Schulverpflegung wird immer wichtiger
Berlin: (hib/EIS) Der Verpflegung von Kindern in Kitas und Schulen messen Experten eine wachsende Bedeutung zu. Ob diese aber kostenfrei sein sollte und für alle gleich, darüber waren sich die Sachverständigen in einer Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft nicht einig. Die Anhörung erfolgte auf Grundlage eines Antrags der Fraktion Die Linke, die von der Bundesregierung die Einrichtung eines Bundesprogramms zur Kita- und Schulverpflegung (18/8611) fordert. Danach sollen bundesweit alle Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen sowie Horteinrichtungen und Einrichtungen in der Tagespflege mit Ganztagsangebot eine beitragsfreie, altersgerechte, abwechslungsreiche und ansprechende Essensversorgung anbieten. Der Bund soll zur Finanzierung der Forderung ausreichend Mittel zur Verfügung stellen und mit den Bundesländern Vereinbarungen treffen, damit diese die Finanzmittel entsprechenden Einrichtungen zur Verfügung stellen. Für jedes Kind und jeden Jugendlichen soll eine Pauschale von 4,50 Euro pro Verpflegungstag veranschlagt werden.
Mittlerweile würden in Deutschland über sechs Millionen Kinder und Jugendliche schulische Ganztagsangebote nutzen. „Durch den Ausbau der Ganztagsschulen wird das Angebot der Verpflegung immer wichtiger“, stellte Alois Gerig (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft, zu Beginn der Anhörung fest. Eine gute Qualität des Essens und der Nährstoffversorgung könne die körperliche und geistige Entwicklung der Heranwachsenden befördern und vor ernährungsbedingten Erkrankungen schützen. Schon früh werde auf diese Weise das Bewusstsein für die richtige Ernährung gefördert, spätere Gesundheitskosten könnten vermieden und gleichzeitig die Wertschätzung für gute Nahrungsmittel befördert werden. Werner Ebert von der Stadt Nürnberg konstatierte aus seiner Erfahrung, dass Kinder in Kitas und Schulen wenig über das Thema Landwirtschaft, Tierhaltung und gesundes Essen wissen. Auch komme es vor, dass Kinder ohne Frühstück in die Schule geschickt würden. Zudem habe sich das System der Versorgung von Schulen geändert: „Es wird in der Schule nicht mehr frisch gekocht.“ Ohne es konkret bewerten zu wollen, stellte Ebert fest, dass sich ein System von Zulieferern in Form von Catering-Services etabliert habe. In den Schulen werde das Thema Ernährung zudem als lästige Aufgabe empfunden. Die Stadt Nürnberg habe in dem Thema jedoch die Chance gesehen, die Versorgung der Bildungseinrichtungen zu verbessern und die regionale Landwirtschaft zu fördern. Die Kommune habe sich bis zum Jahr 2020 zum Ziel gesetzt, bei der Kita-Verpflegung einen Bioanteil von bis zu 75 Prozent und für Schulen von 50 Prozent zu erreichen. „Dadurch sollen regionale Kreisläufe gefördert und die Großstadt als Markt für Betriebe im Umland erschlossen werden“, sagte Ebert. Er plädierte dafür, die sogenannten DGE-Standards „verbindlicher zu machen“. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Qualitätsstandards für öffentliche Einrichtungen formuliert, die zur Orientierung öffentlicher Einrichtungen und Anbieter dienen sollen.
Dass die Schulverpflegung abwechslungsreich und gesund sein soll, darin seien sich alle einig, meinte Angelika Reiter Nüssle vom bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Doch kritisierte die Expertin den Ansatz des Antrags der Linksfraktion, der von oben nach unten Vorschriften machen wolle. Das Land Bayern setze hingegen darauf, dass auf lokaler Ebene Schulen, Eltern und Kommunen gemeinsam die Verpflegung organisieren. Zur Unterstützung habe das Land acht regionale Schulvernetzungsstellen eingerichtet, die die Verantwortlichen beraten und betreuen würden. Reiter Nüssle stellte fest, dass sich bereits dadurch laut Evaluationen die Qualität des Essens verbessert habe. Die Freiwilligkeit müsse der Grundsatz sein. Angelika Reiter Nüssle sah das Land Bayern auf einem guten Weg zur guten Verpflegung, aber es müsse noch mehr getan werden. In der Praxis würden zum Beispiel viele Schulen vor Zertifizierungen zurückschrecken, weil diese als zu kompliziert wahrgenommen würden, obwohl viele Einrichtungen alle nötigen Voraussetzungen dafür erfüllen würden.
