Kritik an Reform der Strafprozessordnung
Berlin: (hib/MWO) Die von der Bundesregierung angestrebten Änderungen an der Strafprozessordnung im Zuge der Umsetzung des europäischen Datenschutzrechts waren Thema einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch. In der vom Ausschussvorsitzenden Stephan Brandner (AfD) geleiteten Sitzung stellten sich acht Sachverständige den Fragen der Abgeordneten, die vor allem die Notwendigkeit von Transparenz bei Ermittlungen, die Verwertbarkeit von Zufallsfunden und die mit dem Gesetz möglicherweise verbundene Schaffung von uferlosen Datenpools betrafen.
Die geladenen Datenschützer, Staatsanwälte sowie jeweils ein Richter und eine Rechtsanwältin gaben ausführliche Bewertungen des Gesetzentwurfs ab und legten aus Sicht der Praktiker Verbesserungswürdiges dar. Der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 im Strafverfahren sowie zur Anpassung datenschutzrechtlicher Bestimmungen an die Verordnung (EU) 2016/679 (19/4671) war bereits im Oktober vergangenen Jahres vom Parlament beraten und bei dieser Gelegenheit von der Opposition wegen des ihrer Meinung nach mangelhaften Datenschutzes kritisiert worden. Regierungsvertreter hatten den Entwurf dagegen als einen weiterer Schritt in Richtung eines umfassenden europäischen Datenschutzes bezeichnet. Der Entwurf sieht unter anderem Änderungen in der Strafprozessordnung, im Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung und im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vor. Redaktionelle beziehungsweise bereichsspezifische Anpassungen sind in 21 Gesetzen und Verordnungen enthalten.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber, erneuerte die Kritik seiner Vorgängerin Andrea Voßhoff an dem Entwurf und erklärte, dieser gehe über die Befugnisse der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, personenbezogene Daten zu verarbeiten, hinaus, ohne dass dies durch die Richtlinie bedingt sei. Dies sei aus datenschutzrechtlicher Sicht abzulehnen. So habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Bundeskriminalamtgesetz festgelegt, nach welchen Maßgaben Daten aus heimlichen Ermittlungsmaßnahmen zu verarbeiten sind. Dies greife der Gesetzentwurf nicht für alle eingriffsintensiven Maßnahmen auf. Vorgesehene strikte Löschungsregeln gefährdeten eine ausreichende Möglichkeit zur Datenschutzkontrolle. Ende vergangenen Jahres hatte Voßhoff erklärt, dass der Entwurf „datenschutzrechtlich problematische Reglungen“ enthalte.
Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Thomas Petri, erklärte, er vermisse eine vollständige Umsetzung der Richtlinie EU 2016/680. Der Entwurf sehe keine umfassende Regelung der Verarbeitung personenbezogener Daten vor. Er verwies unter anderem auf den Hinweis von Frau Voßhoff, dass die Strafprozessordnung bislang keine Rechtsgrundlage für Datenerhebungen durch sogenannte V-Leute vorsieht und dass dies einen rechtsstaatlichen Mangel darstellt. Falls der Gesetzgeber auch für die Zukunft derartige Datenerhebungen für geboten hält, sollte er auch eine entsprechende Verarbeitungsgrundlage schaffen. Zur vorgesehenen Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten empfahl Petri angesichts des vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte monierten Fehlens einer zeitlichen Obergrenze für die Datenspeicherungen die entsprechenden Passage ersatzlos zu streichen. Wie Kelber lehnte Petri die sogenannte Mitziehautomatik ab, durch die gespeicherte persönliche Daten unabhängig vom Grund der Erfassung bei jedem neuen Anlass ungeprüft fortgeschrieben werden können.
Dagegen hielt der Richter am Oberlandesgericht Bamberg, Georg Gieg, den Gesetzesentwurf der Bundesregierung für einen mehr als beachtlichen und angesichts der Komplexität und des Umfangs der Aufgabe ganz überwiegend inhaltlich wie handwerklich gelungenen Entwurf. Unabhängig von Einzelfragen werde die Verankerung der für eingriffsintensive Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen vom Bundesverfassungsgericht gemachten Vorgaben wesentliche Orientierungshilfen für die Praxis geben können. Das im deutschen Recht verbürgte Datenschutzniveau für natürliche Personen werde nicht herabgesetzt.
