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04.04.2019 Recht und Verbraucherschutz — Anhörung — hib 367/2019

Ersatzfreiheitsstrafe in der Diskussion

Berlin: (hib/mwo) Gegen eine Aufhebung der Ersatzfreiheitsstrafe sprach sich die Mehrheit der Sachverständigen in einer Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz aus. Anlass der vom Ausschussvorsitzenden Stephan Brandner (AfD) geleiteten Sitzung war ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke (19/1689). Danach sollen die entsprechenden Regelungen im Strafgesetzbuch ersatzlos gestrichen und die gemeinnützige Arbeit zur Abwendung der Pfändung durch eine neue bundesgesetzliche Regelung gestärkt werden. Die Ersatzfreiheitsstrafe sei in ihrer aktuellen Konzeption und ihrer praktischen Anwendung ein Instrument der Diskriminierung von einkommens- und vermögensschwachen Menschen, die häufig am Existenzminimum leben, heißt es im Gesetzentwurf. Eine freiheitsentziehende Bestrafung dürfe nur dann in Betracht kommen, wenn andere Mittel nicht hinreichend wirksam sind.

In Anbetracht einer aus ihrer Sicht fehlenden Alternative plädierten die meisten der von den Fraktionen eingeladenen acht Experten aus Rechtssprechung und Wissenschaft trotz einiger Kritikpunkte für die Beibehaltung der bisherigen Regelung der Ersatzfreiheitsstrafe. Davon abweichend meinte der Leiter der Berliner Justizvollzugsanstalt Plötzensee, Uwe Meyer-Odewald, Ersatzfreiheitsstrafen seien zumindest für Bagatellstraftaten wie Schwarzfahren aus kriminalpolitischer nicht mehr vertretbar. Die vorrangige Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit sei grundsätzlich deren Vollstreckung vorzuziehen. Die gegenwärtige Lösung gehe am Bedarf der Betroffenen vorbei und zu Lasten des Justizvollzugs. Viele der aufgrund einer Ersatzfreiheitsstrafe Einsitzenden benötigten eine intensive Betreuung, die eine Justizvollzugsanstalt aber nicht leisten könne, sagte Meyer-Odewald. Den Kosten von rund 150 Euro pro Tag stünden Tagessätze von 10 bis 15 Euro gegenüber. Für unsinnige Maßnahmen würde Millionen ausgegeben. Dieses Geld könne besser angelegt werden.

Ähnlich argumentierte der Strafrechtler Alexander Baur von der Universität Hamburg, der sich zwar gegen die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe aussprach, aber für eine sinnvolle Anwendung des Opportunitätsprinzips plädierte. So sollte Bagatellkriminalität nur dann verfolgt werden, wenn eine strafrechtliche Sanktionierung und damit gegebenenfalls auch die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe geboten seien. Baur zufolge ist die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Verhältnis zu der hohen Zahl von Verurteilungen zu Geldstrafen eher selten. Es lasse sich keine Fehlentwicklung und keine durchgreifenden Bedenken ausmachen, auf die der Gesetzgeber mit einem Verzicht auf die Ersatzfreiheitsstrafe reagieren müsste. Baur empfahl wie Meyer-Odewald und andere Sachverständige, die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe noch konsequenter als bisher zu nutzen.

Zahlen zur Debatte steuerte die Soziologin Nicole Bögelein vom Institut für Kriminologie der Universität Köln bei. Die empirische Forschung belege, dass die Ersatzfreiheitsstrafe als Ultima Ratio zu einem großen Teil die Folge von nicht gezahlten Geldstrafen wegen geringer Eigentumsdelikte und Schwarzfahrens sei. Sie sei daher ein soziales Problem, das auf Bundesebene gelöst werden müsse. Die Betroffenen seien oft sozial Benachteiligte und Obdachlose, die klassische Armutsdelikte begingen. Menschen dürften nicht aus Armutsgründen im Gefängnis landen.

