Neuregelungen zu Sozialkassen begrüßt
Berlin: (hib/HAU) Das Vorhaben der Bundesregierung, allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge, die den Sozialkassenverfahren zugrunde liegen, rückwirkend zum 1. Januar 2006 für alle Arbeitgeber verbindlich anzuordnen, wird von Experten begrüßt. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag deutlich. Mit dem dazu vorgelegten Gesetzentwurf (18/12510) will die Regierung eine „eigenständige Rechtsgrundlage für den Beitragseinzug und die Leistungsgewährung“ schaffen. Zur Stärkung des effektiven Rechtsschutzes der Sozialkassen als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien soll es zudem den Arbeitsgerichten ermöglicht werden, in Verfahren über Leistungsansprüche eine vorläufige Leistungspflicht der Beitragszahler anzuordnen.
Hintergrund der Neuregelung sind Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG), das mehrere Allgemeinverbindlichkeitserklärungen im Baugewerbe für unwirksam erklärt hatte, weil aus Sicht des Gerichts die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Die Entscheidungen hätten „weitreichende Konsequenzen auch für tarifvertragliche Sozialkassenverfahren in anderen Branchen“, erfüllten die von den Tarifvertragsparteien geschaffenen Sozialkassen doch „sozialpolitisch wichtige Aufgaben, die von der Berufsbildungsförderung über Urlaubskassenverfahren bis hin zur Alterssicherung reichen“, schreibt die Regierung in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf.
Die geplante Änderung sei richtig und müsse möglichst schnell kommen, forderte Frank Schmidt-Hullmann vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Derzeit würden immer mehr Betriebe ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, was zu finanziellen Schieflagen bei den Sozialkassen führen würde.
Christian Schneider von der Lohnausgleichskasse für das Dachdeckerhandwerk sagte, das Gesetz sei zwingend erforderlich, um den Fortbestand des Sozialkassenverfahrens im Dachdeckerhandwerk und den anderen betroffenen Branchen zu sichern. Ansonsten sei die Altersversorgung hunderttausender Arbeitnehmer gefährdet, warnte er. Friedemann Berg vom Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks sagte, die geplante Einbeziehung nicht-tarifgebundener Arbeitgeber sei „von existenzieller Bedeutung“. Ohne diese Einbeziehung würden die Sozialkassen weit weniger handlungsfähig sein. Michael Heilmann von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) betonte, die Einbeziehung aller Unternehmen sorge für Wettbewerbsneutralität. Gerade bei klein- und mittelständischen Unternehmensstrukturen sei ohne Sozialkassen zudem die Fortbildung der Arbeitnehmer „gar nicht vorstellbar“.
Für den Einzelsachverständigen Thomas Klein ergibt sich das Recht des Gesetzgebers auf die Einbeziehung nicht-tarifgebundener Betriebe aus dem allgemeinen gesellschaftlichen Interesse an funktionierenden Sozialkassen. Die vorgesehene Rückwirkung der Regelung kollidiert aus seiner Sicht nicht mit dem Vertrauensschutz. Die BAG-Rechtsprechung sei so nicht absehbar gewesen, sagte Klein. Die Hoffnung einzelner Betriebe auf ein Urteil, mit dem die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen in Frage gestellt werden, stelle kein schützenswertes Vertrauen dar, sagte er.
Ähnlich sah das Professor Frank Bayreuther, für den „keinerlei schutzwürdiges Vertrauen der Beitragsschuldner bestand, nicht zu einschlägigen Beitragszahlungen herangezogen zu werden“. Der Einzelsachverständige Benedikt Rüdesheim nannte das Gesetz ebenso wie seine Vorredner „dringend geboten“. Die Änderung im Arbeitsgerichtsgesetz, wonach die Sozialkassen die Möglichkeit erhalten sollen, ihre Ansprüche vorläufig durchzusetzen, sei angemessen, so Rüdesheim. „Wer die gemeinsamen Einrichtungen stärkt, stärkt auch die Tarifautonomie“, sagte er.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist die mit der Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes verbundene „bedeutsame Abweichung“ von den bisherigen Verfahrensgrundsätzen vor den Arbeitsgerichten und die damit verbundene Durchbrechung des Rechtsschutzes des Beklagten „nur und ausschließlich vor dem Hintergrund der überraschenden Situation aufgrund der Entscheidungen des BAG zu rechtfertigen“, sagte BDA-Vertreter Roland Wolf. „Diese Norm darf keine Beine bekommen“, forderte er. Für den Einzelsachverständigen Franz Josef Düwell ist die Forderung nach einer Befristung der Änderung hingegen „rechtlich nicht nachvollziehbar“. Gebe es Zweifel an der rechtspolitischen Sinnhaftigkeit der Norm, so sei die Aufnahme einer Evaluierungsvorschrift der richtige Ansatz, befand er.
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