Experten wollen Währungsunion vertiefen
Berlin: (hib/JOH) Die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) Europas sollte ausgebaut und krisenfester gemacht und die Bankenunion vertieft werden. Zu diesem Fazit kam am Montag, dem 4. Juni 2018, die Mehrzahl der geladenen Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Europaauschusses. Anlass der rund zweieinhalbstündigen Sitzung war der im Dezember 2017 von der EU-Kommission vorgelegte Fahrplan zur Vollendung der WWU (Ratsdokument 15653/17). Darin schlägt sie unter anderem vor, den Euro-Rettungsschirm ESM in einen Europäischen Währungsfonds umzuwandeln, der Krisenstaaten bei finanziellen Schwierigkeiten unterstützen und als ständige finanzielle Letztsicherung („Backstop“) der europäischen Bankenunion fungieren soll. Außerdem soll ein europäisches Einlagenversicherungssystem geschaffen werden.
Johannes Beermann (Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank) sprach sich dafür aus, den ESM als Kriseninstrument zu stärken. Die Kommission sollte ihm die Überwachung der nationalen Haushalte der EU-Mitgliedstaaten übertragen. Im Falle einer Krise könnte der Fonds zudem die erforderlichen koordinierenden Aufgaben übernehmen.
Für mehr „Feuerpower“ des ESM plädierte auch der stellvertretende Forschungsleiter am Jacques Delors Institut, Lucas Guttenberg. Er betonte, die Bankenunion könne nur dann effektiv wirken, wenn die EU die notwendigen letzten Schritte gehe, um sie zu verwirklichen. Die geplante Letztsicherung müsse so schnell wie möglich an den Start gehen. Außerdem sei eine europäische Einlagensicherung oder zumindest ein Rückversicherungssystem ein sinnvolles Instrument zur Vertrauensbildung im Euroraum. Guttenberg stellte klar, dass es grundsätzlich nur dann greife, wenn alle anderen Gläubiger schon herangezogen worden seien. „Es ist also weit davon entfernt, tatsächlich zu Transfers zu führen.“
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, bezeichnete die derzeitige Architektur der WWU als „nicht nachhaltig“. Das Risiko erneuter Krisen sei „extrem groß“, warnte er mit Blick etwa auf die Lage in Italien. Es gelte, die Abhängigkeit zwischen Staaten und ihren Banken durch eine stärkere Eigenkapitalhinterlegung von Staatsanleihen und eine gemeinsame Einlagensicherung zu durchbrechen. Die Bankenaufsicht müsse den Druck erhöhen, existierende faule Kredite abzubauen und die Regulierung strenger zu gestalten. Ein „Schlechtwetterfonds“ solle notleidenden Staaten darüber hinaus künftig schnell und kurzfristig helfen.
Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln sowie Jörg Rocholl, Präsident der European School of Management and Technology Berlin, sprachen sich ebenfalls für ein Ende der Privilegierung von Staatsanleihen und der Mobilisierung von mehr Eigenkapital durch die Banken aus. Während Hüther die Einführung einer europäischen Einlagensicherung aufgrund der strukturellen Unterschiede in den nationalen Bankensystemen jedoch ablehnte, bezeichnete Rocholl sie als ein „fehlendes Puzzlestück zur Vollendung der Bankenunion“. Friedrich Heinemann, der den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim leitet, sah die Umsetzung einer europäischen Einlagensicherung vor 2025 als „nicht realistisch“ an.
Stefan Kadelbach von der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main machte sich für die von der Kommission geplante Überführung des ESM unter das Dach der Europäischen Union stark. Dies würde die demokratische und rechtliche Kontrolle des ESM stärken, ohne dass die Befugnisse der mitgliedstaatlichen Parlamente beeinträchtigt würden. Die Einrichtung könne durch eine Verordnung auf Grundlage von Artikel 352 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) erfolgen, urteilte er. Eine Änderung der Verträge sei dafür nicht erforderlich.
Der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider bezeichnete die Maßnahmen der EU nach der Staatsschuldenkrise als „illegal“. Der Europäischen Zentralbank warf er vor, mit ihrer „Kreditierungspolitik“ Wirtschaftspolitik zu betreiben, obwohl sie ausschließlich für Währungspolitik zuständig sei. Auch gegen die Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds äußerte Schachtschneider große Bedenken. Die Austeritätspolitik sei „völkerrechts- und demokratiewidrig“ und würde die Souveränität der Nationalstaaten untergraben.
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