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04.06.2019 Inneres und Heimat — Anhörung — hib 642/2019

Pro und Contra zur Duldungsregelung

Berlin: (hib/suk) Die geplanten Neuregelungen der Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung stoßen bei Experten auf ganz unterschiedliches Echo. Dies wurde deutlich in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat unter Vorsitz von Andrea Lindholz (CSU) zu einem entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/8286).

So sagte Professor Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, derzeit lebten in Deutschland 141.000 Geduldete im erwerbsfähigen Alter. rund ein Drittel von ihnen gehe einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, 25 Prozent seien in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Grundsätzlich sei das Vorhaben der Regierung „sinnvoll“, sagte Brücker. Die Grundlage für die Integration sei Rechtssicherheit - sowohl für Arbeitgeber, die ausbilden oder beschäftigten wollen, als auch für Menschen, die in Deutschland bleiben wollen. Die Erfahrung zeige, dass Menschen, die eine gesicherte Perspektive hätten, mehr in Sprachkenntnisse oder Ausbildung investieren würden. Die Fristen, die im Gesetzentwurf vorgesehen sind, stellten aber eine hohe Rechtsunsicherheit dar. Sinnvoller sei eine Stichtagsregelung.

Dem stimmte auch Martin Fleuß, Richter am Bundesverwaltungsgericht Leipzig, zu. Eine Stichtagsregelung wäre „vorzugswürdig“ gewesen. Grundsätzlich habe das Konzept der Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung eine „Brückenfunktion“, um „bereits aufhältigen Ausländern eine Legalisierung des Aufenthalts“ zu ermöglichen - dies bringe aber auch das Problem mit sich, dass dadurch Anreize gesendet werden könnten. Begrüßenswert sei, dass die Ausstellung einer Ausbildungsduldung künftig an die Klärung der Identität gebunden sein soll.

Kritischer äußerte sich Gerrit Kramer vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Die bisherige Anwendung der Ausbildungsduldung sei bundesweit nicht einheitlich; dies sei für die Unternehmen, die Planungssicherheit bräuchten, problematisch. Die geplante Regelung schaffe aber mehr Auslegungsspielräume. Im Jahr 2018 seien 58.000 Ausbildungsplätze bei der Agentur für Arbeit gemeldet gewesen, die nicht besetzt werden konnte, dem gegenüber stünden 23.000 unversorgte Jugendliche. Damit Betriebe für offene Stellen auch das Potential von Geflüchteten nutzen können, sei gesetzgeberisches Handeln nötig. Anders als vorgesehen, müsse die Antwort auf die frage, ob eine Ausbildung erfolgreich zu Ende gebracht werden können, von den Betrieben gegeben werden und nicht von der Ausländerbehörde. Zudem entsprächen die geplanten Fristen nicht der Realität in den Unternehmen: Diese würden über die Besetzung von Ausbildungsplätzen ein Jahr im Voraus entscheiden; dem trage die Neuregelung nicht Rechnung.

Claudia Karstens vom Paritätischem Gesamtverband äußerte in ihrem Statement zwei Wünsche: Die Politik möge zu ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zurückkehren, in der man sich ausreichend Zeit nehme, und bereits bestehende Gesetze erst einmal evaluieren, bevor neue verabschiedet würden. Das derzeitige Vorgehen gehe „zu Lasten der Fachlichkeit“ und mache Fehler möglich, die angesichts der wichtigen Thematik nicht geschehen dürften. Sie sehe drei Hauptprobleme: Zum einen sei häufig eine Identitätsklärung auch mit großer Anstrengung der Betroffenen nicht möglich. Zum zweiten sei der Ermessensspielraum bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu groß, zum dritten würden zum Teil „widersinnige Mitwirkungspflichten“ verlangt. Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund wies darauf hin, dass man den vielen Menschen, die derzeit nicht zurückgeführt werden könnten, eine Perspektive eröffnen müsse. In der Praxis stammten viele der Geduldeten aus sicheren Herkunftsländern; verweigere man ihnen die Integration in den Arbeitsmarkt, bliebe nur die Abschiebung, die bekanntermaßen nicht möglich sei oder man müsse ihnen weiterhin Sozialleistungen zahlen.

Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag betonte, nicht bei allen Beteiligten habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass auf abgelehnte Asylbescheide grundsätzlich die Abschiebung und nicht die Aufnahme einer Beschäftigung folgen müsse. Auch die Forderung nach einer bundeseinheitlichen Anwendung sehe er kritisch: Es liege im Sinn eines föderalen Systems, dass der Vollzug von Regeln unterschiedlich ausgestaltet werde. Wer eine einheitliche Ausgestaltung und keinerlei Entscheidungsspielräume wolle, müsse ein detailliertes Gesetz schreiben, dass dann aber ausgesprochen komplex sei.

Die Neuregelung werde „ins Leere laufen“: So lautet das Fazit von Lea Rosenberg, Vorstandsmitglied des Fördervereins Pro Asyl. Grundsätzlich gab sie zu bedenken, dass nicht alle Geduldeten diesen Status zu Recht hätten: So seien im Jahr 2018 ein drittel der Entscheidungen des Bamf, wegen derer es Verfahren gegeben habe, vor Gericht korrigiert worden. Man müsse daher davon ausgehen, dass einer großen Zahl von Ausreisepflichtigen der Schutzstatuts zu Unrecht verwehrt werde. Die Erfahrung zeige, dass viele Ausländerbehörden ihre Kompetenzen nutzen würden, um Duldungen zu verweigern oder zu verzögern. Sie habe, so Rosenbeerg, insbesondere bei der Beschäftigungsduldung den Eindruck, dass ein „Erfolg nicht gewollt“ sei.

Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz betonte, der Gesetzgeber stehe Ausreisepflichtigen gegenüber vor „einem Dilemma“, weil er einerseits die Integration fördern und gleichzeitig Anreize verhindern wolle. Wenn bekannt würde, dass es in Deutschland möglich sei, trotz eines abgelehnten Asylantrags mit staatlicher Förderung in Arbeit zu kommen, könne das den Anreiz erhöhen, illegal nach Deutschland zu kommen. Im Vergleich zu den Voraussetzungen für die Fachkräfteeinwanderung seien die Kriterien für eine Beschäftigungsduldung deutlich geringer. Er plädiere dafür, so Thym, sich im Gesetz auf die grundsätzlichen Vorgaben zu beschränken und auf die Behörden und Gerichte zu vertrauen, die die Gesetze konkret und stabil machten. Dies funktioniere in der Regel „halbwegs gut“.

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