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11.11.2019 Recht und Verbraucherschutz — Anhörung — hib 1258/2019

Richter und Verteidiger uneins

Berlin: (hib/MWO) Auf ein geteiltes Echo trifft der Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens (19/14747, 19/14972). Das wurde bei einer zweistündigen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Montag deutlich. Während die eingeladenen Richter die Dringlichkeit der im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen betonten, lehnten die Verteidiger die Pläne weitgehend ab. Der Gesetzentwurf steht mit dem bereits im parlamentarischen Verfahren befindlichen, wortgleichen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD schon am Freitag, 15. November, zur Abstimmung. Zum Thema haben zudem die FDP-Fraktion (19/14244) und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/13515) Anträge eingebracht.

Die Abgeordneten wollten von den acht Sachverständigen unter anderem wissen, wie sie die im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen einschätzen und welche darüberhinaus gehenden Möglichkeiten zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren sie sehen. Viele Fragen bezogen sich auf die audiovisuellen Aufzeichnung der Hauptverhandlung und die Aufzeichnung von Zeugenaussagen im Sinne des Opferschutzes sowie auf die Ausweitung der DNA-Analyse. Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte die Eile, mit der das Gesetzgebungsverfahren betrieben werde, und forderte, vor einem Beschluss des Rechtsausschusses erst das Wortprotokoll der Anhörung abzuwarten.

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, begrüßte die geplante Reform. Die gerichtliche Praxis warte darauf seit Jahren, denn Strafverfahren dauerten immer länger. 86 Prozent der Richter und Staatsanwälte sprächen sich für die geplanten Reformen aus. Mit dem Entwurf werde versucht, nur Auswüchse zu kappen, ohne Beschuldigtenrechte im Übermaß zu beschränken. Die vier zentralen Regelungen zu Befangenheitsanträgen, Besetzungsrügen, zum Beweisantragsrecht und zur Bündelung der Nebenklage seien ebenso wie die weiteren Regelungen im Grundsatz ausgesprochen sinnvolle Ergänzungen.

Stefan Caspari, Vorsitzender Richter am Landgericht Magdeburg, signalisierte in seiner Stellungnahme weitgehende Zustimmung zu der Vorlage. Bei der audiovisuellen Aufzeichnung von Zeugenaussagen und deren Vorführung in der Hauptverhandlung dürfte jedoch noch eine gesetzgeberische Klarstellung geboten sein. Keine Bedenken habe er gegen ein grundsätzliches Verbot der Gesichtsverhüllung für Verfahrensbeteiligte, die erweiterte Zulässigkeit der DNA-Analyse und die erweiterte Zulässigkeit der Telekommunikationsüberwachung.

Stefan Maier, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Stuttgart, sieht die im Entwurf zwingend vorgeschriebene Aufzeichnung von richterlichen Vernehmungen der zur Tatzeit erwachsenen Opfern von Sexualstraftaten und die Erweiterung der vernehmungsersetzenden Vorführung einer Aufzeichnung sehr kritisch. Mit einer spürbaren oder nur nennenswerten Erleichterung für Opferzeugen, besonders mit der Entbehrlichkeit einer Vernehmung dieser Zeugen vor Gericht, werde regelmäßig nicht zu rechnen sein.

Der Richter am Bundesgerichtshof Andreas Mosbacher verwies in seiner Stellungnahme darauf, dass erstinstanzliche Strafverfahren vor den Landgerichten ungeachtet überschaubarer Tatvorwürfe und nicht überaus komplizierter Beweislage immer wieder unverständlich lange dauerten. Gesetzliche Änderungen wie die vorgeschlagenen reichten zur Behebung dieses Missstandes allerdings nicht aus. So müsse dringend in die Fortbildung der Vorsitzenden Richterinnen und Richter an den Landgerichten zum Thema effektive Verhandlungsführung investiert werden.

Auch Ken Heidenreich, Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München I, sprach sich für die Änderungen aus. Ausführlich setzte er sich in seiner Stellungnahme mit der Erweiterung der DNA-Analyse auf Spurenmaterial von unbekannten Spurenlegern auch auf die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie auf das Alter auseinander. Die Einwände, die gegen die geplante Gesetzesänderung erhoben würden, könnten nicht überzeugen. Weder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werde verletzt noch liege ein nicht zulässiger Eingriff in den unantastbaren Kernbereich der Persönlichkeit vor. Auch die immer wieder angeführte Gefahr der Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen oder Minderheiten sehe er nicht.

