Steinbrück hofft auf Staatsanwaltschaft
Berlin: (hib/MWO) Der frühere Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat nach eigenen Worten erst im Mai 2009 von den sogenannten Cum/Ex-Geschäften erfahren, bei denen der Fiskus über viele Jahre Steuern erstattete, die nie abgeführt wurden. Wie Steinbrück, der von November 2005 bis Oktober 2009 Bundesfinanzminister war, als Zeuge vor dem 4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex) des Bundestages aussagte, ging es damals um Steuermindereinnahmen durch Leerverkäufe von Aktien um den Dividendenstichtag, bei denen eine einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach erstattet wurde. Von Cum/Ex sei damals noch nicht die Rede gewesen, sagte Steinbrück in der von Hans-Ulrich Krüger (SPD) geleiteten öffentlichen Sitzung.
Neben den daraufhin verfassten Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) zur Unterbindung dieser Geschäfte habe er auch eine grundlegende Lösung prüfen lassen, die eine radikale Umstellung der bisherigen Praxis beinhaltet habe. Die bis dahin unternommenen Schritte hätten sich sehr schnell als unzureichend erwiesen. Diese angedachte radikale Umstellung habe die Verlagerung des Steuerabzugs vom Emittenten zur depotführenden Bank vorgesehen, sagte Steinbrück auf ein Frage des Linke-Obmanns Richard Pitterle. Allerdings waren die steuermissbräuchlichen Transaktionen erst durch das OGAW-IV-Umsetzungsgesetz mit Wirkung ab 1. Januar 2012 nicht mehr möglich.
Zum Jahressteuergesetz 2007, mit dem die Cum/Ex-Geschäfte nicht wie geplant unterbunden wurden, sagte Steinbrück bezugnehmend auf Kritik an dem damaligen Vorgehen, niemand, auch nicht im Bundestag, habe im Gesetzgebungsprozess auf mögliche Lücken hingewiesen. Auf eine Frage des Obmanns der Unions-Fraktion, Christian Hirte, (CDU) sagte Steinbrück: „Niemand hat gesagt: Vorsicht an der Bahnsteigkante, da passiert was.“ Er sei damals „nicht viel schlauer gewesen als Sie“. Im Nachhinein sei klar gewesen, dass damit nur ein erster Schritt gemacht worden sei. Allen an den Geschäften Beteiligten hätte klar sein müssen, dass diese illegal seien. Ausländische Banken seien damals zwar nicht erfasst worden, aber die deutschen Institute hätten wissen müssen, „dass sie sich kriminell verhalten“.
Vorwürfe, an der Gesetzgebung zu den Cum/Ex-Geschäften hätten die Bankenverbände mitgearbeitet, wies Steinbrück zurück. Die Vorstellung, dass jemand im Sinne von Lobbyinteressen die Gesetzgebung der Bundesrepublik beeinflussen könnte, sei nicht zutreffend. Außerdem müsse man vorsichtig damit sein, die Vorgänge von damals mit dem heutigen Erkenntnisstand zu bewerten. Die Bankenverbände seien in den Beratungsprozess einzubeziehen, aber das Ministerium sei nicht deren „Vollzugsgehilfe“, eine solche Vorstellung halte er für „abwegig“.
Auf eine Frage des Grünen-Obmanns Gerhard Schick, wer denn im Ministerium die politische Verantwortung habe, sagte Steinbrück: „Im Zweifelsfall immer der Minister.“ Er müsse nicht Bescheid wissen, trage aber die Verantwortung. Leider habe er damals nicht gewusst, was er heute wisse. Nun habe er die Hoffnung, dass es den Staatsanwaltschaften gelingt, die Täter vor Gericht zu bringen. Die Vorstellung, das Ministerium sei „pfleglich mit den Banken umgegangen, gehört ins Märchenreich“, sagte Steinbrück.
