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07.11.2018 Recht und Verbraucherschutz — Anhörung — hib 851/2018

Strafbarkeit des Schwarzfahrens

Berlin: (hib/MWO) Das in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierte Thema „Fahren ohne Fahrschein“ war Thema einer öffentlichen Anhörung am Mittwoch im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Wissenschaftler, Justiz- und Verbändevertreter legten als Sachverständige ihre Sicht auf Gesetzentwürfe der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen dar, mit denen der Tatbestand des Schwarzfahrens aus dem Strafgesetzbuch entfernt werden soll.

Während der Linke-Entwurf (19/1115) vorsieht, in Paragraf 265a des Strafgesetzbuches die Beförderungserschleichung zu streichen und das Fahren ohne Fahrschein nicht mehr mit dem Strafrecht, sondern nur noch mit einem erhöhten Beförderungsentgelt zu sanktionieren, plädieren die Grünen in ihrem Entwurf (19/1690) für die Schaffung eines neuen Ordnungswidrigkeitstatbestandes.

Die Vorlagen, die im April erstmals im Plenum des Bundestages beraten worden waren, wurden von den Sachverständigen kontrovers diskutiert. Während die teilnehmenden Staatsanwälte dafür plädierten, den Gesetzestext beizubehalten, zeigten sich die Richter offen für Änderungen. Die Abgeordneten interessierten sich in der Fragerunde unter Leitung des Ausschussvorsitzenden Stephan Brandner (AfD) vor allem für die Unterschiede zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht und deren Bedeutung für die Bestrafung von Schwarzfahrdelikten. Auch die Frage, wie eine bessere Kontrolle der Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr erfolgen kann, ohne den Zugang zu den Verkehrsmitteln zu erschweren, spielte eine Rolle.

Aus Sicht von Andreas Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof, ist die derzeitige Praxis umstritten. Für die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens sprächen die besseren Argumente. Eine Einstufung solcher Handlungen als Ordnungswidrigkeit erscheine gegenüber der völligen Sanktionslosigkeit vorzugswürdig. Vorschläge, Schwarzfahren insgesamt ahndungslos zu stellen, seien kriminalpolitisch nicht unproblematisch. In der Bevölkerung würde dieser Schritt wohl eher als Signal dafür wahrgenommen werden, dass Schwarzfahren rechtlich nun überhaupt nicht mehr missbilligt wird.

Barbara Stockinger, Richterin am Oberlandesgericht München, Mitglied des Präsidiums des Deutschen Richterbunds, schloss sich Mosbacher an. Sowohl die Rechtslage als auch die Praxis seien unbefriedigend, daher sehe auch der Richterbund Reformbedarf und spreche sich für eine Anpassung des Paragrafen 256a aus. Stockinger verwies in ihrer Stellungnahme auf die umstrittene Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Erschleichen“. Die Beförderungserschleichung solle nur noch strafbar sein, wenn Zugangsbarrieren- oder -kontrollen umgangen oder überwunden werden. In erster Linie blieben die Verkehrsbetriebe gefordert, vorbeugend mehr gegen Schwarzfahren zu tun. Stockinger ging auch auf den hohen Aufwand der Strafverfolgung ein und bezeichnete die Ersatzfreiheitsstrafe als fragwürdig. Diese Meinung teilte die Leiterin der Berliner Justizvollzugseinrichtung Moabit, Anke Stein. Mit der abschreckenden Wirkung des Strafgesetzbuches zu argumentieren, scheitere an der Lebenswirklichkeit. Nach den Erfahrungen der Berliner Justiz spielten bei Ersatzfreiheitsstrafen vor allem Obdachlosigkeit, Drogen- und Alkoholabhängigkeiten, psychische Störungen, psychiatrische Erkrankungen oder desolate körperliche Gesundheitszustände eine Rolle. Hier stelle sich die Frage nach der gesellschaftlichen Aufgabe des Justizvollzugs.

Wie Mosbacher und Stockinger äußerten sich auch Heiner Alwart von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Stefan Conen vom Deutschen Anwaltverein (DAV) kritisch zu der gängigen Praxis. In seiner Stellungnahme ging Alwart ausführlich auf den Begriff des Erschleichens von Leistungen ein, der seiner Meinung nach auf das Schwarzfahren nicht zutrifft. Die einschlägige Vorschrift im Strafgesetzbuch müsse ersatzlos gestrichen werden. Für ein neues Ordnungswidrigkeitengesetz bestehe allerdings keinerlei Bedarf. Für Alwart ist es dringend geboten, dass der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung, wonach das Schwarzfahren einer Beförderungserschleichung gleichzusetzen ist, zeitgemäß ändert. Kollateralschäden in Gestalt von „Strafbarkeitslücken“ stünden nicht zu befürchten. Conen betonte, auch der DAV sei für die Streichung des Paragrafen 265a aus dem Strafgesetzbuch.

Dagegen sprachen sich Udo Gramm, Leitender Oberstaatsanwalt Staatsanwaltschaft München, und Frank Rebmann, Leitender Oberstaatsanwalt Staatsanwaltschaft Heilbronn, explizit gegen die Gesetzentwürfe aus. Gramm erklärte, seiner Auffassung nach sei weder die Abschaffung der Strafbarkeit der Beförderungserschleichung noch deren Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit der geltenden Rechtslage vorzuziehen. Die Beibehaltung der Strafbarkeit sei kriminalpolitisch sinnvoll und ermögliche die Verhängung angemessener Sanktionen. Härtefällen könne schon bei Auswahl und Bemessung der Sanktion Rechnung getragen werden, wie zum Beispiel durch Projekte zur Begrenzung von Ersatzfreiheitsstrafen, namentlich „Schwitzen statt Sitzen“.

Rebmann stelle in seiner Stellungnahme die Frage, ob angesichts der Zunahme des Schwarzfahrens, die auf eine schwindende Rechtstreue eines Teils der Bevölkerung schließen lasse, darauf wirklich mit einer Entkriminalisierung oder Marginalisierung zur bloßen Ordnungswidrigkeit reagieren werden solle. Beide Gesetzentwürfe argumentierten mit dem geringen Unrechtsgehalt des Erschleichens von Beförderungsleistungen und verglichen diesen mit dem Unrechtsgehalt des Falschparkens. Dies sei aber nicht vergleichbar. Zudem sei Kriminalpolitik kein Ersatz für Maßnahmen in der Sozialpolitik.

Thomas Hilpert-Janßen, Rechtsexperte des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), erklärte, dass den Firmen durch das Schwarzfahren hohe Schäden entstünden, die entweder die ehrlichen Fahrgäste oder die öffentliche Hand tragen müssten. Schätzungen gingen von einem Betrag von 250 bis 300 Millionen Euro aus. Der Verband halte die Strafbarkeit des Schwarzfahrens weiterhin für notwendig. Eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit oder sogar eine gänzliche Abschaffung des Straftatbestandes hätten eine negative Signalwirkung, die die Schwarzfahrerquote deutlich erhöhen könnte. Und auch, wenn man die Leistungen der Sozialhilfe und des ALG II für unzureichend halte, wäre es nur folgerichtig, eine Erhöhung des Mobilitätsbetrags zu fordern, nicht jedoch, das Schwarzfahren straflos zu stellen. Eine Folge eines Herabstufens zur Ordnungswidrigkeit wären unter anderem schlechtere Kontrollmöglichkeiten durch Fahrausweisprüfer. Den Zugang zu ihren Verkehrsmitteln zu erschweren, käme für die Unternehmen nicht infrage, dafür müssten die Fahrgäste aber die Regeln einhalten.

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