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18.02.2019 Recht und Verbraucherschutz — Anhörung — hib 178/2019

Sachverständige kritisch zu 219a-Entwurf

Berlin: (hib/mwo) Überwiegend kritisch sahen die geladenen Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am Montag den Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch (19/7693). Unter der Leitung des Ausschussvorsitzenden Stephan Brandner (AfD) stellten sich acht Rechts- und Sozialwissenschaftler, Juristen und Ärzte zweieinhalb Stunden lang den Fragen der Abgeordneten in der bereits zweiten Anhörung zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Der Gesetzentwurf der Regierung, der wortgleich mit dem bereits in der vergangenen Woche im Plenum erörterten Entwurf der Fraktionen ist, steht am Mittwoch auf der Tagesordnung des Bundestages.

Hintergrund ist das Verbot der Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch in Paragraf 219a des Strafgesetzbuches (StGB), nach dem auch die Information darüber strafbar sein kann. Laut Entwurf soll der Paragraf um einen weiteren Ausnahmetatbestand ergänzt werden. Danach dürfen Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen zukünftig auch öffentlich ohne Risiko der Strafverfolgung darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des Paragrafen 218a StGB durchführen. Sie sollen darüber hinaus weitere Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch durch Verweis auf entsprechende Informationsangebote neutraler Stellen zugänglich machen dürfen. Das Verbot der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch soll erhalten bleiben, um das Rechtsgut des ungeborenen Lebens zu schützen.

Während die beiden geladenen Ärzte widersprüchliche Meinungen zum Entwurf vertraten, war die Ablehnung der Wissenschaftler fast einmütig. Die wegen eines Verstoßes gegen 219a angezeigte Kasseler Gynäkologin Nora Szász meinte, dass die Gesetzesreform mit der Prämisse des Erhalts des Paragrafen 219a gesellschaftliche Realitäten rund um Frauengesundheit und frauenärztliche Tätigkeit nicht berücksichtige und dabei wesentliche Grundrechte missachte. Zwar seien die Ziele - Verbesserung der Information für Frauen und Rechtssicherheit für Ärzte - grundsätzlich zu begrüßen, der vorliegende Entwurf könne diese Ziele aber nicht erreichen. In den zentralen Punkten hinke er gesellschaftlichen Realitäten hinterher.

Dagegen bezeichnete der Frauenarzt Wolfgang Vorhoff aus Bad Aibling den Gesetzentwurf als ausgewogen und meinte, er werde die Informationen für ungewollt Schwangere verbessern. Ohnehin verstehe er als mit der Beratung befasster Arzt die Diskussion um den Paragrafen 219a nicht, denn Schwangere könnten sich in der heutigen Zeit sehr wohl zeitgemäß und sachgerecht über den Ort, den Arzt und die Methoden des Schwangerschaftsabbruches informieren. Eine komplette Abschaffung des Werbeverbotes wird Vorhoff zufolge zu einem Wettbewerb um die beste Werbung für die jeweilige einen Schwangerschaftsabbruch durchführende Institution führen. Beide Ärzte betonten die Notwendigkeit eines besseren Schutzes von Berufskollegen und -kolleginnen, die Abtreibungen vornehmen. Diese dürften nicht länger stigmatisiert werden. Um die Frage des Schutzes der Ärzte durch den Staat bewegten sich auch viele Fragen der Abgeordneten, die sich darüber hinaus vor allem für eine klare Definition des in Frage stehenden Rechtsguts und die Möglichkeiten der vom Gesetzgeber vorgesehen Informationspraxis interessierten.

?Der Rechtswissenschaftler Michael Kubiciel von der Universität Augsburg lehnte eine ersatzlose Streichung des Paragrafen 219a ab. Der Entwurf der Koalition stelle die deutlich vorzugswürdige Alternative dar, führte der Strafrechtsprofessor in seiner Stellungnahme aus. Er beseitige Informationsdefizite und sorge für eine einheitliche qualitativ hochwertige Information auf den Internetseiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sowie anderer Institutionen und auf der Homepage von Ärzten und Krankenhäusern, die dazu lediglich eine Verlinkung herstellen müssten. Zudem verschaffe er Ärzten die lange geforderte Rechtssicherheit. Den Klagen selbst- und sogenannter Lebensschützer sei damit endgültig die Basis entzogen. Auch in rechtspolitischer Hinsicht sei der Entwurf zu begrüßen, da er einen ideologisch aufgeladenen und parteipolitisch hart umkämpften Streit beende. Er sehe jedoch einen „Optimierungsuftrag“ für den Gesetzgeber.

