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02.06.2016 Recht und Verbraucherschutz — Anhörung — hib 324/2016

Breites Ja zu „Nein heißt Nein“

Berlin: (hib/PST) Bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses über drei Gesetzentwürfe zur Reform des Sexualstrafrechts hat sich eine breite Zustimmung zu einer Lösung gezeigt, die sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer Person generell unter Strafe stellt. Die beiden im vergangenen Jahr eingebrachten Gesetzentwürfe der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen (18/5384) und Die Linke (18/7719) sind, wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung, solche „Nein-heißt-Nein“-Lösungen. Dagegen geht der zuletzt von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf (18/8210) einen anderen Weg. Er fügt den bestehenden Tatbestandsmerkmalen, die zur Strafbarkeit eines sexuellen Übergriffs führen, weitere Merkmale hinzu, um Schutzlücken zu schließen. Allerdings wird dieser Weg auch von den Koalitionsfraktionen nicht weiterverfolgt.

Bei der Anhörung am Mittwoch, der auch zahlreiche Abgeordnete anderer Ausschüsse beiwohnten, wies von den sieben Sachverständigen einzig der Tübinger Strafrechtler Jörg Eisele auf Vorzüge auch des Regierungsentwurfs für ein „Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“ hin. Angesichts der Schwierigkeiten insbesondere bei Beziehungstaten, dem Beschuldigten eine Straftat nachzuweisen, sei es für die Justiz hilfreich, Kriterien im Gesetz vorzufinden. Eisele schlug deshalb vor, die auch von ihm befürwortete Nein-heißt-Nein-Lösung durch einige konkrete, „vertypisierte“ Tatmerkmale zu ergänzen.

Die Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm ging auf den Einwand gegen eine Nein-heißt-Nein-Regelung ein, dadurch werde Falschbeschuldigungen der Boden geebnet. Diese Sorge, sagte Clemm, sei seinerzeit auch gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe geäußert worden. Sie habe sich aber nicht bestätigt. Die Fallzahlen unterschieden sich hier nicht vor denen bei anderen Delikten.

Unterschiedlich wurden die verschiedenen Lösungsvorschläge für die in der Justizpraxis häufig auftretenden Fälle bewertet, in denen das Opfer eines sexuellen Übergriffs nicht zu einem klaren Nein in der Lage ist, sei es aus Angst in einer Gewaltbeziehung, sei es aufgrund einer Behinderung oder Krankheit oder aus anderen Gründen. So plädierte die Berliner Strafrechtlerin Tatjana Hörnle einerseits nachdrücklich für die Formulierung „Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit“ im Gesetzentwurf der Grünen, fand aber andererseits die Fälle, die sich in einem Klima der Angst ereignen, einzig im Regierungsentwurf gut gelöst.

Schon vor Sitzungsbeginn fanden die Parlamentarier und Sachverständigen ein Eckpunktepapier von acht SPD- und CDU-Abgeordneten als Tischvorlage vor. Ebenso wie die Gesetzentwürfe der Linken „zur Änderung des Sexualstrafrechts“ und der Grünen „zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung“ plädiert auch dieses Papier für eine „Reform des Sexualstrafrechts mit dem Grundsatz Nein heißt Nein“. Wesentlichster Unterschied zu den Gesetzentwürfen der Oppositionsfraktionen sind neue Strafbestimmungen gegen „Grapschen“ sowie gegen Übergriffe aus einer Gruppe heraus. Sie sind eine Reaktion auf die neuartigen sexualisierten Taten, wie sie in der Silvesternacht in Köln in Erscheinung getreten waren. Damals waren die Reformvorschläge der Opposition bereits in die parlamentarische Beratung eingebracht. Diese Eckpunkte waren zwar nicht offiziell Gegenstand der Anhörung, doch mit Einwilligung der Ausschussvorsitzenden Renate Künast (Grüne) nahmen die Sachverständigen auch dazu Stellung.

Mehrheitlich befürworteten die Sachverständigen den Vorschlag, das „Grapschen“, also das Befummeln im Schritt und am Busen, als eigenen Straftatbestand einzuführen. Bisher bleibt dies häufig straflos, wenn es oberhalb der Kleidung erfolgt. Nach den Vorfällen in Köln seien die Menschen darüber überrascht gewesen, stellte Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund fest, und forderte eine Anpassung der Rechtslage an das Rechtsempfinden der Bürger. Umstritten war allerdings, ob dafür ein neuer Straftatbestand der „tätlichen sexuellen Belästigung“, wie ihn das Eckpunktepapier vorsieht, hilfreich und wie genau er abzugrenzen wäre. Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte verwies hier auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), in dem der Begriff der sexuellen Belästigung eingeführt und genau geregelt sei. Roswitha Müller-Piepenkötter, Bundesvorsitzende der Opferhilfeorganisation Weisser Ring, störte sich an dem Begriff der „Tätlichkeit“. Dieser werde in der Rechtssprache als Vorstufe zur Körperverletzung benutzt und setze eine Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens voraus. Da dies beim Grapschen oft nicht erfüllt sei, plädierte Müller-Piepenkötter dafür, stattdessen von sexueller Belästigung „durch eine körperliche Berührung“ zu schreiben. Ein geteiltes Echo fand der Vorschlag, die bloße Teilnahme an einer Gruppentat strafbar zu machen, weil hier oft schwer bestimmte Handlungen konkreten Personen zuzuordnen sind. Während beispielsweise der Bamberger Leitende Oberstaatsanwalt Erik Ohlenschlager nachdrücklich dafür plädierte, wies Rabe auf Abgrenzungsprobleme hin, wenn jemand nur unbeteiligt dabeistehe.

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