VW-Ausschuss übergibt Bericht
Berlin: (hib/STU) Die Mitglieder des Abgas-Untersuchungsausschusss haben ihren Abschlussbericht an Bundestagspräsident Norbert Lammert übergeben. Der rund 700 Seiten umfassende Bericht (18/12900) enthält zwei Sondervoten der Linken und der Grünen. Die beiden Oppositionsfraktionen hatten den Ausschuss initiiert. Das Gremium unter Vorsitz von Herbert Behrens (Linke) wurde am 7. Juli 2016 eingesetzt und begann am 8. September 2016 mit der Beweisaufnahme. Letzte Zeugin war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 8. März 2017.
Der 5. Untersuchungsausschuss dieser Legislaturperiode sollte die Ursachen für das Auseinanderklaffen von Stickoxidwerten bei Diesel-Fahrzeugen zwischen dem Prüfstand und dem realen Betrieb auf der Straße sowie die Verantwortlichkeit des Staates klären. Auslöser war das Eingeständnis des VW-Konzerns in den USA, illegale Abschalteinrichtungen verwendet zu haben. Am 18. September 2015 machte die US-Umweltbehörde EPA die Vorwürfe öffentlich. In den USA waren rund 500.000 Autos des Konzerns betroffen. Weltweit waren es rund elf Millionen Fahrzeuge. Wenige Tage nach Bekanntwerden setzte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) eine Untersuchungskommission ein, die 53 Dieselmodelle verschiedenen Hersteller untersuchte. VW wurde zur Umrüstung verpflichtet, andere Hersteller, bei denen Zweifel an der Rechtmäßigkeit verwendeter Abschalteinrichtungen bestanden, zu freiwilligen Serviceaktionen bewegt.
Der Zeitplan für den Ausschuss war eng, innerhalb von sechs Monaten wurden 57 Zeugen vernommen und 13 Sachverständige gehört. Das Gremium tagte 30 mal, davon 15 mal öffentlich. „Der Ausschuss hat keine relevanten neuen Erkenntnisse zu Tage gefördert“, stellt der von der Mehrheit von CDU/CSU und SPD getragene Abschlussbericht fest. Für die Aufklärung hätte es des Untersuchungsausschusses nicht bedurft, der Verkehrsausschuss hätte gereicht, wird konstatiert. Die Vorwürfe der Opposition, die Behörden seien nicht gründlich genug auffälligen Messwerten nachgegangen, hätten sich nicht bestätigt. Es gebe auch keinen Grund, das Handeln der Bundesregierung zu beanstanden. Vielmehr habe sie unverzüglich aufgeklärt. Der Vorwurf des „Staatsversagens“ habe sich als „PR-Floskel ohne jegliche Grundlage herausgestellt“. Für den Skandal macht der Bericht ein unzureichendes europäisches Regelwerk verantwortlich.
Gleichwohl stellte der Ausschuss einen zehn Punkte umfassenden Katalog mit Forderungen und Empfehlungen auf. So sollen die europäischen Normen konkretisiert werden, vor allem jene Ausnahmen klar definiert werden, wann das Abschalten der Abgasreinigung zum Motorschutz zulässig ist und wann nicht. Die Hersteller sollen bei den Typgenehmigungsbehörden neben der Emissionsstrategie auch die komplexe Motorensoftware zumindest hinterlegen. Die Prüfverfahren sollen stetig verbessert werden. Bei den Abgasuntersuchungen soll neben der On-Board-Diagnose auch wieder am Endrohr gemessen werden, eine Forderung, die das Verkehrsministerium noch im Sommer umsetzen will.
Fahrer von modernen Diesel-Fahrzeugen sollen zudem flächendeckend AdBlue tanken können. Der Harnstoff sorgt in SCR-Katalysatoren dafür, dass giftige Stickoxide in harmlosen Wasserstoff und Stickstoff aufgespalten werden. Weitere Forderungen des Berichts sind Untersuchungen von im Verkehr befindlichen Autos hinsichtlich des Verbrauchs und der CO2-Werte. Die Untersuchungskommission hatte auch diese Werte gemessen, bislang aber keinen Bericht dazu vorgelegt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als nachgeordnete Behörde soll gestärkt werden, was Dobrindt auch schon zugesagt hat. Die Ausschussmehrheit spricht sich gegen eine EU-Typgenehmigungsbehörde aus, plädiert für die Förderung alternativer Antriebstechnologien und die Einführung von Musterfeststellungsklagen, damit nicht jeder Verbraucher separat mögliche Ansprüche gegen einen Autohersteller einklagen muss. Ein Referentenentwurf aus dem Justizministerium liegt seit Ende 2016 vor. Jedoch konnte sich die Koalition nicht mehr auf einen Gesetzentwurf einigen.
Die Linke nannte die Arbeit des Ausschusses notwendig und wichtig, auch wenn der Skandal nicht allen Facetten ausgeleuchtet werden konnte. Der Ausschuss habe zur „Entzauberung des Diesels“ als umweltfreundlicher Antrieb beigetragen. Die Linke spricht von einem Versagen von Regierung und nachgeordneter Behörden. Alle ihre Zeugen bis hin zur Bundeskanzlerin hätten versucht, die Folgen der Manipulationen für den Gesundheitsschutz, die Verbraucher und den Haushalt zu bagatellisieren. Für die „Komplizenschaft zwischen Politik und Industrie“ gebe es handfeste Belege. Die Linke empfahl, die parlamentarische Aufklärung in der nächsten Legislaturperiode weiterzuführen.
Die Grünen sprechen in ihrem Sondervotum von „organisiertem Staatsversagen“, das den Betrug ermöglicht habe. Hinweise von Verbänden und Behörden wie dem Umweltbundesamt seien ignoriert worden. „In der Bundesregierung und seinen nachgeordneten Behörden hat sich eine Kultur des Wegschauens etabliert, die den Nährboden für den Abgasskandal bereitet hat“, kritisieren die Grünen. Seit mindestens zehn Jahren sei bekannt, dass die NOx-Grenzwerte nur im Labor eingehalten werden. Die von Dobrindt eingesetzte Untersuchungskommission nennen die Grünen „obskur“. Sie sei fast ausschließlich mit Mitarbeitern des Verkehrsministeriums und des KBA besetzt, die Hersteller hätten zudem Einfluss auf deren Bericht nehmen können.
Die Forderungen von Linken und Grünen decken sich in weiten Teilen. Dazu gehört eine Umkehr der Beweislast. Die Hersteller sollten nachweisen, dass sie keine illegalen Abschalteinrichtungen verwenden. Die EU-Abgasgesetzgebung müsse gestärkt, auch andere Hersteller zur Umrüstung verpflichtet, abschreckendere Sanktionen eingeführt werden. Die Linke verlangt zudem, die Steuervorteile des Diesels abzuschaffen und Blaue Plaketten für saubere Diesel in Städten einzuführen. Die Grünen verlangten, die Typgenehmigungen langfristig auf die europäische Ebene zu verlagern.
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