Berlins LKA-Chef übt Selbstkritik
Berlin: (hib/wid) Der Präsident des Berliner Landeskriminalamts (LKA), Christian Steiof, hat in seiner Vernehmung durch den 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) bei den Angehörigen der Opfer des Terroranschlags an der Gedächtniskirche erneut um Verständnis geworben und zugleich scharfe Selbstkritik geübt. Steiof sprach am Donnerstag von „fatalen handwerklichen Fehlern“ und „organisierter Verantwortungslosigkeit“. Im Fall des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri sei „alles schiefgegangen, was schiefgehen kann an Kooperation“. Der heute 53-jährige Kriminalist leitet die Behörde seit Mai 2011.
Der Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016 sei die „einschneidendste“ Erfahrung in 35 Jahren seiner Berufslaufbahn gewesen, sagte Steiof. Er trage daran zwar keine Schuld in strafrechtlichem Sinne, jedoch eine „hohe persönliche moralische Mitverantwortung“. Es mache ihn „auch wütend“, in diesem Fall dem „Anspruch, den ich an mich selbst als Kriminalbeamter habe“ ebenso wie seiner Vorstellung, „wie das LKA arbeiten sollte“, nicht gerecht geworden zu sein. Den Angehörigen der Opfer sprach Steiof sein „ehrliches Mitgefühl“ aus sowie „Respekt“ für jene unter ihnen, die bis heute die „Stärke“ aufbrächten, den Anhörungen der einschlägigen Untersuchungsausschüsse beizuwohnen und „es zu ertragen, was gesagt wird“.
Steiof bestätigte, dass das Berliner LKA erstmals um den 20. November 2015 herum mit Amri indirekt in Berührung kam, als ein Hinweis auf einen angeblichen Attentatsplan einging, in den Bilal ben Ammar, ein enger Freund Amris, verwickelt gewesen sein sollte. Amri selbst sei dem Berliner LKA zu jenem Zeitpunkt noch kein Begriff gewesen. Erst Ende Dezember 2015 und in den Anfangstagen des Folgejahres habe „Anis aus Dortmund“ in der Wahrnehmung schärfere Konturen gewonnen.
Am 12. Januar 2016, berichtete Steiof weiter, sei auf seinem Scheibtisch eine „Führungsinformation“ gelandet, in der von Ben Ammar die Rede gewesen sei, aber auch von Amri. Über diesen habe es unter Berufung auf eine Quelle des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts geheißen, er plane offenbar im Raum Berlin einen gemeinschaftlichen Raub, um Geld zu beschaffen für die Finanzierung eines Terroranschlags oder der Reisekosten von Islamisten, die als Kämpfer nach Syrien ziehen wollten. Am 24. Februar habe er diesen Sachverhalt in der wöchentlichen „Sicherheitslage“ beim Innensenator vorgetragen und am 29. Februar eine weitere Führungsinformation erhalten, „wo Amri eine Rolle spielte“. Danach habe er bis zum Attentat auf dem Breitscheidplatz von dem Mann nie wieder etwas gehört.
Üblich sei, die Behördenspitze zu unterrichten, wenn ein wichtiger neuer Fall oder in einem laufenden Vorgang eine neue Entwicklung zu melden sei. Mit Blick auf Amri sei offenbar während des ganzen Jahres 2016 diese Notwendigkeit im Berliner LKA nicht gesehen worden. Dabei hätte es rückblickend betrachtet durchaus Anlass gegeben, ihn zu informieren, als sich im Sommer 2016 Amris zunehmendes Engagement im Drogenhandel abzeichnete, meinte Steiof. Dass dies unterblieben sei, sei einer seiner „Kernkritikpunkte“.
Steiof beklagte die mangelnde personelle Ausstattung seiner Behörde. Seit Jahren stehe die Arbeit im LKA im Zeichen der „Mangelverwaltung“ mit der Folge, „dass man sehr häufig Prioritäten setzt“. Es sei ein „fataler Fehler“ gewesen, dass in den „Zeiten des absoluten Sparens“ in Berlin in den Jahren nach 2000 die Polizei „extrem stark zusammengestrichen“ worden sei.