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30.01.2019 Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit — Anhörung — hib 111/2019

Fahrverbots-Ausnahmen im Fokus

Berlin: (hib/SCR) Mit Ausnahmen für bestimmte Diesel-Fahrzeuge sowie einer Klarstellung zur Verhältnismäßigkeit von sogenannten Verkehrsverboten im Bundes-Immissionsschutzgesetz will die Bundesregierung Fahrverbote aufgrund der Überschreitung des EU-Grenzwertes für Stickstoffdioxid erschweren. Der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/6335, 19/6927) fiel in einer Anhörung am Mittwoch im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit auf ein gemischtes Echo bei Juristen. Verbandsvertreter begrüßten das Vorhaben grundsätzlich, forderten aber Nachbesserungen insbesondere an dem geplanten Ausnahmekatalog. Zudem befassten sich die geladenen Sachverständigen und Abgeordneten mit dem Stickoxid-Grenzwert der EU-Luftqualitätsrichtlinie. Für diesen hat der Bundestag allerdings keine Regelungskompetenz und er ist auch nicht Gegenstand des Gesetzentwurfes. Das stellte die Vorsitzende des Umweltausschusses, Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen), zu Beginn der Sitzung klar.

Konkret will die Bundesregierung im Bundes-Immissionsschutzgesetz festschreiben, dass Fahrverbote in der Regel erst dann in Betracht kommen, wenn die NO2-Belastung oberhalb von 50 Mikrogramm/m³ liegt. Der EU-Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm/m³. Diese Regelung begründet die Bundesregierung damit, dass Überschreitungen unterhalb von 50 Mikrogramm mit anderen Maßnahmen ausreichend angegangen werden können. Von Fahrverboten sollen zudem bestimmte Diesel-Fahrzeuge ausgenommen werden. Diesel-Pkw der Schadstoffklassen Euro-6 und nachgerüstete Euro-5- und Euro-4-Pkw, sofern deren Stickoxid-Emissionen unter 270 Mikrogramm pro Kilometer bleiben, sowie unter bestimmten Bedingungen nachgerüstete Busse, schwere Kommunalfahrzeuge sowie Handwerks- und Lieferfahrzeuge sollen pauschal ausgenommen werden; Lkw der Schadstoffklasse Euro-VI im Grundsatz ebenfalls, allerdings sollen für diese gegebenenfalls Verkehrsverbote verhängt werden können.

Die Ausnahmeregelungen fielen in der Anhörung bei den geladenen Juristen auf ein gemischtes Echo. Rechtsanwalt Ludger Giesberts beschied der Bundesregierung, dass das EU-Recht ihrem Vorhaben nicht im Wege stehe. Der Jurist mahnte aber Nachbesserungen beim Ausnahmekatalog an, um eine Diskriminierung privater Anbieter im Bereich der Müllentsorgung sowie bei den Handwerks- und Lieferfahrzeugen zu vermeiden.

Das forderten auch Carsten Benke vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sowie Bernd-Rüdiger Worm (ALBA Berlin GmbH). Benke sprach sich zudem unter anderem gegen die Ausnahme von der Ausnahme für Euro-6-Lkw und die vorgesehene räumliche Beschränkung der Ausnahme für Handwerks- und Lieferfahrzeuge aus.

Rechtsanwalt Stefan Kopp-Assenmacher beurteilte die pauschale Ausnahme von Euro-6-Pkw und nachgerüsteten Euro-4-Pkw und Euro-5-Pkw kritisch. Dies würde nicht den europarechtlichen Vorgaben der Luftqualitätsrichtlinie entsprechen, im Einzelfall müssten auch diese Pkw einem Fahrverbot unterliegen, führte der Jurist in seiner Stellungnahme aus.

Der Rechtsanwalt Remo Klinger kritisierte das Vorhaben der Bundesregierung vollumfänglich. „Der Gesetzentwurf ist eine Totgeburt“, beschied der Jurist in seiner Stellungnahme. Der Entwurf sei irreführend, da er den Bürgern vermittelte, dass unterhalb einer Belastung von 50 Mikrogramm/m³ keine Fahrverbote kommen könnten. Zudem könne es europarechtlich keinen „dauerhaften Welpenschutz“ für Euro-6-Pkw geben. Außerdem müsse auch der Bundesrat dem Gesetz zustimmen, meinte Klinger und widersprach damit der Auffassung der Bundesregierung.

