BND ohne Gespür für politische Risiken
Berlin: (hib/WID) Vor dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA) hat ein weiterer Zeuge dargelegt, dass im Bundesnachrichtendienst (BND) bis ins Jahr 2013 hinein kein Bewusstsein für die politische Problematik der Ausspähung von Zielen mit EU- und Nato-Bezug bestand. Es habe über die Kriterien, nach denen entsprechende Suchmerkmale einzusetzen waren, auch keine Diskussionen gegeben, sagte der ehemalige Abteilungsleiter Hartmut Pauland in seiner Vernehmung am Donnerstag. Der heute 61-jährige Brigadegeneral stand von Anfang 2012 bis Oktober 2015 an der Spitze der Abteilung Technische Aufklärung (TA), die im BND für die Organisation von Überwachungsmaßnahmen zuständig ist.
Schon bei seinem Dienstantritt beim BND sei ihm aufgefallen, berichtete Pauland, wie stark in seiner Abteilung „alle auf die G10-Filterung fixiert“ waren. Das G10-Gesetz regelt, unter welchen Umständen deutsche Staatsbürger, die im Prinzip den Schutz des grundgesetzlich verbürgten Fernmeldegeheimnisses genießen, abgehört werden dürfen. Es habe also in der Abteilung TA ein in langjähriger Praxis geschärftes Bewusstsein dafür bestanden, dass deutsche „Grundrechtsträger“ im allgemeinen von der Fernmeldeüberwachung auszunehmen waren. Dagegen sei das Augenmerk für sonstige politische Risiken, die mit dem Einsatz bestimmter Selektoren einhergehen konnten, wie Pauland einräumte, „ein bisschen verkümmert“ gewesen: „Ich habe gleich versucht, es anders zu machen.“
In den entscheidenden Monaten des Jahres 2013 sei er allerdings kaum handlungsfähig gewesen. Im Juni habe „die Snowden-Geschichte den Tagesablauf auf den Kopf gestellt. Man konnte nur noch Fragen beantworten, Stellungnahmen schreiben, in alten Unterlagen nachsuchen“. Pauland wurde Mitglied einer Arbeitsgruppe, die beim Bundesinnenminister angesiedelt war und die Reaktionen auf Edward Snowdens Enthüllungen zu koordinieren hatte. Er habe in dieser Zeit seinen Schreibtisch in der BND-Zentrale nur selten gesehen: „Am Ende der Prozedur stand mein Schlaganfall Ende August.“ Erst zwei Monate später sei er mit stark reduzierten Arbeitszeiten wieder im Dienst gewesen und habe im November 2013 noch einen einwöchigen Erholungsurlaub nehmen müssen.
In diese Wochen fiel die Entdeckung, dass auch der BND in der strategischen Fernmeldeaufklärung Selektoren einsetzte, die zur Ausspähung „befreundeter“ Ziele geeignet waren. Hauptsächlich mit dem Thema befasst war Paulands Unterabteilungsleiter D.B. Dieser nahm am 28. Oktober 2013 den Anruf des damaligen BND-Präsidenten Gerhard Schindler entgegen, der die Anweisung übermittelte, die brisanten Suchmerkmale unverzüglich abzuschalten. D.B. habe ihn vermutlich vor seinem Urlaub im November von dem Telefonat unterrichtet, meinte Pauland.
Der Umgang mit der neuen Weisungslage sei allerdings schwierig gewesen. Sie habe schließlich einen „massiven Umbau und Einschnitt“ in der bisherigen Praxis bedeutet: „Man muss erst mal die Reaktionen abwarten, was kommt, wenn soviele Selektoren herausgenommen werden.“ Im Laufe der folgenden Wochen seien daher einige der zunächst abgeschalteten Selektoren reaktiviert worden. Im Februar 2014, berichtete Pauland, habe er in einem Telefonat mit dem BND-Präsidenten Vorschläge unterbreitet, um Ordnung in das neue Verfahren zu bringen. Er habe es selbst übernommen, eine entsprechende schriftliche Weisung auszuarbeiten, die im März zunächst als Kurzfassung, im April in ausführlicher Form mit Fallbeispielen vorgelegen habe.
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