Zeuge schildert Gründe für Abschiebung
Berlin: (hib/WID) Ein Beamter aus dem Bundesinnenministerium hat dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) die Entscheidungsfindung in seinem Haus geschildert, die der umstrittenen Abschiebung des Tunesiers Bilel Ben Ammar Anfang 2017 voranging. „Wir haben uns das nicht leicht gemacht“, betonte Regierungsdirektor Günter Drange in seiner Vernehmung am Donnerstag. Der heute 43-jährige Zeuge war von August 2016 bis März 2018 Persönlicher Referent der damaligen Innenstaatssekretärin Emily Haber, die sich persönlich dafür eingesetzt hatte, Ben Ammar außer Landes zu schaffen.
Ben Ammar war ein enger Vertrauter des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri und stand eine Zeitlang im Verdacht, Mittäter des Anschlags gewesen zu sein. Er wurde am 4. und am 19. Januar 2017 in Untersuchungshaft von Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) vernommen. Die Vermutung, er sei am Attentat seines Freundes Amri beteiligt gewesen, habe sich dabei allerdings nicht erhärten lassen, sagte der Zeuge. Das BKA habe signalisiert: „Aus dem kriegen wir nichts raus.“ In dieser Situation habe auch das im Ministerium zuständige Referat ÖSII/2 den „fachlichen Ratschlag“ erteilt, auf die Abschiebung Ben Ammars hinzuwirken.
Damit sei der Tunesier der erste Anwendungsfall einer Verabredung gewesen, die die damaligen Bundesminister für Inneres und Justiz, Thomas de Maizière (CDU) und Heiko Maas (SPD), Mitte Januar 2017 als Konsequenz aus dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz getroffen hätten. Demnach sollten islamistische Gefährder, wenn irgend möglich, künftig auch wegen minder schwerer Delikte in Untersuchungshaft kommen können. Darüber hinaus hätten die Minister vereinbart, in Fällen, in denen das Strafrecht an seine Grenzen stoße, „konsequent ausländerrechtliche Maßnahmen“ zu nutzen. Dies sei ein neuer Ansatz gewesen, sagte Drange.
Bei „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ für ein Hafturteil gehe weiterhin der „Strafanspruch“ vor, betonte der Zeuge. Ansonsten gelte, „dass wir ausländerrechtliche Möglichkeiten konsequent nutzen, wenn wir nicht sicherstellen können, dass die Person, über die wir sprechen, in Haft einfahren kann. Wir versuchen, eine gefährliche Person, wenn wir sie nicht in Haft bringen können, außer Landes zu schaffen.“ Dieser neue Kurs habe mittlerweile auch Früchte getragen. Seien vor dem Anschlag im Jahr drei bis fünf als Gefährder identifizierte Islamisten abgeschoben worden, so seien es heute 40 bis 50, sagte Drange.
Ben Ammar sei den Behörden als radikaler Islamist mit „hohem kriminellem Potential“ bekannt gewesen. Auf seinem Mobiltelefon hätte sich zwei Fotos vom Schauplatz des Anschlages gefunden, die nach der Tat aufgenommen worden seien. Am Vorabend habe er mit Amri zusammengesessen. Ein Zeuge habe den Eindruck gewonnen, die beiden hätten sich hoch konspirativ verhalten und mit Sicherheit über das geplante Attentat geredet. Ben Ammar selbst habe angegeben, sie hätten Fragen des Ausländerrechts erörtert.
Ein Anfangsverdacht der Tatbeteiligung, meinte der Zeuge, sei also durchaus plausibel gewesen, habe sich aber nicht erhärten lassen. Im Ministerium habe der Eindruck geherrscht: „Wir haben ein schlechtes Bauchgefühl, aber wie kriegen keinen Knopf an ihn. Wir können es nicht nachweisen und wir müssen es nachweisen, wenn wir ihn in Untersuchungshaft halten wollen.“ In dieser Lage habe sich seine Vorgesetzte, Staatssekretärin Haber, „offensiv“ und erfolgreich für die Abschiebung stark gemacht.