Anhörung zu Befragungen im Bundestag
Berlin: (hib/fla) Die angepeilte größere Attraktivität von Fragestunden und Regierungsbefragung im Bundestag ist im Grundsatz auf Zustimmung der juristischen Sachverständigen gestoßen. Freilich fielen die Bewertungen der Anträge der Fraktionen zu Änderungen der Geschäftsordnung des Bundestags unterschiedlich aus. Dies ergab heute (30. Januar 2018) eine Anhörung im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung unter dem Vorsitz von Patrick Sensburg (CDU).
Die Koalitionsfraktionen wollen die Fragestunden von 180 auf 90 Minuten kürzen, dafür die Regierungsbefragung von 30 auf 60 Minuten verlängern. Ihr soll - bei Anwesenheit mindestens eines Ministers - kein Thema vorgegeben werden. Dreimal jährlich, vor Ostern, vor der Sommerpause und vor Weihnachten, soll die Bundeskanzlerin befragt werden. Die Anträge der Opposition drängen vor allem auf eine deutliche Ausweitung der Regierungsbefragung.
Ein Schwerpunkt der Anhörung war die unterschiedlich beantwortete Frage, ob oder in welchem Umfang der Bundestag die Bundesregierung zu seiner Gestaltung der Befragung verpflichten kann. Der frühere Bundestagsdirektor Prof. Wolfgang Zeh meinte als einer der Sachverständigen: Wenn bei der Diskussion über das neue Format juristisch alle Möglichkeiten in Betracht gezogen würden, dann sei es „schon vorbei“.
Für Professor Jelena von Achenbach (Justus-Liebig-Universität Gießen) ist die „direkte politische Interaktion zwischen verantwortlicher Regierung und parlamentarischer Opposition“ ein „wichtiger Aspekt des offenen Wettbewerbs der unterschiedlichen politischen Kräfte, den das Demokratieprinzip fordert“. Sie verwies darauf, dass sich die Opposition in der direkten Auseinandersetzung mit Regierungsmitgliedern „sinnfällig und öffentlichkeitswirksam als Alternative zur politischen Regierungsmehrheit zeigen“ könne. „Mit Blick auf die Wirkung der Regierungsbefragung in der Öffentlichkeit“ könnten sich die Regierungsmitglieder auch nicht durch Parlamentarische Staatssekretäre vertreten lassen.
Professor Klaus Ferdinand Gärditz (Universität Bonn) verwies darauf, dass den einzelnen Abgeordneten außerhalb der Regierungsbefragung „bereits anderweitig Fragerechte zur Verfügung stehen“ - Interpellationsrecht, Kleine Anfrage, Große Anfrage. Bei einer Fortentwicklung der Modalitäten für die Regierungsbefragung gehe es „in erster Linie um die - durchaus wichtige - öffentliche Darstellung parlamentarischer Arbeit“.
Professor Ann-Katrin Kaufhold (Ludwig-Maximilians-Universität München) stellte fest: „Regierungsbefragung und Fragestunden tragen in ihrer jetzigen Form wenig bis nichts zur politischen Debatte bei.“ Sie seien „dringend reformbedürftig“. Die Anträge der Fraktionen zur entsprechenden Änderung der Geschäftsordnung begegneten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Freilich könne der Bundestag dabei die Regierung „nicht auf eine bestimmte Form der Regierungsbefragung verpflichten“. Die Geschäftsordnung binde nur Bundestagsabgeordnete.
