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14.04.2016 Finanzen — Anhörung — hib 210/2016

Sachverständige gegen Prüfungsgrundsatz

Berlin: (hib/HLE) Eine Mehrheit der Sachverständigen hat die Pläne der Bundesregierung zurückgewiesen, bei der Prüfung von Steuerfällen in den Finanzämtern den Grundsatz der „Wirtschaftlichkeit“ einzuführen und damit die Behörden zu entlasten, indem personelle Ressourcen auf die wirklich prüfungsbedürftigen Fälle konzentriert werden. So erklärte der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine in seiner Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Finanzausschusses am Mittwoch, die Einführung von Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten als unbestimmter Rechtsbegriff sei als Grundlage für Entscheidungen über Art und Umfang der Ermittlungen zu weitgehend: „Wir sehen dadurch den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefährdet“, warnte die Organisation.

Grundlage der Anhörung war der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahren (18/7457). Danach sollen Steuererklärungen in Zukunft zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung soweit wie möglich automatisiert bearbeitet werden. Bürger, die ihre Steuererklärung mit erheblicher Verspätung einreichen, sollen einen Verspätungszuschlag zahlen. Ein wesentlicher Punkt des Gesetzesvorhabens ist die Änderung von Abgabefristen. Steuerpflichtige, die von Steuerberatern beraten werden, bekommen zwei Monate mehr Zeit zur Abgabe ihrer Erklärung. Die Jahressteuererklärung muss künftig am 28. Februar des Zweitfolgejahres vorliegen. Die Verlängerung der Fristen wurde von der Bundesteuerberaterkammer ausdrücklich begrüßt. Sie störte sich jedoch daran, dass die Finanzämter die Möglichkeit erhalten sollen, Steuererklärungen auch vorab anfordern zu können.

Auch der Neue Verband der Lohnsteuerhilfevereine warnte in seiner Stellungnahme davor, neben den geltenden Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit auch allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu berücksichtigen. Das ergebe einen sehr weiten Entscheidungsspielraum für die Finanzbehörden. Die neu aufgenommenen Gründe könnten die bisherigen Grundsätze der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit erheblich einschränken. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fragte, wie der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit in der Praxis funktionieren solle. Es sei ein Trugschluss, eine stärkere Serviceorientierung der Finanzverwaltung könne nur durch stärkere IT-Unterstützung und strukturelle Verfahrensanpassungen bei gleich bleibender oder sinkender Personalausstattung erreicht werden.

Der Deutsche Steuerberaterverband warnte, mit zunehmender Übermittlung sowie Verarbeitung der Daten von Dritten (Arbeitgebern, Versicherungen, Banken usw.) könne sich die Zahl der Fälle von abweichenden Angaben zu den Daten in den Steuererklärungen erhöhen. Dann müssten Rücksprachen mit Finanzverwaltung und Dritten erfolgen. Die Abwälzung der Sachverhaltsaufklärung nebst der unzureichenden Begründung im Steuerbescheid widerspreche jedoch dem Amtsermittlungsgrundsatz sowie den Hinweis- und Begründungspflichten der Finanzverwaltung. Darauf ging auch der Bund der Steuerzahler in seiner Stellungnahme ein. Der Laie habe sich bisher darauf verlassen können, dass die Finanzbeamten auch zu ihren Gunsten prüfen. Dieser gebiete der Amtsermittlungsgrundsatz: „Diese Hinweis- und Ermittlungspflicht darf durch eine vollautomatische Bearbeitung nicht verloren gehen“, warnte die Organisation. Auch Jürgen Brand, Richter am Bundesfinanzhof und Präsident des Deutschen Finanzgerichtstages, erklärte, die Einführung der Parameter Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit lasse dem Wortlaut nach „selbst bei sich aufdrängenden Zweifeln ein Absehen von weiterer Prüfung durch die Finanzbehörde zu“. Dies könne selbst dann passieren, wenn eine solche Prüfung rechtlich und tatsächlich möglich, verhältnismäßig und zumutbar sowie „im Rahmen der vorhandenen (unzureichenden) Ressourcen machbar“ ist. Brand bejahte die Frage, ob der Begriff der Wirtschaftlichkeit wegfallen könnte. Der Begriff sei kontraproduktiv. Eine ähnliche Auffassung vertrat auch die Deutsche Steuergewerkschaft.

Grundsätzlich begrüßt wurde das Gesetzesvorhaben vom Bundesrechnungshof, der sich jedoch auch dafür aussprach, die unbestimmten Rechtsbegriffe Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu präzisieren beziehungsweise zu erläutern. Auch die als IT-Dienstleister für die steuerberatenden Berufe tätige DATEV erklärte die zunehmende Digitalisierung und elektronische Kommunikation im Besteuerungsverfahren für alternativlos und begrüßte den Grundtenor des Entwurfs. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft begrüßte in seiner Stellungnahme, die von den anderen Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft und Banken mitgetragen wurde, dass das Besteuerungsverfahren weiter digitalisiert und automatisiert werden solle. Erleichterungen dürfe es jedoch nicht nur für die Finanzverwaltung geben, sondern auch für die Wirtschaft, die eine hohe Bürokratiebelastung durch die mit dem Steuerrecht verbundenen Informationspflichten habe.

In der Stellungnahme der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit heißt es, vermisst werde ein Auskunftsanspruch gegenüber der Finanzverwaltung und eine Unterrichtungspflicht der Finanzverwaltung.

Welche Auswirkungen ein Verspätungszuschlag haben könnte, machten Steuerberaterverband und Lohnsteuerhilfevereine in einer gemeinsamen Stellungnahme deutlich: Danach kommt ein Rentner im Mai des Jahres 2020 zu Beratung, um prüfen zu lassen, ob er verpflichtet ist, eine Steuererklärung abzugeben. Der Berater stellt fest, dass für die Jahre 2017 bis 2019 eine Steuererklärung hätte abgegeben werden müssen. Nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung kommt es zu keiner Steuerfestsetzung. Dennoch sei nach der Neuregelung ein Verspätungszuschlag in Höhe von 1.800 Euro festzusetzen.

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