Bericht über BKA-Bewertung Amris
Berlin: (hib/wid) Das Bundeskriminalamt (BKA) hat im Februar 2016 drei „explizite Gefährdungsbewertungen“ zur Person des späteren Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri abgegeben und dabei die Bedrohungsprognose geringfügig nach oben korrigiert. Dies berichtete der damals zuständige Kriminaldirektor Martin Kurzhals am Donnerstag dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“). Der heute 47-jährige Referatsleiter im BKA vertrat von 2014 bis Mitte 2018 seine Behörde im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) der deutschen Polizeien und Nachrichtendienste. Er moderierte in dieser Funktion zwischen Anfang Februar und Juni 2016 sechs Besprechungen, in denen der Fall Amris erörtert wurde.
Der gebürtige Tunesier kam erstmals am 4. Februar 2016 im GTAZ zur Sprache. Damals war die Rede von Anschlägen mit Schnellfeuerwaffen, die Amri angeblich plante. Entsprechende Erkenntnisse, die das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt (LKA) durch einen Informanten gewonnen hatte, hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz am 26. Januar ohne Nennung der Quelle in einem „Behördenzeugnis“ für die Berliner Polizei verarbeitet. Der Februar 2016 sei in seiner Erinnerung ein Wendemoment in der Bewertung Amris durch deutsche Sicherheitsbehörden gewesen, sagte Kurzhals: „Im Februar 2016 war Amri am nächsten an einer Anschlagsvorbereitung. Nach Februar war die Brisanz der Lage ein Stück weit abgeebbt.“ So sei es zumindest erschienen.
In der ersten seiner drei Gefährdungsbewertungen setzte das BKA Amri damals auf Rang sieben in einem achtstufigen polizeilichen Prognosemodell. Das bedeutete, dass ein unmittelbar bevorstehender, durch ihn verursachter Schadensfall „eher auszuschließen“ war. In der zweiten Bewertung stieg Amri in die Stufe fünf auf, womit ein von ihm ausgehender Schaden als „eher unwahrscheinlich“ galt. Bei dieser Beurteilung blieb das BKA auch in seinem dritten Amri-Gutachten.
Auf Stufe eins der Skala ist mit dem Eintritt eines Schadensereignisses „zu rechnen“, auf Stufe zwei „mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen“, auf Stufe acht ist er „auszuschließen“. Als Beispiel für einen Gefährder der Stufe zwei nannte Kurzhals den syrischen Flüchtling Dschaber al-Bakr, der unmittelbar vor der Ausführung seines geplanten Sprengstoffanschlags auf den Berliner Flughafen stand, als er im Oktober 2016 in Chemnitz festgenommen wurde. Amris Höherstufung auf Rang fünf habe durchaus bedeutet, dass er als Gefährder „ernstzunehmen“ gewesen sei, betonte der Zeuge.
Das Behördenzeugnis über Amri habe der Verfassungsschutz auf Bitten des nordrhein-westfälischen LKA gefertigt, um dessen V-Mann in der Islamistenszene vor den Kollegen des Berliner LKA zu verschleiern, sagte Kurzhals. Dieser Sachverhalt sei aber damals schon damals kein Geheimnis gewesen. Er selbst habe bei der Vorbereitung der GTAZ-Besprechung am 4. Februar im Vertrauen davon erfahren.
Kurzhals erinnerte an die Zeitumstände des Jahres 2016, das von einer verschiedene Länder erfassenden Welle des radikalislamischen Terrorismus geprägt gewesen sei. Im Januar ereignete sich der Anschlag auf Touristen in Istanbul, in März fanden die Attentate in Brüssel statt, im Juli kam es zum ersten Massenmord mit einem Schwerlaster in Nizza. Deutschland erlebte im Januar eine Messerattacke auf dem Hannoveraner Bahnhof, im April den Anschlag auf einen Sikh-Tempel, im Juli einen Axtüberfall in einem Nahverkehrszug und einen Sprengstoffanschlag in Ansbach, schließlich im Dezember das Attentat Amris in Berlin.