Kontroverse um Wissenschaftsschranke
Berlin: (hib/PST) Interessengegensätze von Wissenschaft und Lehre einerseits und Wissenschafts- und Lehrbuchverlagen andererseits hat eine öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses geprägt. Im Mittelpunkt stand dabei der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz)“ (18/12329). Mit ihm sollen die Regelungen für die erlaubte Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in Bildung und Wissenschaft sowie Bibliotheken, Museen und Archiven systematisiert und an die Bedingungen des digitalen Zeitalters angepasst werden.
Der Gesetzgeber soll zum einen festlegen, inwieweit urheberrechtlich geschützter Werke im Unterricht und in der Forschung frei genutzt werden dürfen und insoweit die Urheberrechte außer Kraft sind - die sogenannte Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Zum anderen soll sichergestellt werden, dass die Rechteinhaber eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke erhalten. So ist in dem Gesetzentwurf vorgesehen, dass an Bildungseinrichtungen „bis zu 15 Prozent eines veröffentlichten Werkes vervielfältigt, verbreitet, öffentlich zugänglich gemacht und in sonstiger Weise öffentlich wiedergegeben werden“ dürfen. Abbildungen sowie einzelne Zeitungs- und Zeitschriftenartikel dürfen in vollem Umfang für Unterricht und Lehre vervielfältigt werden. Ähnliche Regelungen sind für die wissenschaftliche Forschung vorgesehen.
Auch die zulässige Herstellung und Verbreitung von Vervielfältigungen durch Bibliotheken und Archive wird in dem Gesetzentwurf geregelt. Neu im Urheberrecht ist eine Regelung für das Text- und Data-Mining, bei dem, wie in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, „eine Vielzahl von Texten, Daten, Bildern und sonstigen Materialien ausgewertet werden, um so neue Erkenntnisse zu gewinnen“.
Das Gesetz soll weiterhin regeln, dass ein Urheber „zum Ausgleich für Nutzungen im Bereich der gesetzlichen Schranken grundsätzlich eine angemessene Vergütung“ erhält. Diese Vergütung soll ausschließlich pauschal über die Verwertungsgesellschaften erfolgen. Gleichzeitig wird in dem Gesetzentwurf festgelegt, dass Verträge zur Umgehung der Bildungs- und Wissenschaftsschranke unzulässig und damit unwirksam sind.
Die Neuregelung soll erklärtermaßen einen Interessenausgleich leisten zwischen dem Interesse von Wissenschaft und Lehre an ungehindertem Zugang zu Literatur und dem Eigentumsrecht der Urheber und der Fachverlage, ohne deren Zutun es diese Literatur vielfach gar nicht gäbe. Doch ob dieser Interessenausgleich gelungen ist, beurteilten in der Anhörung beide Seiten höchst unterschiedlich.
Die Vertreter der Wissenschaft begrüßten, bei aller Kritik in Einzelfragen, den Gesetzentwurf zumindest als Fortschritt gegenüber der geltenden Rechtslage. Überwiegend gaben sie freilich dem ursprünglichen Referentenentwurf des Justizministeriums den Vorzug gegenüber dem schließlich vom Kabinett beschlossenen, Bedenken der Verlegerschaft teilweise entgegenkommenden Regierungsentwurf.
So bemängelte die Berliner Rechtswissenschaftlerin Katharina de la Durantaye die Starrheit der Regelungen, die im Regierungsentwurf mit dem Bemühen um Rechtssicherheit begründet wird. Eine General- oder Öffnungsklausel, die Abweichungen in nicht explizit geregelten Konstellationen zulässt, sei zu ihrem Bedauern von der Regierung wieder herausgenommen worden, sagte Durantaye. Das Fehlen einer solchen Klausel verhindert nach Ansicht des Innsbrucker Organisationswissenschaftlers Leonhard Dobusch neue Entwicklungen. Etwas Ähnliches wir Google Books sei damit im deutschsprachigen Raum nicht möglich - mit Nachteilen für die hiesige Wissenschaftslandschaft. Der Leipziger Urheberrechtler Christian Berger kritisierte das Fehlen jeder Angabe, was unter „angemessener Vergütung“ der Urheber zu verstehen ist. Er forderte zudem die Einrichtung einer Schiedsstelle, um Streitigkeiten über die Vergütung außergerichtlich klären zu können.
Ganz anders dagegen die Stellungnahme der Leverkusener Verlegerin von Fachzeitschriften und -büchern, Barbara Budrich. Das Gesetz bringe für ihre Branche „große Nachteile“, warnte sie, ja sie sprach von einer „gesetzlichen Teilenteignung“. Die meisten der mehr als 300 Wissenschaftsverlage in Deutschland seien kleine Unternehmen, so wie ihres mit 14 Mitarbeitern. Budrich führte aus, welch umfangreiche Vorleistungen die Verlage zum Erscheinen eines Werks erbringen müssten, und warnte, dass die Mittel dafür künftig fehlen könnten. Zumindest sollte eine im Gesetz vorgesehene, für Verlage vorteilhaftere Regelung für Schulbücher auch auf wissenschaftliche Lehrbücher übertragen werden, deren Herausgabe mit besonders viel Aufwand verbunden sei.
Dem widersprach Christoph Bruch von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen entschieden. Würden Lehrbücher von der Wissenschaftsschranke ausgenommen, würden die Verleger viele ihrer Produkte als Lehrbücher bezeichnen, nur um die Ausnahme zu bekommen. Es sei wichtig, dass die Schranken-Regelung so eindeutig bleibt, wie sie im Regierungsentwurf ist. Der Konstanzer Informatiker Rainer Kuhlen empfahl den Verlagen, sich von der Fokussierung auf Druckwerke zu lösen und von der Musikindustrie zu lernen. Die habe auf den Rückgang der CD-Verkäufe mit einer Ausweitung digitaler Angebote reagiert.
Diesen Vergleich mit der Unterhaltungsbranche wies der Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Christian Sprang, entschieden zurück. Zum Gesetzentwurf sagte er, dieser nehme Wissenschaftsverlage die Chance, ihre Investitionen am Markt zurückverdienen zu können. Er sei im wesentlichen ohne Beteiligung der Verlage erstellt worden. Das Ergebnis sei in vielen Punkten grundgesetz- und europarechtswidrig. So greife der Gesetzentwurf in das Eigentumsrecht und die Wissenschaftsfreiheit ein. Sprang warnte vor einem „gesetzgeberischen Schnellschuss“, und bot eine „gemeinsame Lösungssuche“ an, um in der nächsten Legislaturperiode zu einem besseren Ergebnis zu kommen.
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