Der Rechtsanwalt Ali Norouzi, Mitglied des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, sagte, die Ausführungen Meyer-Odewalds belegten, dass die aktuelle Gesetzeslage praktische Probleme schaffe. Der Gesetzesentwurf sei daher auf den ersten Blick sympathisch. Seine Schwächen lägen jedoch auf der Hand. So bleibe er auf die Frage eine Antwort schuldig, wie verfahren werden soll, wenn ein zu einer Geldstrafe Verurteilter nicht fähig oder nicht willens ist, eine gemeinnützige Arbeit auszuführen. Straflosigkeit bei Mittellosigkeit sei jedoch keine Option. Norouzi sprach gleichwohl von einem „Etikettenschwindel“. Statt Ersatzfreiheitsstrafe sollte es besser Notfreiheitsstrafe heißen - zum einen, weil der Staat keine andere Möglichkeit habe, und zum anderen, weil es überwiegend Menschen in Not treffe.

Auf Fragen der Abgeordneten nach Ideen für eine Lösung der mit der Ersatzfreiheitsstrafe verbundenen Problematik waren sich die Experten einig, dass es keinen Königsweg gebe. Gefragt seien differenzierte Ideen von persönlichen Lösungen bei Menschen mit persönlichen Problemen bis hin zu einer Härteefallregelung bei unverschuldeter Zahlungsunfähigkeit.

Mehrere Sachverständige hielten den Entwurf für ungeeignet, da die vorgeschlagene Alternative keinen Strafcharakter mehr habe. Michael Kubiciel, Strafrechtler von der Universität Augsburg, erklärte, mit dem Entwurf solle die Ersatzfreiheitsstrafe abgeschafft werden, ohne dass an ihre Stelle ein gleichwertiger Ersatz treten soll. Dem Verurteilten werde nur die Möglichkeit eingeräumt, freiwillig gemeinnützige Arbeit zu leisten, sagte Kubiciel. Er folge jedoch der im Entwurf formulierten Kritik an dem Umrechnungsquotienten, wonach ein Tagessatz der Geldstrafe einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entspricht. Einige Experten unterstützten Kubiciels Vorschlag für eine Reduktion des Quotienten, andere schlosse jedoch nicht aus, dass dies auch zu einer Straferhöhung führen könne. Frank Rebmann von der Staatsanwaltschaft Heilbronn bezeichnete die Ersatzfreiheitsstrafe als ein unersetzliches und hochwirksames Instrument zur zeitnahen Realisierung der von einem unabhängigen Gericht rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe. Ohne Ersatzfreiheitsstrafe bliebe das Strafrecht letztlich ein „zahnloser Tiger“, erklärte Rebmann. Eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe würde für eine beachtliche Gruppe von vermögens- und einkommenslosen sowie arbeitsunfähigen oder -unwilligen Verurteilten im Ergebnis zur Straffreiheit führen.

Der Hannoveraner Oberstaatsanwalt Lars Burgard erklärte, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten wesentliches Kriterium für die Höhe des Tagessatzes bei der Verhängung einer Geldstrafe sei, die bei sozial integrierten Verurteilten, die über regelmäßige Einkünfte verfügen, auch wirke. Problematisch sei die große Anzahl von sozial desintegrierten Verurteilten, insbesondere Wiederholungstätern, die unterhalb der Pfändungsfreigrenzen leben. Die nach dem Gesetzentwurf vorgesehene Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe führe in diesen Fällen faktisch zu einer Preisgabe des staatlichen Strafanspruchs. Dem schloss sich der Richter am Bundesgerichtshof Markus Jäger an. Bei einer Abschaffung liefe die Geldstrafe bei nicht zahlungswilligen Verurteilten, bei denen die Strafe nicht beigetrieben werden kann, ins Leere. Dies käme einer Preisgabe des staatlichen Strafanspruchs gleich und würde wegen der faktischen Sanktionslosigkeit die Normgeltung vieler Straftatbestände gefährden. Jäger zufolge gewährleisten die geltenden Regelungen über Zahlungserleichterungen und Programme wie „Schwitzen statt Sitzen“, dass auch wirtschaftlich schwache, aber leistungswillige Straftäter die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe vermeiden können.

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