Zeuge berichtet über Ausreiseversuch
Berlin: (hib/WID) Ein Beamter des Berliner Landeskriminalamts hat dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) über die Umstände der verhinderten Ausreise des späteren Attentäters Anis Amri Ende Juli 2016 berichtet. Er habe sich, wie die Polizei damals angenommen habe, vermutlich zu seiner Familie nach Tunesien oder noch wahrscheinlicher nach Italien absetzen wollen, sagte Kriminaloberkommissar G. K. in seiner Vernehmung am Donnerstag. Zugleich bestritt er, dass eine Berliner Behörde die Festnahme Amris unweit der Schweizer Grenze veranlasst habe. Der heute 29-jährige Zeuge ist seit 2014 im Polizeilichen Staatsschutz (LKA5) und dort seit November 2015 im Fachbereich Islamismus tätig.
Auf die Ausreiseabsicht Amris sei er damals durch den Hinweis einer Dolmetscherin aufmerksam geworden, die beim Übersetzen abgehörter Telefonate festgestellt hatte, dass Amri sich von seinen Berliner Freunden und Bekannten verabschiedete, berichtete der Zeuge. Er sei damals in depressiver Stimmung gewesen und habe geklagt, Deutschland wie auch die Schweiz seien keine „lebenswerten“ Länder. Eine Ortung seines Mobiltelefons habe ergeben, dass sich Amri zunächst auf der Berliner Avus und anschließend auf der Autobahn A9 zügig in Richtung Süden bewegte. Es sei dann spontan entschieden worden, Amris Telefon mit Hilfe der anwesenden Dolmetscherin in Echtzeit zu überwachen und seinen Weg weiter zu verfolgen.
Er habe, berichtete der Zeuge weiter, umgehend den mit Amris Fall befassten Berliner Staatsanwalt verständigt. Dieser habe entschieden, Amri an der Ausreise in ein europäisches Land nicht zu hindern. Nur wenn erkennbar sei, dass er über die Türkei oder auf direktem Wege nach Syrien reisen wolle, sei ein Zugriff angebracht. Er habe, so der Zeuge, auch das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen über Amris Reise auf dem Laufenden gehalten, weil dieser dort ebenfalls als islamistischer Gefährder registriert gewesen sei.
Auf dem Busbahnhof von Friedrichshafen am Bodensee wurde Amri schließlich von der Bundespolizei festgenommen und an der Ausreise gehindert. Der Zeuge betonte, dass das Berliner LKA damit nichts zu tun gehabt habe. Jedenfalls sei ihm davon nichts bekannt. Er vermute, dass es die Bundespolizei war, die entschieden habe, Amri die Ausreise zu versagen, weil sich in seinem Besitz neben Drogen zwei gefälschte italienische Personalausweise fanden.
Der Fall Amri habe von März bis September 2016 einen Großteil seiner Arbeitskraft absorbiert, sagte der Zeuge, der damals mit der Auswertung der abgehörten Telefonate des Tunesiers betraut war. Jeden Morgen habe er zunächst die über Nacht aufgelaufenen Gespräche gesichtet und, soweit sie in arabischer Sprache geführt worden waren, zur Übersetzung weitergeleitet. Die Inhalte habe er in Berichten zusammengefasst. Seit Mai 2016 habe er auch Amris Kommunikation auf dem Messengerdienst Telegram überwacht. Der Zeuge betonte, dass die Abhörmaßnahmen auch dann noch mit unverminderter Intensität fortgeführt worden seien, nachdem sich Mitte 2016 in der Berliner Polizei die Ansicht durchgesetzt hatte, dass von Amri ein Anschlag unmittelbar nicht mehr zu befürchten sei.
Wie der Zeuge weiter berichtete, haben Beamte des Berliner LKA Amri um den 6. Mai 2016 herum auch persönlich angesprochen, um ihn darauf hinzuweisen, dass er sich illegal in Berlin aufhalte, und ihn zur Rückkehr nach Nordrhein-Westfalen aufzufordern, wo ihm als Asylbewerber der Hauptwohnsitz zugewiesen war.