Eine gänzlich andere Auffassung vertrat Reinhard Merkel von der Universität Hamburg. Da Werbung weiter strafbedroht sein soll, könne der mit dem Entwurf nur unzulänglich korrigierte Paragraf 219a vor der Verfassung weiterhin keinen Bestand haben. Er finde es befremdlich, sagte der Strafrechtsprofessor, dass in der rechtspolitischen Diskussion das Problem des 219a offenbar allein unter dem Gesichtspunkt wahrgenommen und erörtert wird, ob sich Frauen hinreichend informieren können - und nicht unter dem offensichtlich vorrangigen, nämlich, was der Staat legitimerweise mit Strafe bedrohen darf. Die geplante Gesetzesänderung führe zu großen rechtsstaatlichen Ungereimtheiten und sei nicht akzeptabel.

Ulrike Busch vom Institut für Angewandte Sexualwissenschaft der Hochschule Merseburg hält den Gesetzentwurf für ungeeignet, um die Information über den Schwangerschaftsabbruch wirksam zu verbessern. Nach wie vor blieben die Informationsrechte von Frauen und Ärzten strafrechtlich limitiert, sagte die Professorin für Familienplanung. Der Entwurf betrachte weiterführende sachliche Information durch Ärzte als Straftatbestand, dieselbe Information auf der Liste beziehungsweise den Verweis auf der ärztlichen Homepage darauf aber nicht. Er sei Ärzten gegenüber diskreditierend und von Misstrauen geprägt. Aus ideologischen Gründen und letztlich auch parteipolitischen Erwägungen werde an einem verzichtbaren und gesellschaftlich überholten Paragrafen festgehalten.

Elisa Marie Hoven von der Universität Leipzig sagte, der Gesetzentwurf stelle zwar eine Verbesserung der Informationslage dar, löse aber nicht das grundsätzliche Problem des Paragrafen 219a. Durch die fortgeltende Kriminalisierung sachlicher Information würden weiterhin Handlungen unter Strafe gestellt, die keinen Unrechtsgehalt aufweisen. Inhalte, die auf den Homepages von Ärztekammern oder Beratungsstellen zulässig und erwünscht sind, könnten nicht dadurch Gegenstand eines strafrechtlichen Vorwurfs werden, dass sie im Namen von Ärzten verbreitet werden, sagte die Strafrechtsprofessorin. Das Verbot lasse sich auch nicht mit der Annahme begründen, dass Ärzte im Einzelfall die Grenze zur anpreisenden Werbung überschreiten könnten, denn dies sei ohnehin mit Sanktionen verbunden.

Der Deutsche Juristinnenbund begrüße grundsätzlich, dass die Bundesregierung die andauernde Rechtsunsicherheit für Ärztinnen und Ärzte sowie ungewollt schwangere Frauen beseitigen möchte, sagte dessen Vertreterin Ulrike Lembke. Die im Entwurf vorgesehenen Änderungen könnten aber die verfassungsrechtlichen Mängel der Regelung in Paragraf 219a nicht beseitigen, sagte die Vorsitzende des Arbeitsstabs Reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte. Er sei „rechtsdogmatisch grober Unfug“ und ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit. Zudem könne er zu einer Verschlechterung der Versorgungslage führen. Der Juristinnenbund fordere daher die Streichung des Paragrafen. Stattdessen sollte ein Ordnungswidrigkeitentatbestand im Schwangerschaftskonfliktgesetz geschaffen werden.

Nadine Mersch, Leiterin der Stabsstelle Sozialpolitik beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), betonte in ihrer Stellungnahme, 219a könne nicht aufgegeben werden, ohne die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Lebensschutz zu unterlaufen und die Gesamtstatik der gesetzlichen Lösung zu gefährden. Der SkF sei erleichtert, dass die Fraktionen von CDU/ CSU und SPD mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf einen Kompromiss gefunden haben, mit dem unter Beibehaltung des Werbeverbotes vorhandene Informationslücken geschlossen werden können und mehr Rechtssicherheit für Ärzte, Ärztinnen und Kliniken erreicht wird. Damit komme der Staat seiner Pflicht und Verantwortung nach, das Schutzkonzept für das ungeborene Leben zu bewahren und gleichzeitig Frauen in Not- und Konfliktsituationen die angemessenen Informationen für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch zur Verfügung zu stellen.

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