Lob für Zuwachs bei humanitärer Hilfe
Berlin: (hib/AHE) Experten begrüßen die deutlichen deutschen Zuwächse in der humanitären Hilfe in den vergangenen Jahren. In einer öffentlichen Anhörung zum „Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland in den Jahren 2014 bis 2017“ (19/5720) sahen einige Sachverständige am Mittwoch im Menschenrechtsausschuss aber auch Verbesserungsbedarf - weniger bei der Rolle Deutschlands als Geber als in seiner Rolle als gestaltender Akteur im humanitären System.
Dem Bericht der Bundesregierung zufolge hat sich Deutschland im Jahre 2017 zum weltweit zweitgrößten bilateralen Geber humanitärer Hilfe entwickelt. Demnach seien die Mittel für humanitäre Hilfe von 416 Millionen Euro im Jahre 2014 auf 1,76 Milliarden Euro im Jahr 2017 gestiegen. Regionale Schwerpunkte der deutschen humanitären Hilfe seien der Nahe Osten und Afrika, wobei die Syrien-Krise sowie die Hungerkrisen in Afrika besonders im Fokus stehen würden. Besondere Aufmerksamkeit würde der humanitären Hilfe in Flucht- und Vertreibungssituationen geschenkt. Daneben blieben humanitäre Katastrophenvorsorge sowie humanitäres Minen- und Kampfmittelräumen wichtige Schwerpunkte des deutschen Engagements.
Bodo von Borries (Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen, VENRO) begrüßte den Mittelaufwuchs als „angemessene Reaktion auf den humanitären Bedarf“. Er bekräftigte eine Forderung des Humanitären Weltgipfels: Hilfe solle unter dem Stichwort Lokalisierung flexibler und dezentraler gestaltet sein. Das bedeute zum Beispiel, Akteure vor Ort einzubeziehen, die im humanitären System bisher „wenig sichtbar“ gewesen seien, lokale Selbsthilfe etwa oder die Diaspora eines von einem Konflikt oder einer Naturkatastrophe betroffenen Landes.
Cornelia Füllkrug-Weitzel (Diakonie Katastrophenhilfe) begrüßte das deutsche Engagement. Nun gehe es darum zu zeigen, „dass Deutschland nicht nur ein starker Geber ist und bleibt, sondern auch ein starker Akteur“. Dafür sei unter anderem mehr Kohärenz beim Handeln der Bundesregierung wünschenswert: So seien „Rüstungsexporte in Krisen- und Konfliktgebiete Teil des Problems und nicht der Lösung“. Füllkrug-Weitzel ging auch auf den sogenannten Development-Peace Nexus ein - also die Frage, wie Außen- und Entwicklungspolitik mehr dazu beitragen können, humanitäre Bedarfe erst gar nicht entstehen zu lassen. Für die humanitäre Hilfe bleibe trotz dieses Ansatzes „keine Alternative zur ausschließlichen Bedarfsorientierung“.
Heiko Knoch vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) benannte die Herausforderungen: Nach UN-Schätzungen dürften in diesem Jahr 132 Millionen Menschen infolge von Kriegen, Konflikten, Natur- und Klimakatastrophen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein, der Bedarf belaufe sich auf mehr als 22 Milliarden US-Dollar. Knoch warb für Anstrengungen „weg von der reaktiven hin zur proaktiven“ Hilfe. Investitionen in schützende Infrastruktur, Wetterbeobachtung, Frühwarnsysteme oder App-Entwicklungen zur Erkennung von Mangelernährung bei Kindern könnten dazu beitragen, Hilfsbedarf erst gar nicht in großem Umfang entstehen zu lassen. Knoch warb zudem für den Ausbau bei mehrjährigen Mittelzusagen sowie mehr zweckungebundene Mittel im Sinne von mehr Planbarkeit beziehungsweise Flexibilität bei den Hilfsorganisationen.
Corinna Kreidler (Independent Consultant Humanitarian Assistance) unterstrich, dass Deutschland in der „Liga der großen Geldgeber“ angekommen sei. Der Bericht der Bundesregierung nehme allerdings kaum in den Blick, wie und auf Basis welcher Kriterien die Mittelvergabe erfolge. Nach dem Vorbild anderer Geber müsse mehr Transparenz bei der Auswahl der Partner herrschen. Kreidler warb für mehr Wettbewerb „unter allen Partnern“ sowie für das Prinzip der Subsidiarität bei der humanitären Hilfe. „Entscheidungen sollten deutlich näher an Krisenherde herangetragen werden.“
Wolfgang Prangl (Oxfam Deutschland) machte darauf aufmerksam, dass der Syrien-Konflikt für die Bundesregierung bei der humanitären Hilfe „höchstes Gewicht“ habe. Es müsse aber der Grundsatz gelten, sich ausschließlich am objektiven globalen humanitären Bedarf leiten zu lassen. Als „ambivalent“ wertete der Experte exemplarisch zudem die Jemenpolitik: Jahr für Jahr habe die Bundesregierung die humanitäre Hilfe für das Land angehoben, aber andererseits und im Widerspruch zum selbst gesteckten Ziel einer restriktiveren Rüstungsexportpraxis Waffenlieferungen an Akteure des Jemen-Konfliktes gewährt.
Auch Ralf Südhoff (Centre for Humanitarian Action) machte eine überproportionalen Anteil deutschen humanitären Hilfe für Syrien aus. Das bedeute aber nicht, dass dieser Konflikt aus humanitärer Sicht „überfinanziert“ sei, im Gegenteil: Nur rund 50 Prozent des humanitären Bedarfs seien in Syrien gedeckt. Südhoff betonte, dass die Bundesregierung bisher auf konzeptioneller und strategischer Ebene noch nicht mit dem Aufwuchs bei der humanitären Hilfe mitgezogen habe: Im Auswärtigen Amt seien nur 66 Stellen im Bereich humanitäre Hilfe besetzt, in den Auslandsvertretungen vor Ort fehle Expertise.
Alfred de Zayas (Geneva School of Diplomacy and International Relation) bezeichnete es unter anderem mit Blick auf die Beispiele westlicher Interventionen im Irak und in Libyen für unerlässlich, dass die Weltgemeinschaft das in der UN-Charta verankerte Allgemeine Gewaltverbot einhalte und die Souveränität von Staaten geachtet werde. De Zayas lenkte den Blick zudem auf Ursachen für die Entstehung humanitärer Krisen, die oft ignoriert würden: Dazu zählten etwa Auflagen von IWF und Weltbank im Sinne von Austerität und auch die Zerstörung der Lebensgrundlage von Menschen bei Umweltzerstörungen durch transnationale Konzerne.