Matthias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt am Main verwies auf die von ihm mitverantwortete Stellungnahme des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Darin heißt es, der eine Modernisierung des Strafverfahrens beanspruchende Regierungsentwurf enthalte ein Sammelsurium von Gesetzesänderungen, die einen übergreifenden rechtspolitischen Zweck vermissen lassen. Neben durchaus einsichtigen Regelungen, wie etwa der Einführung eines bundesweit geltenden Gerichtsdolmetschergesetzes, gebe es problematische Änderungen hinsichtlich der Besetzungsrüge, des Beweisantrags- und des Befangenheitsrechts. Sie enthielten gravierende Einschnitte in Verfahrensgrundrechte des Beschuldigten ohne Mehrwert für eine Beschleunigung von Strafverfahren. Jahn kritisierte auch die Erweiterung der Telekommunikationsüberwachung zur Verfolgung des Einbruchsdiebstahls und die Erweiterung der DNA-Analysemöglichkeiten.

Stefan Conen von der Vereinigung Berliner Strafverteidiger erklärte, der Entwurf wolle keine Reform und Modernisierung des Strafverfahrens. Es gehe stattdessen darum, Formen des Strafprozessrechts abzuschleifen, die vermeintlich einem schnellen Verfahrensabschluss hinderlich seien. Dadurch wachse die Gefahr von Fehlurteilen. Die verhängnisvollen Tendenzen des Entwurfs zeigten sich besonders an den Regelungen zum Beweisantragsrecht, zur Besetzungsrüge und zum Befangenheitsrecht.

Der Vertreter des Deutsche Anwaltvereins, Ali B. Norouzi, teilte die Kritik Jahns und Conens. Notwendig seien empirische Erkenntnisse zu den erst kürzlich erfolgten Änderungen der Strafprozessordnung, ehe weiterer Reformbedarf festgestellt werde. Diese fehlten völlig, sagte Norouzi. Die geplanten Änderungen hätten keinen Mehrwert für die Praxis und schüfen eher zusätzlichen Konfliktstoff für die Hauptverhandlung.

Der Gesetzentwurf sieht zur Beschleunigung des gerichtlichen Strafverfahrens unter anderem vor, dass missbräuchlich gestellte Befangenheits- und Beweisanträge unter erleichterten Voraussetzungen abgelehnt werden können. Durch die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens für den Besetzungseinwand soll zeitnah Rechtssicherheit über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts geschaffen werden. Die Nebenklagevertretung soll durch die Bestellung oder Beiordnung eines gemeinschaftlichen Nebenklagevertreters gebündelt werden können. Auch sollen künftig gesetzlicher Mutterschutz und Elternzeit Gründe dafür sein, die Fristen für die Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zu einer Dauer von zwei Monaten zu hemmen. Schließlich soll in Gerichtsverhandlungen das Verbot eingeführt werden, das Gesicht ganz oder teilweise zu verdecken.

Zur Verfolgung des Wohnungseinbruchdiebstahls soll die Telekommunikationsüberwachung erweitert werden. Auch sollen die Möglichkeiten der DNA-Analyse im Strafverfahren noch weitreichender genutzt werden können. Darüber hinaus soll der Opferschutz im Strafverfahren weiter gestärkt werden. So sieht der Entwurf vor, die audiovisuelle Aufzeichnung von richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren von zur Tatzeit erwachsenen Opfern von Sexualstraftaten verpflichtend vorzuschreiben. Geplant ist auch die Einführung eines bundesweit geltenden Gerichtsdolmetschergesetzes.

Die FDP will mit ihrem Antrag erreichen, dass Strafprozesse effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher gestaltet werden. Gerade die Möglichkeiten der Digitalisierung könnten sowohl die Qualität des Strafprozesses verbessern, als auch zu seiner Beschleunigung beitragen. Die Grünen schlagen zur Modernisierung des Strafverfahrensrechts vor, unter anderem die Bild-Ton-Dokumentation bei erstinstanzlichen strafgerichtlichen Hauptverhandlungen an Land- und Oberlandesgerichten obligatorisch zu machen.

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