Staatsanwälte berichten über Amri
Berlin: (hib/WID) Zwei Staatsanwälte aus Nordrhein-Westfalen und Berlin haben dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) über Ermittlungsverfahren berichtet, die sie wegen Bagatelldelikten gegen den späteren Attentäter Anis Amri geführt haben. In beiden Fällen habe sich allerdings kein hinreichender Tatverdacht ergeben, betonten die Zeugen Wolfgang Kowalzik und Jan Hendrik Schumpich am Donnerstag. Der Arnsberger Staatsanwalt Kowalzik hatte im Herbst 2015 gegen Amri wegen Fahrraddiebstahls ermittelt, der Berliner Schumpich Anfang 2016 wegen „mittelbarer Falschbeurkundung“.
Ausgangspunkt der Ermittlungen Kowalziks war, wie dieser nach Aktenlage referierte, am 31. Juli 2015 das Verschwinden eines Fahrrads, das am Bahnhof der südwestfälischen Ortschaft Westönnen abgestellt und dort angeschlossen war. Der Besitzer erstattete umgehend Anzeige bei der Polizei, die das Fahrrad zur Fahndung ausschrieb. Am selben Abend gegen 22.30 Uhr beobachtete ein Wachmann der Flüchtlingsunterkunft im rund 40 Kilometer entfernten Rüthen, wie ein unter dem Namen „Mohammed Hassan“ bekannter Heimbewohner versuchte, ein Fahrrad, das er an der Lenkstange führte, auf das Gelände zu bringen. Die herbeigerufene Polizei verzichtete darauf, das Rad zu beschlagnahmen, weil sie zu diesem Zeitpunkt vom Diebstahl in Westönnen nichts wusste.
Am 19. August stellte die Polizei fest, dass der verdächtige Mohammed Hassan am Vortag von Rüthen nach Emmerich verlegt worden war. Im polizeilichen Abschlussbericht von 16. September war die Rede von Zweifeln an der Identität des mutmaßlichen Fahrraddiebes. Es sei nicht klar, ob dieser „Mohammed Hassan“ oder „Hassan Mohammd“ heiße. „Mohammed“ sei der weltweit häufigste Vorname und der vierthäufigste Nachname in der arabischen Welt, stelle Kowalzik fest. „Hassan“ stehe an 17. Stelle unter den im arabischen Raum am häufigsten vorkommenden Nachnamen. Allein deshalb habe er ohne Kenntnis von Geburtsdatum und -ort keine Chance gesehen, den Mann dingfest zu machen, als am 21. Oktober 2015 der Vorgang auf seinem Schreibtisch gelandet sei, sagte der Zeuge.
Er hätte zudem nicht beweisen können, dass Mohammed Hassan alias Amri das Fahrrad tatsächlich gestohlen hatte, weil ihn niemand dabei beobachtet habe. Auch als Hehler hätte er den Mann mangels eindeutiger Anhaltspunkte nicht belangen können. Ebensowenig sei nachweisbar gewesen, dass sich Amri einer „strafbaren Gebrauchsanmaßung“ schuldig gemacht habe. Dies hätte vorausgesetzt, dass er auf dem Fahrrad gesessen und „die Tretkurbel bewegt“ hätte. Er habe das Rad aber geschoben, als er beobachtet wurde. Kowalzik stellte angesichts dieser Erwägungen das Verfahren ein.
Sein Berliner Kollege Schumpich bekam mit Amri zu tun, nachdem dieser sich am 11. Dezember 2015 der Behörde als „Ahmad Zarzour“ vorgestellt hatte, woraufhin festgestellt wurde, dass er bereits seit Juli unter dem Namen „Anis Amir“ registriert war. Allein durch die Angabe eines Aliasnamens sah Schumpich den Tatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung allerdings nicht erfüllt, da er nicht erkennen konnte, dass dadurch die „erhöhte Beweiskraft“ einer öffentlichen Urkunde in erheblichem Maß gemindert wurde, Für diese Einschätzung berief sich Schumpich auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts in Bamberg. Am 25. Februar 2016 stellte auch er das Verfahren gegen Amri ein.