Experten für Regierungsvorstoß
Berlin: (hib/mwo) Die von der Regierungskoalition angestrebte erneute Verlängerung der Regelung zur Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird von Justizexperten befürwortet. In einer Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz unter Leitung seines Vorsitzenden Stephan Brandner (AfD) am Montag erklärten sie übereinstimmend, dies sei notwendig, um eine Überlastung des Bundesgerichtshofes (BGH) zu verhindern. Zudem sollte so Zeit für eine umfassende Überarbeitung des Rechtsmittelsystems gewonnen werden. Mehrere Sachverständige regten an, die Verlängerung ein Jahr länger als geplant zu befristen, um ausreichend Zeit für eine Neugestaltung zu haben.
Ein entsprechender Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Gesetzes zur Einführung der Zivilprozessordnung (ZPO) (19/1686) war im April in den Rechtsausschuss überwiesen worden. Er war dringend nötig, weil die Regelung, wonach die Nichtzulassungsbeschwerde nur ab einem Beschwerdewert ab 20.000 Euro zulässig ist, zum 30. Juni ausläuft. Nun soll sie bis Ende 2019 gelten. In der Begründung des Entwurfs heißt es, dass sich die Belastung des BGH nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses am 1. Januar 2002 zunächst auf ein erträgliches Maß eingependelt habe. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Paragrafen 522 der Zivilprozessordnung am 27. Oktober 2011 sei jedoch ein deutlicher Anstieg der Geschäftsbelastung bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs zu verzeichnen.
Reinhard Greger, Richter am BGH a. D. und Universitätsprofessor i. R., plädierte zudem für eine Aufhebung der Berufungsregelung in Paragraf 522 Abs. 2 und 3 ZPO, die zu einer Zunahme unbegründeter Zulassungsbeschwerden geführt habe. Andere Sachverständige wie der Rechtsanwalt am BGH Michael Schultz sprachen sich allerdings gegen eine Abschaffung aus. Greger setzte sich dafür ein, dass der Bundestag eine Enquete-Kommission zur Vorbereitung einer grundlegenden Reform des Zivilprozesses einsetzt.
Christian Heinze, Professor an der Leibniz-Universität Hannover, führte in seinem Statement aus, eine dauerhafte Lösung könne auf eine maßvolle Streitwertgrenze nicht verzichten, die aus Gründen der Rechtsmittelklarheit in das Revisionsrecht der ZPO aufgenommen werden sollte. Eine Erhöhung der Streitwertgrenze über 20.000 Euro hinaus sei aus Gründen der Bürgernähe der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit jedoch abzulehnen. Peter Kies, Vorsitzender Richter am Landgericht Dresden, regte an, soweit kein politischer Wille bestehe, den Bundesgerichtshof weit über seine bisherige Ausstattung personell aufzustocken, sollte die Regelung beibehalten werden oder in der ZPO verankert werden. Dies wäre auch ein klares Signal.
Die Präsidentin des BGH, Bettina Limperg, betonte in ihrer Stellungnahme, die Regelung sei unvermeidlich, um den ansonsten sicheren Kollaps des BGH zu verhindern. Der BGH werde sich einer fachlichen Diskussion über etwaige Alternativen zur Begrenzung des Revisionszugangs durch eine streitwertbezogene Regelung nicht verschließen. Da eine solche Lösung in den vergangenen Jahren nicht gefunden worden sei, sei es ausgeschlossen, bis Ende Juni noch eine zu finden. Daher sei es derzeit unabweisbar, die bestehende Regelung zumindest zu verlängern.
Bernd Pickel, Präsident des Kammergerichts Berlin, erklärte, eine Aufhebung der Wertgrenze wäre für die Oberlandesgerichte wegen der mittelbaren Auswirkungen, die durch die dann zu erwartende massive Mehrbelastung des Bundesgerichtshofs eintreten würde, in hohem Maße nachteilig.
Der Rechtsanwalt Wolfgang Schwackenberg, Vorsitzender des Ausschusses Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV), sprach sich im Prinzip gegen eine Verlängerung der Frist aus. Sie sei allerdings akzeptabel, wenn gleichzeitig die Zeit genutzt werde, um eine Verbesserung der Reform des gesamten Zivilverfahrens zu erreichen. Nur mit einer Gleichbehandlung aller Zivilverfahrensangelegenheiten, also auch der des Familienrechtes in Bezug auf den Zugang zum Bundesgerichtshof, erscheine eine bürgernahe, adäquate und effiziente Lösung gefunden werden zu können.
Bernhard Thurn, Präsident des Pfälzischen Oberlandesgerichts, sieht zwar Unwägbarkeiten hinsichtlich der Frage, welche konkreten Auswirkungen ein Wegfall der Wertgrenze auf die Zahl der Verfahrenseingänge beim BGH hätte. Es könne aber keinem Zweifel unterliegen, dass die Eingangszahlen eine Höhe erreichten, deren Bewältigung dem BGH mit seiner derzeitigen personellen Ausstattung nicht ohne eine deutlich spürbare Verlängerung der Verfahrenslaufzeiten möglich wäre.
Gerhard Wagner, Professor an der Berliner Humboldt-Universität, bezeichnete die Wertgrenze des Paragrafen 26 Nr. 8 ZPO systemwidrig, schränkte aber ein, dass sie aus pragmatischen Gründen geboten sein möge. Ihr Zweck bestehe offensichtlich darin, eine „Flutung“ des BGH mit Nichtzulassungsbeschwerden zu vermeiden. Wie groß die Gefahr einer Überlastung des BGH wirklich sei, lasse sich schwer abschätzen, weil niemand wisse, wie viele Nichtzulassungsbeschwerden eingelegt würden, wenn es die Wertgrenze nicht gäbe. Das Bedürfnis nach einer Entlastung des BGH sei daher plausibel. Deshalb gebe es zur Verlängerung der Wertgrenze keine Alternative.
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