+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

20.01.2017 3. Untersuchungsausschuss (NSU) — Ausschuss — hib 33/2017

Gewalttäter im Dienste des Verfassungsschutz

Berlin: (hib/FZA) Der Neonazi und einstige V-Mann Carsten Szczepanski alias „Piatto“ war eine gute Quelle. Das attestiert jedenfalls der ehemalige stellvertretende Leiter des Verfassungsschutz Brandenburg, Jörg Milbradt, der als Zeuge vor dem 3. Untersuchungsausschuss (NSU II) des Bundestages unter Vorsitz von Clemens Binninger auftrat.

Milbradt, der mittlerweile Rentner ist, war von 1991 bis 2004 für den Verfassungsschutz Brandenburg tätig. Die anhaltende öffentliche Kritik an seinem einstigen Arbeitgeber im Zuge der Enthüllungen um die rechte Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) teilt Milbradt offenkundig nicht. Den Vorwurf, die Verfassungsschutzbehörden hätten die Gefahren des Rechtsterrorismus in Deutschland verharmlost oder diesen sogar aktiv begünstigt, könne er für seine Behörde nicht gelten lassen. Im Gegenteil habe man in Brandenburg bereits früh Ansätze rechtsterroristischer Strukturen erkannt und sei dagegen vorgegangen, sagte Milbradt.

Auch den umstrittenen V-Mann Piatto alias Szczepanski nahm Milbradt in Schutz. Die Informationen, die Piatto geliefert habe, seien unter anderem Grundlage für mehrere erfolgreiche Verbotsverfahren gegen rechtsextreme Vereinigungen gewesen, so auch gegen den deutschen Ableger des internationalen Neonazi-Netzwerks „Blood & Honour“, an dessen Aufbau Szczepanski selbst beteiligt gewesen sein soll und zu dem auch mutmaßliche Unterstützter des NSU wie der sächsische Neonazi Jan Werner gehörten.

Tatsächlich war Szczepanski bis zu seiner Enttarnung im Sommer 2000 einer der umtriebigsten Spitzel im rechtsextremen Milieu. Anfang der 1990er Jahre war er unter anderem Rädelsführer eines deutschen Ablegers des Ku Klux Klan und stieg bald darauf zu einer der einflussreichsten Figuren in der militanten Neonaziszene auf - einschließlich bester Kontakte ins Ausland. Im Februar 1995 wurde er wegen versuchten Mordes an einem nigerianisch-stämmigen Lehrer zu acht Jahren Haft verurteilt. Das hielt den brandenburgischen Verfassungsschutz jedoch nicht davon ab, Szczepanski aus der Untersuchungshaft heraus als Informanten zu werben und ihn später unter anderem als Funktionär in die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) einzuschleusen.

Ein Umstand, für den der Vorsitzende Binninger deutliche Kritik fand. Das Anwerben eines Gewalttäters wie Szczepanski überschreite eine rote Linie, sagte Binninger und verwies auf eine entsprechende Gesetzesänderung, die auf Empfehlung des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages angestoßen worden ist. Danach ist es mittlerweile verboten, verurteilte Straftäter als Informanten zu werben. Milbradt wiederum betonte, seine Behörde sei nicht selbst auf Szczepanski zugegangen, vielmehr habe der sich aus der Haft heraus selbst als Quelle angeboten. Die Rekrutierung Szczepanskis sei zwar ein „offenkundiges moralisches Übel“ gewesen, aus damaliger Sicht jedoch ein notwendiges.

Wie ebenfalls durch die Untersuchungen im NSU-Komplex bekannt geworden ist, lieferte Szczepanski im Auftrag des Verfassungsschutzes zwischen August und Oktober 1998 auch Informationen über das NSU-Trio, zu einem Zeitpunkt also, als die Gruppe gerade erst untergetaucht war und lange bevor sie ihre ersten Mordanschläge an insgesamt neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin beging. Szczepanski berichtete damals von drei sächsischen Skinheads, die auf der Flucht seien und sich nach Südafrika absetzen wollten. Die drei stünden in Kontakt mit Jan Werner, der ihnen Waffen für Überfälle besorgen solle.

Der Auftrag für diese Informationsbeschaffung kam, wie Mildbradt jetzt vor dem Ausschuss bestätigte, direkt vom Verfassungsschutz. In diesem Zusammenhang fragten die Abgeordneten auch nach einer SMS, die Jan Werner am 25. August 1998 an Szczepanskis Diensthandy geschrieben haben soll und in der Werner fragt: „Hallo, was ist mit dem Bums?“. Naheliegend sei, so befand auch Milbradt, dass es dabei um die besagte Waffenbeschaffung ging. Weitere Hintergründe zu der SMS konnte der Zeuge allerdings nicht liefern. Er bestätigte nur, was vor ihm schon andere Verfassungsschützer ausgesagt haben: Die fragliche SMS habe Szczepanski nie erreicht. Sein Handy sei kurz zuvor abgeschaltet und ausgetauscht worden, weil es bei einer Telefonüberwachung von Werner durch das BKA aufgetaucht war und eine Enttarnung des V-Manns drohte.

Milbradt gab ebenfalls an, der Verfassungsschutz habe damals keinerlei Einfluss auf die Haftbedingungen seines V-Manns genommen, sondern einzig finanzielle Zuwendungen geleistet. Die Gefängnisleitung sei über Szczepanskis Tätigkeit als Spitzel informiert gewesen. Auffällig ist, dass Szczepanski ungewöhnlich früh Freigang bekam und zudem scheinbar unbehelligt aus dem Gefängnis heraus die rechtsextreme Zeitschrift „United Skins“ vertreiben konnte. Der Ausschuss konfrontierte Milbradt außerdem mit dem nicht weiter belegten Vorwurf, Szczepanski habe bereits vor 1994 für eine andere Verfassungsschutzbehörde als Informant gearbeitet. Dafür gebe es keinerlei Hinweise.

Marginalspalte