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27.04.2018 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 278/2018

„Einschätzungsfehler im Fall Amri“

Berlin: (hib/wid) Bei der Beobachtung des späteren Terroristen Anis Amri haben sich die Behörden in ihrer Einschätzung offenbar von falschen Kriterien leiten lasssen. Darauf wies die Berliner Publizistin und Islamismus-Expertin Claudia Dantschke in einer Anhörung des 1. Untersuchungsausschusses („Breitscheidplatz“) hin. Die Zuständigen hätten über alle relevanten Informationen verfügt. Sie hätten aber wohl in der Bewertung die Akzente nicht richtig gesetzt.

Die Beurteilung Amris als minder gefährlich habe sich auf den Umstand gestützt, dass bei ihm kein fromm islamischer Lebenswandel zu beobachten war, sagte Dantschke. Der Mann habe gekifft, mit Drogen gehandelt und Alkohol getrunken. Zugleich allerdings habe er weiterhin im Umfeld des radikalislamischen Predigers Abu Walaa und der Moabiter Fussilet-Moschee verkehrt, die später als islamistische Brutstätte geschlossen wurde: „Er hat nicht den Bruch vollzogen zu diesem Netzwerk.“ Den Behörden sei auch dies bekannt gewesen. Sie hätten es in Abwägung gegen die vermeintlich lockeren Sitten der Zielperson indes nicht hinreichend gewichtet: „Man ist der Entwicklung hinterhergehinkt.“

Das allerdings unterlaufe den Behörden bei der Bekämpfung des radikalislamischen Terrorismus öfters, kritisierte Dantschke: „Die Szene entwickelt sich rasant schnell.“ Das werden nicht angemessen wahrgenommen. So sei im vorigen Sommer das Erstaunen über die Hamburger Messerattacke groß gewesen. Man habe indes wissen können, dass der Islamische Staat (IS) damals bereits seit anderthalb Jahren seine Anhänger in Deutschland aufgefordert habe: „Nimm ein Messer, stich den Nachbarn ab.“ Die Behörden müssten sicherstellen, dass sie immer auf dem gleichen Informationsniveau seien wie die Szene, forderte Dantschke.

Die Leiterin der Stabsstelle „Radikalisierungsprävention“ im bayerischen Sozialministerium, Christiane Nischler-Leibl, wies auf die Komplexität der Materie hin. In jedem Einzelfall verlaufe ein Radikalisierungsprozess individuell. Umso schwerer sei es, die maßgeblichen Faktoren zu diagnostizieren und zu gewichten: „Man erkennt es sehr viel leichter im Nachgang als im Vorfeld.“ Hilfreich sein könne allenfalls eine generelle Haltung der „Sensibilität“ und „Wachheit“.

Für den Präsidenten der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung und früheren Islamismusexperten beim Verfassungsschutz, Alexander Eisvogel, lautet die Hauptfrage, welche tatsächlichen Anhaltspunkte für die Radikalisierung Amris vorgelegen hätten, aber nicht genutzt worden seien. Wann hätten die Behörden erkennen können, dass er etwas plante? Wer habe in welcher Intensität versucht, alle Informationen über Amri zusammenzutragen? Dabei sei es kaum zielführend, persönlichen Radikalisierungsprozessen nachzuspüren, also darüber zu spekulieren, „was in Amris Kopf vorging“. Maßgeblich hätten allein Anhaltspunkte sein können, die sich aus seinem beobachteten Verhalten ergaben. Hätte es den Behörden nicht auffallen können, dass Amri zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bemerkenswertes Interesse für Lastwagen an den Tag legte, fragte Eisvogel.

Der aus dem Libanon gebürtige Regisseur und Drehbuchautor Imad Karim stellte einen Unterschied zwischen „Islam“ und „Islamismus“ rundheraus in Abrede. Wenn im Westen das Bestreben, eine allein religiös legitimierte Gesellschaft zu schaffen, als Hauptmerkmal des Islamismus gelte, so werde verkannt, dass genau dies auf den Islam insgesamt zutreffe. Der Begriff des Islamismus sei erfunden worden, „um dem Islam einen Dauerpersilschein auszustellen“, sagte Karim und warnte vor einem „Ausverkauf der Werte der Aufklärung“.

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