Expertenstreit über Altersarmut
Berlin: (hib/HAU) Oppositionsanträge zum Thema Altersarmut bildeten den Hintergrund einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagnachmittag. Die AfD-Fraktion fordert in einem Antrag (19/7724) eine teilweise Anrechnungsfreistellung der gesetzlichen Renten und der Erwerbsminderungsrenten im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Mindestens 15 Prozent der Rentenzahlbeträge sollen nach den Vorstellungen der AfD nicht auf die Grundsicherung im Alter angerechnet werden. Die FDP-Fraktion (19/7694) will mit einer „Basis-Rente“ Altersarmut „zielgenau bekämpfen“. Dazu sollen unter anderem Einkünfte aus privater und betrieblicher Altersvorsorge beim Bezug von Grundsicherung im Alter nur zum Teil auf diese angerechnet werden.
Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag (19/8555) die Einführung einer solidarischen Mindestrente, mit der jegliches vorhandenes Einkommen im Alter und bei Erwerbsminderung auf 1.050 Euro netto im Monat angehoben werden soll. Bündnis 90/Die Grünen wollen Altersarmut mit einer „Garantierente“ bekämpfen (19/9231), bei der geringe Rentenansprüche von Rentnern mit 30 oder mehr Versicherungsjahren so aufgestockt werden, dass die Gesamtrente ein Mindestniveau von 30 Entgeltpunkten erreicht. Die Garantierente soll nach den Vorstellungen der Fraktion ohne Bedürftigkeitsprüfung auskommen.
Für eine klare Trennung der Systeme der Grundsicherung von denen der Sozialversicherung sprach sich Professor Frank Nullmeier während der Anhörung aus. Eine Vermischung der den beiden Systemen zugrundeliegenden Rechtsansprüche sei eine große Gefahr, sagte er. Wenn unter der Bekämpfung der Altersarmut die Vermeidung von Grundsicherungsbezug verstanden und die Legitimität der Rentenbeitragszahlungen nicht gefährdet werden soll, seien Regelungen ohne Bedürftigkeitsprüfung innerhalb der Gesetzlichen Rentenversicherung die am besten geeigneten Lösungen, befand er.
Der Gedanke einer Aufstockung der gesetzlichen Rente ohne die Grundsicherungsstelle in Erscheinung treten lassen zu müssen, sei sicherlich für die ein oder anderen attraktiv, sagte Professor Martin Werding. Gehe es aber über die Beantragung und Auszahlung der Gelder hinaus, sei dies für die Deutsche Rentenversicherung (DRV) mit ihren jetzigen Strukturen nicht zu leisten. Die Folge wäre der Aufbau von Doppelstrukturen mit einem hohen Verwaltungsaufwand, sagte Werding.
Weder die Bedarfsermittlung noch die Bedürftigkeitsprüfung könne die Rentenversicherung derzeit leisten, sagte DRV-Vertreter Reinhold Thiede. Der Aufbau einer solchen Struktur sei hochbürokratisch und unwirtschaftlich, befand er.
Nach Ansicht des Sozialwissenschaftlers Florian Blank ermöglicht der Vorschlag der Grünen nach entsprechenden rentenrechtlichen Vorleistungen eine nicht bedürftigkeitsgeprüfte Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus innerhalb der Rentenversicherung. Am umfassendsten sei aber der Antrag der Linksfraktion zu bewerten, der auch eine Armutsbekämpfung im Sinne des statistischen Armutsbegriffs vorsehe. Unklar, so Blank, sei aber „das Ineinandergreifen der verschiedenen Maßnahmen“.
Einzig zielführend ist nach Auffassung von Professor Christian Hagist der Vorschlag der Basis-Rente. Sie genüge den Kriterien Tragfähigkeit, Fairness und Angemessenheit, an denen staatliche Altersvorsorgesysteme gemeinhin gemessen würden, sagte er.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) „ist und bleibt Altersarmut die Ausnahme in Deutschland“. Die Anträge der Oppositionsfraktionen verstärken damit ebenso wie das Grundrentenkonzept des Bundesarbeitsministers unnötig die Sorgen der Bevölkerung vor grassierender und um sich greifender Altersarmut, wie BDA-Vertreter Alexander Gunkel sagte.
Professor Eckart Bomsdorf betonte, Altersarmut sei primär eine Folge der Höhe der Erwerbsbeteiligung und von Löhnen und Gehältern in der aktiven Phase der Versicherten. Hier sollten seiner Ansicht nach Gesellschaft und Politik ansetzen, „statt die Rente aufzumöbeln“.
Die persönliche Rente für langjährig Versicherte bei geringem Lohn muss nach Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) aufgewertet werden. Die vom Bundesarbeitsminister Heil vorgeschlagene Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung sei eine weiterentwickelte Form der Rente nach Mindestentgeltpunkten, deren schnelle gesetzliche Umsetzung der DGB ausdrücklich begrüßen würde, sagte Gewerkschaftsvertreter Ingo Schäfer.
Ein wesentliches Ziel einer Politik gegen Altersarmut muss es nach Ansicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes sein, den Zugang zu verbesserten Leistungen zu gewährleisten und Bedürftigkeitsprüfungen vermeiden zu helfen. Die solidarische Ausgestaltung der Gesetzlichen Rentenversicherung sei dabei ein ganz wichtiges Instrument, sagte Verbandsvertreter Joachim Rock.
Nach Einschätzung von Peter Haan vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat der Vorschlag der Linksfraktion die größte Auswirkung auf die Reduktion der Altersarmut, da allen bedürftigen Menschen unabhängig von Beitragszeiten ein Grundeinkommen garantiert werde, das sich an empirischen Werten der Armutsrisikoquote orientiere. Der Vorschlag beinhalte jedoch auch die größten Kosten und die stärksten organisatorischen Veränderungen.