Auf eine Frage des SPD-Obmanns Andreas Schwarz sagte Steinbrück, das Ministerium habe „erhebliche Schwierigkeiten“ mit Urteilen des Bundesfinanzhofes (BFH) gehabt. So sei ein Urteil aus dem Jahr 1999 der „Türöffner für solche Geschäfte“ gewesen. Eine Klarstellung des Urteils sei auch auf Drängen des BMF nicht erfolgt. Dabei sei es um die Frage des mehrfachen Eigentums an einer Aktie gegangen. Namentlich nannte Steinbrück den ehemaligen Vorsitzenden BFH-Richter Dietmar Gosch.
Vor Steinbrück vernahm der Ausschuss den ehemaligen beamteten BMF-Staatssekretär Hans Bernhard Beus und den Parlamentarischen Staatssekretär Michael Meister (CDU).
Beus, der von 2010 bis 2014 im BMF war, sagte auf eine Frage des Ausschussvorsitzenden Krüger, er habe vermutlich im Zuge der Vorbereitung des OGAW-IV-Umsetzungsgesetzes von Cum/Ex erfahren. Das Gesetz habe zum nächstmöglichen Zeitpunkt eingebracht werden wollen. 2011 sei dies aber wegen des Regierungswechsels und der erforderlichen Vorlaufzeit nicht mehr zu erreichen gewesen. Im Ministerium sei immer klar gewesen, dass es für die Steuererstattung nur einen Eigentümer geben konnte. Außerdem könnten nicht abgeführte Steuern nicht erstattet werden.
Erschwert worden sei die Situation dadurch, dass die Rechtslage „nicht so ganz eindeutig“ beurteilt worden sei, die Finanzgerichte die Arbeit nicht einfacher gemacht hätten und die Begründung des Jahressteuergesetzes 2007 dem Ministerium Probleme bereitet habe. Die Geschäfte, die daraufhin entwickelt worden seien, seien „außerhalb der Vorstellung“ gewesen. Danach sei klar gewesen, dass nur ein Systemwechsel helfen könne. Das Thema Cum/Cum - eine verwandte Form des Dividendenstrippings - sei im Zusammenhang mir dem OGAW-IV-Gesetz nicht diskutiert worden. Mit Minister Schäuble habe er möglicherweise im Zusammenhang mit dem OGAW-Gesetz über Cum/Ex gesprochen und erläutert, wie diese Geschäfte abliefen. Über Cum/Cum sei dabei nicht geredet worden.
Meister, seit Dezember 2013 im BMF, sagte, er könne sich nur zur Aufarbeitung der Cum/Ex-Fälle äußern, die von seinem Haus ernsthaft betrieben worden sei. Dazu habe der BFH mit einem Urteil vom April 2014 beigetragen und die rechtliche Grundlage für die Rückerstattung der zu Unrecht erstatteten Steuern gelegt. Das BMF sei diesem Verfahren beigetreten um Rechtssicherheit herzustellen und habe obsiegt. Es seien zwar noch Fragen offen, aber andere Gerichte hätten inzwischen die Rechtsauffassung des BMF bestätigt. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) habe mit Unterstützung des BMF den Eintritt der Verjährung bei allen Verdachtsfällen verhindert und so den Steuerausfall minimiert. Zur Höhe der Ausfälle könne niemand eine seriöse Aussage treffen. Dies werde erst möglich sein, sagte Meister, wenn alle Fälle aufgeklärt seien.
Meister beklagte, dass bestimmte Rechtsanwälte und Steuerberater mit fragwürdiger, fast krimineller Energie solche Geschäfte gemacht hätten. Das Berufsethos dieser Leute sei „bedenklich“. So sei in einem Schreiben von Rechtsanwälten an Schäuble das Vorgehen der Finanzverwaltung als „Pogromstimmung“ bezeichnet worden. Sogar ordentliche Universitätsprofessoren hätten bei den Geschäften mitgemacht. Zur Rechtsauffassung des BMF sagte Meister, die Praktiken seien stets für unzulässig und nicht legal bewertet worden. Eine strafrechtliche Bewertung müsse jedoch von den Staatsanwaltschaften vorgenommen werden. „Die strafrechtliche Relevanz haben wir nicht zu beurteilen“, sagte Meister.
Auf der vorerst letzten öffentlichen Sitzung am Donnerstag will der Ausschuss als einzigen Zeugen den amtierenden Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) befragen.
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