Professor Christoph Möllers, (Humboldt-Universität zu Berlin) hält von den Veränderungsvorschlägen der Fraktionen jene für „besonders umsetzungswürdig“, die „die Regierungsbefragung zeitlich ausdehnen, die Teilnahme der Regierungsmitglieder und insbesondere der Kanzlerin obligatorisch machen und das Hin und Her der Rede möglichst wenig reglementieren, um so Raum für den politischen Wettbewerb zu lassen“. Die Regierungsbefragung diene dann „nicht nur der Information des Bundestages durch die Mitglieder der Bundesregierung“, sondern mache „das parlamentarische Regierungssystem sicht- und hörbar“. Mithin: „Es könnte sich als wirklich relevanter Beitrag zur Verbesserung einer in die Defensive geratenen Regierungsform erweisen.“
Professor Martin Morlok (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) sieht „das Hauptproblem einer Regelung der Regierungsbefragung in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags“ darin, „dass auf dieser Grundlage keine Verpflichtung für die Mitglieder der Bundesregierung an einer solchen Veranstaltung begründet werden kann“. Deshalb müsse „nach einer konsensuellen Regelung gesucht werden, welche von den Mitgliedern der Bundesregierung freiwillig befolgt wird“.
Professor Michael Sachs (Universität zu Köln) wies darauf hin, dass das Grundgesetz keine „ausdrückliche Festlegung“ dazu enthalte, „wie der Bundestag sein Verlangen nach Anwesenheit eines Regierungsmitglieds zum Ausdruck zu bringen hat“. Sollte es Raum dafür lassen, „für die Dauer der Legislaturperiode von allen Mitgliedern der Bundesregierung zu verlangen, dass sie zu bestimmten Zeiten oder Anlässen im Plenum anwesend sind, könnte es unschädlich sein, wenn ein solches Verlagen auf diese Weise in der Geschäftsordnung ausgesprochen würde“. Sachs: „Die Zulässigkeit einer solchen Anwesenheitsverpflichtung ist allerdings zu bezweifeln.“
Professor Christoph Schönberger (Universität Konstanz) befand, die Vorschläge von CDU/CSU und SPD „verfehlen das Ziel, die Regierungsbefragung so zu reformieren, dass sie eine wirksamere und lebendigere Kontrolle der Bundesregierung durch den Deutschen Bundestag ermöglichen“. Für ihn liegt „der Schlüssel für eine stärkere und lebendigere Regierungsbefragung“ in „der Anwesenheit der Mitglieder der Bundesregierung bei der Befragung“. Sollte bei Mindestanwesenheit nur eines Ministers die Fragen auch von Parlamentarischen Staatssekretären beantwortet werden können, würde der Unterschied zwischen Fragestunde und Regierungsbefragung „weitgehend eingeebnet“. Dabei sei der „Kern der Regierungsbefragung“ die „mündliche und persönliche Interaktion zwischen Abgeordneten und Regierungsmitgliedern, wodurch deren politische Verantwortlichkeit unmittelbar und im parlamentarischen Verfahren konkret sichtbar in Erscheinung tritt“.
Für Zeh verspricht eine Festlegung von drei Kanzler-Befragungen auf den Beginn der Oster-, Sommer- und Weihnachtspause „keine neue Attraktivität“ der Regierungsbefragung: „Bestenfalls entsteht eine Art Regierungserklärung mit kurzer Aussprache.“ Wegen der dann folgenden Sitzungspausen könne dabei „nicht der Eindruck entstehen, als wirke der Bundestag aktiv auf anstehende Vorhaben und Orientierungen der Bundesregierung ein“. Nach seiner Einschätzung könnte „bei ungünstiger Aufnahme seitens der Medien“ eine solche Befragung als „Hochamt des Kanzlers vor Weihnachten“ oder als dessen „Entlassung des Parlaments in die Sommerferien“ karikiert werden.
(Grundlagen der Sitzung: Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD (A-Drs. 19-G-7), Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD (A-Drs. 19-G-15), Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. (BT-Drs. 19/7), Antrag der Fraktion DIE LINKE. (A-Drs. 19-G-12), Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 19/240), Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (A-Drs. 19-G-10), Antrag der Fraktion der FDP (A-Drs. 19-G-13), Antrag der Fraktion der FDP (A-Drs. 19-G-14).