Matthias Kegel, Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, bezeichnete die Erlaubnis der Erhebung von Standortdaten als unbedenklich. Sie widerspreche weder der Intention des Gesetzgebers, noch würden damit die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden erweitert. Vielmehr werde dadurch eine nicht vorhersehbare planwidrige Vollzugslücke geschlossen.
Kegel begrüßte, dass der betreffende Teil des Bundesdatenschutzgesetzes auf das gesamte Strafverfahren für alle öffentlichen Stellen der Länder anzuwenden ist. Damit werde ein einheitlicher Datenschutzstandard bei Gerichten, Strafverfolgungsbehörden, Vollstreckungsbehörden, Bewährungshilfe, Aufsichtsstellen bei Führungsaufsicht und Gerichtshilfe gewährleistet, eine länderspezifische Zersplitterung vermieden und alle betroffenen Personen datenschutzrechtlich gleich behandelt.
Die Staatsanwältin Viktoria Bunge vom Ministerium für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein bewertete es als positiv, dass im Rahmen des Gesetzentwurfes auch versucht worden sei, die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Positiv zu bewerten sei auch der Hinweis auf die Anwendbarkeit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) auf die nicht-automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten durch Personen, die als nichtöffentliche Stelle anzusehen sind. Dessen ungeachtet gebe es auch noch Möglichkeiten, angesichts der vielen Verweise die Anwenderfreundlichkeit zu erhöhen. Verbesserungsbedarf gebe es auch bei der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten zum Beispiel zu Herkunft oder Gesundheit.?
Lisa Kathrin Sander, Oberstaatsanwältin bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, forderte ebenfalls Nachbesserungen am Datenschutzregime. So habe sich das geltende Regelungskonzept einschließlich der Sperrfrist für laufende Verfahren bewährt und trage den Belangen der Strafverfolgungsbehörden einerseits und den Interessen der Betroffenen andererseits differenziert und angemessen Rechnung. Es sollte daher beibehalten werden. Ihr Fazit lautet: Eine Verfahrensordnung bedarf - erst Recht in einem so eingriffsintensiven Bereich wie dem des Strafverfahrens - größtmöglicher Handhabbarkeit und Praktikabilität. Die Belange der Anwendungspraxis fänden in dem Gesetzentwurf jedoch bislang aus staatsanwaltschaftlicher Sicht nicht ausreichend Berücksichtigung.
Gerwin Moldenhauer, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, ging in seinem Statement unter anderem auf die Regelung der Verwendung von nach anderen Gesetzen erhobenen Daten ein. Als Folge des Entwurfs würde
die Verwendung von Daten als Spurenansatz in der Praxis erheblich eingeschränkt werden. Das den Strafprozess prägende Legalitätsprinzip werde in vielen Fällen leerlaufen. Rechtspraktisch werde durch die Neuregelung sehr wahrscheinlich insbesondere ein Teil der polizeipräventiven Zufallserkenntnisse der Strafverfolgung nicht zugänglich sein. Strafprozessuale Zufallsfunde der Strafverfolgung zu entziehen, widerspreche tradierten strafprozessualen Grundsätzen und gehe über die durch das Bundesverfassungsgericht und die DSGVO aufgestellten Anforderungen hinaus.
Die Rechtsanwältin Ria Halbritter von der Vereinigung Berliner Strafverteidiger bewertete den Entwurf als grundsätzlich gut. Allerdings bemängelte sie wie auch andere Experten, dass er zu kompliziert und nicht anwenderfreundlich sei. Sie plädiere für eine bessere Struktur und, wie auch Bunge, für eine bessere Verweistechnik. Zum Inhalt sagte sie unter anderem, der zu erkennende gesetzgeberische Wille erschöpfe sich in der Beachtung der Rechte von Dritten ohne die damit zwingend verbundenen Eingriffe der Rechte des eigentlich von einem Strafverfahren Betroffenen zu beachten beziehungsweise zu verhindern. Sie sprach von einem Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Anspruch auf geheime Ermittlungen einerseits und Auskunftsrechten andererseits.