Gute Erfahrungen habe Finnland mit der kostenlosen Kita- und Schulverpflegung gemacht. Marjaana Manninen vom Finnish National Board of Education stellte die präventive Wirkung heraus, denn zu viel Fett, zu viel Zucker, zu viel Übergewicht und schlechte Ernährungsgewohnheiten seien das Grundproblem in der Ernährung der Menschen in vielen Ländern. Diesen Problemen zu begegnen, sei eine wichtige volkswirtschaftliche Aufgabe, weil sich solche Angewohnheiten bis in das Erwachsenenalter auswirken würden. In dem skandinavischen Land werde ein unentgeltliches tägliches Schulessen von den Schulklassen eins bis neun gesetzlich garantiert. Kinder hätten darauf einen Anspruch, dem entsprechende Bildungsanbieter durch staatliche Subventionen nachkommen könnten. Die Bildungsträger seien jedoch frei, das Geld nach eigenem Ermessensspielraum einzusetzen. Die Wissenschaftlerin Anke Oepping von der Universität Paderborn sah die Einbettung der Verpflegung in pädagogische Konzepte als noch nicht gelungen an. Die DGE-Qualitätskriterien für die Schulverpflegung hob sie als eine gute Grundlage hervor. Oepping wies zudem darauf hin, dass die Organisation der Verpflegung nicht nach einem einheitlichen Schema erfolgen kann. So sei unter anderem die Struktur in der Kita-Verpflegung anders als in der Schulverpflegung. Im Hinblick auf die Akzeptanz von Schulessen unter den Kindern und Jugendlichen meinte die Wissenschaftlerin, dass diese nicht unbedingt mit der Freistellung der Mahlzeiten steigen müsse. „Auch stellt sich eine Qualitätsverbesserung durch kostenfreie Leistungen nicht ein, wenn die Infrastruktur vor Ort nicht stimmt“, sagte Oepping.
Ob mit einer Gießkanne oder doch lieber durch schulspezifische Maßnahmen die Verpflegung an Schulen und Kitas geregelt werden sollte, fragte Beate Proll vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg, wenn dadurch Bildungsgerechtigkeit gefördert oder herstellt werden soll. „In Hamburg ist die Ganztagsschule eher der Standard“, sagte Proll. Immer mehr Kinder und Jugendliche würden die Schulverpflegung nutzen. Die Hanseatin hob hervor, dass im Sinne des Konzeptes der selbstverantwortlichen Schule außerdem die Frage beantwortet werden müsse, wie viele von oben getroffene Maßnahmen notwendig sind. Kontinuität statt „Projekteritis“ forderte Sabine Schulz-Greve von der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung Berlin e.V. in der Anhörung. Die Vernetzungstellen seien die Schnittstelle zwischen der Bildung, der Landwirtschaft und der Gesundheit und würden mit dem Ziel einer besseren Verpflegung alle „mit ins Boot nehmen“ wollen. Doch weil in den Ländern die Stellen nur auf Basis von Projekten laufen würden, stehe die Dauerhaftigkeit der Arbeit dadurch in Frage. In der Regel gebe es nur einjährige Förderungen, die eine stetige Arbeit und Personalplanung behindere. Fortschritte würden dennoch gemacht, weil im Rahmen von Ganztagsschulen das Mittagessen mittlerweile als Teil des Bildungsprogramms verstanden werde. „Das ist gut so“, sagte Schulz-Greve und forderte, dass alle Schulträger nach den DGE-Standards entsprechende Dienstleistungen ausschreiben sollten.
Aus juristischer Perspektive beleuchtete Johanna Wolff vom Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer eine Grundgesetzveränderung in Bezug auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, die der Antrag der Linksfraktion erforderlich mache. Denn der Bund und die Länder sollen nach dem Konnexitätsprinzip die Ausgaben voneinander getrennt tragen, die aus ihrer Wahrnehmung der Aufgaben entstehen. Es gelte die Subsidiarität im Föderalismus zu beachten, die den Bundesländern die Hoheit über Bildungsfragen zuweise. Zwar dürfen laut Artikel 91b des Grundgesetzes der Bund und die Länder aufgrund überregionaler Bedeutung in Bildungsfragen zusammenarbeiten, jedoch müsse dann der Umfang der Kooperationsmöglichkeiten genau beschrieben werden. Das Kooperationsverbot im Bildungsbereich komplett aufzuheben, wie im Antrag vorgeschlagen, sei jedoch zu umfangreich und würde ohne Änderung des Grundgesetzes durch den Bundestag und den Bundesrat nicht gelingen. Auch müsste dafür eine politische Mehrheit gewonnen werden, die eher unwahrscheinlich zu organisieren sei.
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