben nicht nur eine finanzpolitische Entscheidung, sondern „ein weiterer zentraler Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Staatlichkeit und einem föderalen Haushalt“.

Eine mögliche neue EU-Steuer sollte bestimmte Eckpunkte berücksichtigen, sagte Becker. So sollte sie die Steuerzahler in der EU nicht mehr belasten als bisher und über eine ausreichende, stabile und prognostizierbare Ertragskraft sowie begrenzte Erhebungskosten verfügen. Sie sollte durch einheitliche Bemessungsgrundlagen und Tarife Steuergerechtigkeit schaffen und öffentliche Leistungen der EU finanzieren, die einem gemeinsamen Mehrwert dienen. Zu dem Vorschlag der EU-Kommission, die Einnahmen der vorgeschlagenen Finanztransaktionssteuer in das EU-Budget fließen zu lassen, äußerte sich Becker kritisch. Die Widerstände in vielen Mitgliedstaaten seien zu hoch, außerdem erfülle die Steuer nicht das Kriterium der Beitragsgerechtigkeit.

Auch Clemens Fuest betonte, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer laufe auf eine Benachteiligung vor allem des Vereinigten Königreiches hinaus und stifte Unfrieden. Zudem sei die Eignung der Steuer als Teil eines Gesamtsteuersystems „höchst umstritten“. Fuest empfahl demgegenüber die Abschaffung der bisherigen Mehrwertsteuer-Eigenmittel und deren Ersatz durch so genannte BNE-Eigenmittel. Diese Eigenmittel werden schon jetzt auf Grundlage des jeweiligen Bruttonationaleinkommens der Mitgliedstaaten erhoben und stellen heute die wichtigste Finanzierungsquelle der EU dar. Die Einführung einer neuen Mehrwertsteuer-Eigenquelle, wie sie von der Kommission vorgeschlagen worden sei, könne nach Ansicht von Fuest die Sichtbarkeit der EU-Finanzierung für die EU-Bürger erhöhen, wenn der EU-Anteil an der Umsatzsteuer auf den Rechnungen ausgewiesen würde. Als weitere potenzielle neue Eigenmittelquellen nannte er die Luftverkehrsabgabe und die EU-Unternehmensgewinnsteuer.

Wie Fuest forderte auch Enderlein die Abschaffung der Mehrwertsteuer-Komponente sowie die Vereinfachung der nationalen Korrekturmechanismen. Er zeigte sich jedoch skeptisch, dass es darüber hinaus in den kommenden Jahren zu grundlegenden Reformen kommen werde, da die Interessen der EU-Mitgliedstaaten zu unterschiedlich seien. An die Bundesregierung appellierte er, ihre Führungsrolle in Europa zu nutzen, um eine Reform des Eigenmittelsystems voranzubringen.

Peter Becker wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass sich derzeit 14 Mitgliedstaaten gegen die Einführung einer EU-Steuer positionierten, darunter Deutschland, Großbritannien und Italien. Trotz der gemeinsamen Einsicht in die Notwendigkeit einer Reform des Eigenmittelsystems dominierten bislang die Beharrungskräfte. Angesichts dessen „erscheint eine weitreichende Reform des Eigenmittelsystems schwer vorstellbar“, urteilte Becker. Fuest ergänzte, eine Reform der Finanzierung des EU-Haushalts müsse für alle Mitgliedstaaten zustimmungsfähig sein, da das Einstimmigkeitsprinzip gelte. Dies enge den Spielraum für Veränderungen ein und spreche dafür, sich zunächst auf kleinere, weniger kontroverse Verbesserungen zu konzentrieren.

Fuest und Enderlein waren sich darüber hinaus einig in ihrem Urteil, dass die EU-Finanzpolitik noch immer zu stark auf Umverteilung setze, etwa in der Agrar-, Struktur- und Regionalpolitik. Politiken, die gesamteuropäische Interessen beträfen und einen Mehrwert für die ganze Union schafften, stelle sie hingegen zu wenige Ressourcen zur Verfügung. Als Beispiel nannten beide die EU-Sicherheitspolitik und die Flüchtlingspolitik.

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