Tragweite der Cum/Ex-Geschäfte nicht erkennbar
Berlin: (hib/mwo) Bei der letzten öffentlichen Sitzung des 4. Untersuchungsausschusses (Cum/Ex) vor der Sommerpause ging es am Donnerstag vor allem um eine Tagung der Einkommensteuerreferatsleiter der Finanzministerien der Länder Ende Oktober 2005. Dieses Treffen diente der Vorbereitung des Jahressteuergesetzes 2007, mit dem die steuermissbräuchlichen Aktienleerverkäufe um den Dividendenstichtag zumindest im Inland unterbunden wurden.
Zu diesem Themenkomplex befragte der Ausschuss vier der damals beteiligten Referenten. Sie sagten übereinstimmend aus, dass zum Zeitpunkt der Sitzung das Thema Cum/Ex keinen besonderen Stellenwert gehabt habe und derartige Geschäftsmodelle nicht bekannt gewesen seien. Es sei einer von vielen Tagesordnungspunkten gewesen. Rudolf Seibert, Ministerialrat a. D. aus Hessen, erklärte, die Länder hätten sich einstimmig dafür ausgesprochen, die Praxis der doppelten Steuererstattung zu unterbinden. Michael Schwenke, damals Referatsleiter im bayerischen Finanzministerium und heute Richter im Bundesfinanzhof, sagte aus, das Gesetzgebungsverfahren „lief glatt durch“.
Die einschlägige Gesetzespassage ging auf einen Vorschlag des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) zurück, ließ ausländische Banken aber außen vor. Ein erneuter Anlauf zu einem generellen Verbot der doppelten Steuererstattung wurde erst wieder 2009 unternommen, mit dem Ergebnis der Neuregulierung des Kapitalsteuerabzugs bei Dividendenzahlungen ab 2012.
Bezüglich einer kritischen Stellungnahme aus Nordrhein-Westfalen zum BdB-Vorschlag gaben die Zeugen zu Protokoll, diese sei zwar bekannt gewesen, aber nicht weiter verfolgt worden, weil das Ziel darin bestanden habe, die Erstellung von mehreren Bescheinigungen für eine einmal gezahlte Steuer zu unterbinden und dies nur auf gesetzlichen Wege möglich gewesen sei. Dass das Cum/Ex-Gestaltungsmodell dann auf ausländische Banken verlagert wurde, sei für die Finanzverwaltung damals nicht erkennbar gewesen, sagte der ehemalige Leiter des Steuerreferats des baden-württembergischen Finanzministeriums, Dietrich Weilbach, heute Finanzpräsident der Oberfinanzdirektion Karlsruhe. Das „Gestaltungspotenzial“ dieser Geschäfte habe man nicht gesehen, sagte Weilbach und verglich die Arbeit der Steuerbehörden mit einem „Hase-und-Igel-Spiel“.
Erst 2009 seien Informationen aus dem Bundesfinanzministerium gekommen, wonach mit diesen Geschäften „ein großes Rad gedreht“ werde, und man habe zu recherchieren begonnen, sagte Weilbach. Dabei sei man darauf gestoßen, dass steuerschädliche Cum/Ex-Gestaltungen verschleiert wurden. Dies sei dann ab 2012 mit dem OGAW-4-Gesetz unterbunden worden.
Ministerialrat Christoph Schmitz vom Finanzministerium Nordrhein-Westfalens wurde unter anderem zu der Stellungnahme aus seinem Hause befragt. Eine Mitarbeiterin des Ministeriums hatte in der Ausschusssitzung vom 9. Juni ausgesagt, dass sie im Vorfeld der Referententagung eine ablehnende Stellungnahme zu dem BdB-Vorschlag verfasst habe. Schmitz sagte, dabei sei es um das Problem des wirtschaftlichen Eigentums bei einem Leerverkauf gegangen, man habe aber eine Lösung für das Problem fehlerhafter Steuerbescheinigungen haben wollen. Daher sei die Stellungnahme nicht weiter verfolgt und der Vorstoß des Bundesfinanzministeriums zu einer gesetzlichen Änderung unterstützt worden. Über das mögliche Ausmaß solcher Geschäfte sei damals nicht gesprochen worden, sagte Schmitz. „Keiner hatte den Hauch einer Ahnung, was sich hinter dem Problem verbirgt“, fügte er hinzu.