Im Austausch mit den Abgeordneten zeigte sich ein Dissens zwischen Giesberts und Klinger. Während nach Klingers Auffassung die 50-Mikrogramm-Regelung gerichtlich im Zweifel unbeachtlich wäre, betonte Giesberts, dass Gerichte den Wert als eine Grenze des Planungsermessens der Behörden beachten müssten. Kopp-Assenmacher sah die Regelung zur Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die Rechtsprechung als „redundant“ an.

Für die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände forderte Marc Elxnat Nachbesserungen an dem Entwurf. Wie auch der ZDH will die Bundesvereinigung demnach eine Klarstellung im Gesetz, dass auch bei Werten über 50 Mikrogramm/m³ kein Automatismus für Fahrverbote eintritt. Zudem solle die Bundesregierung deutlich machen, ob Fahrverbote sich auf konkrete Strecken beziehen oder zonal verstanden werden sollen. Streckenfahrverboten würden nach Ansicht von Elxnat zu einem Verdrängungseffekt führen und nicht zu Einhaltung der Grenzwerte in besonders belasteten Innenstädten.

Kontrovers wurde zudem die wissenschaftliche Grundlage des Grenzwertes für Stickstoffdioxid in der EU-Luftqualitätsrichtlinie diskutiert. So übte der Toxikologe Helmut Greim Kritik an den Grenzwerten. Weder sei eine weitere Absenkung des Grenzwertes noch die Annahme, dass bisherigen Überschreitungen des Grenzwertes zu Gesundheitsschäden führen, aus toxikologischer Sicht begründbar, führte der Emeritus der TU München aus und verwies auf höhere Grenzwerte in den USA sowie auf die deutlich höheren Grenzwerte für die Belastung am Arbeitsplatz. Die gemessenen Grenzwerte an den Entnahmestellen seien auch nicht repräsentativ für die Dauerbelastung der Bevölkerung. Zudem übte er grundsätzliche Kritik an epidemiologischen Studien, die zur Begründung der Grenzwerte angeführt werden. Die Zahlen über Gesundheitsschäden und Folgekosten hielten einer Plausibilitätsprüfung nicht stand, schrieb Greim dazu in seiner Stellungnahme.

Greims Auffassung widersprach in der Anhörung Barbara Hoffmann vom Universitätsklinikum Düsseldorf. NO2 sei in der Umgebungsluft schon in der heute vorkommenden Konzentration gesundheitsschädlich. „Die Ergebnisse der Wissenschaft sind eindeutig“, sagte die Umweltmedizinerin. Die Wirkung zeige sich einmal direkt, zudem sei NO2 eine „Vorläufersubstanz des noch giftigeren Feinstaubes und von Ozon“ sowie ein Indikator für Verkehrsschadstoffe, die gar nicht gemessen werden würden. In ihrer Stellungnahme führte Hoffmann zudem aus, wie der Grenzwert in der Vergangenheit abgeleitet worden sei. Schon 2005 wäre demnach eine weitere Absenkung „vertretbar“ gewesen. Aktuell überarbeite die WHO diese Empfehlungen, Ergebnisse seien Ende 2019 oder 2020 zu erwarten. „Es ist damit zu rechnen, dass Gesundheitseffekte sowohl für NO2 als auch für Feinstaub deutlich unterhalb der zurzeit existierenden Richtwerte dokumentiert werden“, führte Hoffmann in ihrer Stellungnahme aus.

Ähnlich äußerte sich Holger Schulz (Helmholtz Zentrum München, Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt). Er widersprach Greims Auffassung mit dem Hinweis, dass für die Folgen der Langzeitbelastungen nicht die Toxikologie, sondern die Epidemiologie die Wissenschaft sei, die solche Fragen beantworten könne. Der Gesetzentwurf sei aus „umweltmedizinischer, sozialer und auch gesundheitsökonomischer Sicht abzulehnen“, führte Schulz in seiner Stellungnahme aus. Die Krankheitslast durch Luftverschmutzung sei in Deutschland der „wichtigste umweltbezogene Risikofaktor“. Die WHO empfehle ohnehin eine Absenkung der Grenzwerte nicht nur für Stickoxid, sondern auch für Feinstaub.

Peter Wilbring (TÜV Rheinland Energy GmbH) führte Details zu einer Überprüfung der Messstationen in Nordrhein-Westfalen aus. Die Überprüfung sowie der Bewertung der kleinräumigen Kriterien habe ergeben, dass alle Messstellen dort den rechtlichen Anforderungen entsprächen.

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