Experten uneins bei EU-Asylreform
Berlin: (hib/STO) Die Vorstellungen über die derzeit diskutierte Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ gehen auch unter Experten weit auseinander. Dies wurde am Montag in einer Sachverständigen-Anhörung des Innenausschusses zu Anträgen der Links- (19/577) und der Grünen-Fraktion (19/244) zu der Reform deutlich.
Die Linke dringt in ihrem Antrag auf eine „offene, menschenrechtsbasierte und solidarische Asylpolitik“ der EU und fordert, Initiativen zur „Auslagerung des Flüchtlingsschutzes aus der EU“ zu widersprechen. Die Grünen pochen in ihrer Vorlage auf die „Sicherung menschen- und grundrechtlicher Standards“ bei der Reform und wenden sich gegen einen Umbau des EU-Asylsystems „zu einem Abbauprogramm von Flüchtlingsrechten“.
Dieter Amann, Mitarbeiter der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, sagte, Befürchtungen der Antragsteller um die künftige Ausgestaltung des Asyl- und Flüchtlingsrechts der EU sei zu widersprechen. Amann sprach zugleich vor einem „enormen Zuwanderungsdruck der Zukunft“, von dem eine „existenzielle Bedrohung einiger europäischen Staaten“ ausgehen werde. Auch warnte er davor, „dass die Europäer als - global betrachtet - kleine ethnische Minderheit binnen historisch kurzer Zeit durch hunderte Millionen afrikanischer und nahöstlicher Einwanderer ausgelöscht werden könnten“.
Kerstin Becker vom Paritätischen Gesamtverband betonte dagegen, mit der Reform des europäischen Asylsystems drohten weitgehende Absenkungen der aktuellen Schutzstandards. Sie berge auch das Risiko, den Zugang zum individuellen Asylrecht in Europa abzuschaffen und „den Flüchtlingsschutz perspektivisch sehr weitgehend aus Europa auszulagern“. Die Konzepte erster Asylstaaten und sicherer Drittstaaten dienten im wesentlichen dazu, Asylsuchende an andere Staaten zu verweisen, die an Stelle der EU-Länder die Flüchtlingsverantwortung übernehmen sollen. Die zur Rechtfertigung dieser Politik angeführte Überforderung des europäischen Asylsystems liege jedoch nicht vor und sei aktuell auch nicht zu befürchten.
Professor Kay Hailbronner von der Universität Konstanz warb dafür, Asylbewerber bei der Ersteinreise in ein EU-Land zu registrieren und unmittelbar einem zuständigen Staat zuzuweisen. Antragsteller aus sicheren Herkunftsstaaten und sicheren Drittstaaten sollten nach seinen Worten „von der Verteilung ausgenommen sein und bereits in EU-Aufnahmeeinrichtungen in einem beschleunigten Asylverfahren überprüft und gegebenenfalls mit Unterstützung der europäischen Grenz- und Küstenschutzbehörde umgehend in ihre Heimat oder sichere Drittstaaten zurückgeführt werden“.
Professor Marcel Kau von der Universität Konstanz bejahte die Frage, ob sich die vorgesehene Harmonisierung des Asylrechts „außerhalb der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ bewege. Dies sei jedoch keine gravierende Einschränkung. Das Bundesverfassungsgericht werde prüfen, „ob der Grundrechtsschutz, der im neuen System gewährt wird, im wesentlichen vergleichbar ist“, und dies sei hier der Fall. Wenn es überhaupt eine Reduzierung des Grundrechtsschutzes gebe, sei diese nur „sehr gradueller Natur“.
Gerald Knaus von der „Europäischen Stabilitätsinitiative“ (ESI) mahnte, man brauche so schnell wie möglich „ein humanes, effizientes, mehrheitsfähiges und europäisches System“. Ein solches System habe es in den vergangenen 20 Jahren nicht gegeben, und es werde auch nicht mit den Vorschlägen der EU-Kommission sowie des Rates und des Europäischen Parlaments geschaffen. Gebraucht werde ein System, bei dem ab einem Stichtag schnell entschieden werden könne, wer Schutz benötigt, sowie Abkommen mit Herkunftsländern in Afrika, „die ab diesem Stichtag jeden zurücknehmen, der nach einem fairen Verfahren keinen Schutz bekommt“.
Professorin Anna Lübbe von der Hochschule Fulda verwies darauf, dass die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) „keine Minimalversorgung“ regele, sondern Gleichbehandlungsrechte. Zugleich mahnte sie, dass für Drittstaaten-Konzepte der GFK-Standard verbindlich sein müsse. Das könne durch weitere menschenrechtsbasierte Anforderungen an den Drittstaat ergänzt, aber nicht ersetzt werden.
Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag sagte, bei der Reform müsse es darum gehen, die Zahl der Flüchtlinge, die Aufnahme in Europa suchen, dauerhaft zu begrenzen. Das setze vor allem eine wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen in den Heimatländern voraus. Darüber hinaus solle man „bei voller Anerkennung des Völkerrechts und unserer menschenrechtlichen Verpflichtungen“ dafür sorgen, dass nur tatsächlich schutzbedürftige Menschen aufgenommen werden. Deshalb begrüße er Vorschläge zu einer „konsequenten Anwendung des Konzepts der sicheren Drittstaaten und des sicheren Herkunftslandes“.
Katharina Stamm von der Diakonie Deutschland sagte, ihr Verband unterstütze das Anliegen der Links- und der Grünen-Fraktion, „der aktuellen Entwicklung deutlich entgegenzutreten, den individuellen Flüchtlingsschutz in entscheidenden Punkten im EU-Recht abzuschwächen“. Die derzeitige Diskussion über eine Absenkung der hohen Standards im europäischen Flüchtlingsschutz „auf das gerade noch völkerrechtlich erlaubte Minimum“ sei völlig verfehlt.
Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz sagte, zahlreiche Urteile nationaler und europäischer Gerichte zeigten, dass die EU-Gesetzgebung teilweise über die völker- und menschenrechtlichen Mindeststandards hinausgingen. Den EU-Organen stehe es jedoch auch „frei, überobligatorische Bestimmungen abzubauen, so wie es die Staats- und Regierungschefs für sichere Drittstaaten wünschen“. Dabei berührten die neuen Drittstaatsklauseln „nicht das Herzstück der GFK, das Refoulement-Verbot“.
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