Anschließend befragte der Ausschuss BaFin-Exekutivdirektor Raimund Röseler, der in der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht seit 2011 die Bankenaufsicht leitet. Röseler gab zu Protokoll, dass seine Behörde nicht für die Verfolgung steuerrechtlicher Verstöße zuständig sei. Um im Rahmen ihres Auftrages tätig zu werden, brauche die BaFin Hinweise der zuständigen Behörden. Dieser Austausch sei in der Vergangenheit wegen einer gesetzlichen Besonderheit erschwert gewesen, sagte Röseler. Im Zuge einer Gesetzesänderung im November 2015 habe sich die Zusammenarbeit, zum Beispiel mit der Steuerfahndung Wuppertal, aber auch mit den Staatsanwaltschaften, intensiviert. Vom Bundesfinanzministerium habe die BaFin keine Hinweise erhalten.
Wie Röseler weiter sagte, sei die BaFin bis 2015 von Einzelfällen ausgegangen, habe ihre Einschätzung der Cum-Ex-Geschäfte seit der Schließung der Maple Bank wegen hoher Steuerrückforderungen und drohender Überschuldung jedoch ändern müssen. Bis zu diesem Zeitpunkt habe man die bei derartigen Fällen zurückzuzahlenden Beträge nicht für existenzbedrohend gehalten.
Befragt nach den Hintergründen der Cum/Ex-Umfrage der BaFin unter 1.600 deutschen Banken Anfang 2016, sagte Röseler, primär seien dies die Erfahrungen mit der Maple Bank gewesen, eine Rolle hätten aber auch Berichte gespielt, wonach 129 Banken in solche Geschäfte verstrickt sein sollen. Ein Abgleich mit den Daten der Wuppertaler Steuerfahndung habe ergeben, dass neben ausländischen Banken etwa 40 deutsche Kreditinstitute von dem Problem betroffen sind. Die Umfrage habe die Fälle bestätigt, die der BaFin bekannt gewesen seien. Zur Höhe möglicher Steuerausfälle sagte Röseler, nach den ihm vorliegenden Zahlen handele es sich bis jetzt um eine Milliarde Euro, was „weit entfernt“ von den im Umlauf befindlichen Schätzungen sei.
Der BaFin-Exekutivdirektor beklagte, dass es im seinem Haus keine Steuerexpertise gebe und man sich daher zu sehr auf externe Wirtschaftsprüfer verlassen müsse. Zwar würde dabei auf mögliche Interessenkonflikte geachtet, aber eine der Schlussfolgerungen könnte sein, so Röseler, Ressourcen aufzubauen um mehr Prüfungen eigenständig durchführen zu können.
Nach den Worten des Ausschussvorsitzenden Hans-Ulrich Krüger (SPD) liegt das Gremium mit seiner Arbeit im „sehr ambitionierten“ Zeitplan. „Es wird anstrengend, aber wir werden es schaffen“, sagte Krüger über die Zeit nach der Sommerpause. Die bisherigen Anhörungen hätten Hinweise darauf gegeben, so Krüger, dass Banken und ihre Verbände Behörden und Ministerien bewusst über Gestaltungsmöglichkeiten im Unklaren gelassen haben. Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Christian Hirte (CDU), sagte in einer Bilanz der bisherigen Arbeit, das Bild sei „differenzierter geworden“. Er fügte hinzu: „Welche Rolle die Banken bei der Täuschung der Finanzverwaltung wirklich spielten, werden wir noch beleuchten - und ebenso, warum der Gesetzgeber vor 2007 zunächst zu einem untauglichen Mittel griff.“
Linke-Obmann Richard Pitterle sieht das ähnlich. Er sagte: „Die Finanzverwaltung ließ anscheinend gleich mehrfach Gelegenheiten aus, den Machenschaften auf den Grund zu gehen und die Geschäfte wirksam zu unterbinden - hier wird der Untersuchungsausschuss nach der Sommerpause verstärkt ansetzen müssen.“ Gerhard Schick, Obmann der Grünen, erklärte, das Gremium habe bereits jetzt „eklatante Fehlleistungen der Finanzverwaltung“ zutage gefördert. So sei blind auf die Beratung des Bankenverbandes vertraut worden. Nach der Sommerpause werde sich der Ausschuss deshalb ausführlich dem Bundesfinanzministerium widmen. Daneben würden auch die Verantwortlichen von Privatbanken und Steuerberater, die die Cum/Ex-Geschäfte gestrickt haben, angehört.
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