Überprüfung von Bundeswehreinsätzen
Berlin: (hib/MWO) Ein Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, mit dem ein Verfahren zur Überprüfung von Beschlüssen des Bundestages zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland durch das Bundesverfassungsgericht eingeführt werden soll, war Gegenstand einer Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am Montag. Der Entwurf (19/14025) sieht eine entsprechende Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vor.
Nach Darstellung der Grünen sind Beschlüsse des Bundestages, mit denen er dem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland zustimmt, nach gegenwärtigem Recht vom Bundesverfassungsgericht kurzfristig und umfassend nicht überprüfbar. Bei derartig wesentlichen Angelegenheiten müsse aber die Möglichkeit bestehen, dass verfassungsrechtliche Grundsatzfragen letztverbindlich durch das Bundesverfassungsgericht beantwortet werden. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 17. September 2019 (Aktenzeichen: 2 BvE 2/16) zum Syrien-Einsatz ausgeführt, dass es Sache des Gesetzgebers sei, verfassungsgerichtliche Kontrolle zu ermöglichen.
In ihren Stellungnahmen gingen die Experten ausführlich auf die rechtlichen Grundlagen für bewaffnete Bundeswehreinsätze im Ausland sowie auf mögliche Auswirkungen einer Gesetzesänderung ein. In der Frage der Notwendigkeit einer Änderung der bisherigen Rechtslage gingen die Meinungen der Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis aber auseinander. Die Abgeordneten thematisierten in ihren Fragen vor allem das Verhältnis von Grundgesetz und Völkerrecht, die Erforderlichkeit einer Verfassungsänderung und das Verfahren der Antragstellung.
Wie der Kieler Fachanwalt für Verwaltungsrecht Wolfgang Ewer ausführte, unterliegen bewaffnete Bundeswehreinsätze im Ausland verschiedener Anforderungen des Grundgesetzes. Nach der bisherigen Rechtslage gebe es aber weder Rechte des Bundestages noch Rechtsschutz für den Bundestag. Dass diese Lücke geschlossen werden soll, sei aus seiner Sicht zu begrüßen. Damit werde den Anforderungen an solche Einsätze eine Möglichkeit der effektiven Durchsetzung beigelegt. Ewer zufolge gibt es bereits die vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Möglichkeit, im Organstreitverfahren eine unzulässige Fortentwicklung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit oder einen Verstoß eines Einsatzes gegen das Gebot der Friedenswahrung zu rügen, aber bisher keine Möglichkeit, die Verfassungswidrigkeit eines Einsatzes ganz außerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu rügen. Einer Verfassungsänderung bedarf es zur Einführung des neuen Verfahrens aus Sicht Ewers nicht.
Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin, verwies in seiner Stellungnahme unter anderem auf das Ziel des Entwurfs: Die Frage einer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht zugänglich zu machen, ob ein Auslandseinsatz im Rahmen eines Systems der kollektiven Sicherheit stattfindet und ob der Einsatz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dies könne derzeit nicht direkt an das Bundesverfassungsgericht herangetragen werden, erklärte Seegmüller. Das im Entwurf vorgeschlagene Verfahren ermögliche eine entsprechende Überprüfung. Im Gegensatz zu Ewer hält Seegmüller eine Änderung der Verfassung voraussichtlich für notwendig.
Der emeritierte Hamburger Hochschullehrer Norman Paech unterstützte den Entwurf. Er sei sinnvoll und finde seine verfassungsrechtliche Grundlage in verschiedenen Vorschriften des Grundgesetzes, die unter dem Begriff des „Friedensgebots“ zusammengefasst werden könnten. Der Entwurf trage bei zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom September 2019 selbst begründet habe. Paech geht nicht davon aus, dass die mit dem neuen Verfahren ermöglichte Kontrolle die außen- und sicherheitspolitische Beweglichkeit der Bundesregierung einschränke.
Der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers von der Berliner Humboldt-Universität erklärte, eine Ergänzung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes in Form der Einführung neuer Klageformen sei verfassungsrechtlich unabhängig von praktischen Bedürfnissen weder ge- noch verboten. Sie sei daher eine Frage politischer Gestaltung und sollte sich bruchlos in den verfassungsrechtlichen Rahmen juristischer Kontrolle fügen. Das im Entwurf vorgesehene Antragsquorum orientiere sich einerseits an der abstrakten Normenkontrolle, andererseits am Organstreitverfahren. Systematisch sei das nicht einleuchtend. Praktisch werde dies zu einer Politisierung des Verfahrens führen. Möllers kritisierte auch eine seiner Meinung nach zu lange Antragsfrist sowie eine Lücke für den Fall von Einsätzen bei Gefahr im Verzug.
Aus Sicht der Rechtsprofessorin Stefanie Schmahl von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg gibt es für den Gesetzesentwurf kein rechtsstaatliches Bedürfnis. Zudem weise er verfassungspolitische und verfahrenstechnische Ungereimtheiten auf. Es bestünden hinreichende Sicherungen gegen ein etwaiges verfassungs- und völkerrechtswidriges Handeln der beteiligten Staatsorgane. Eine rechtsstaatlich bedenkliche Rechtsschutzlücke, die geschlossen werden müsste, sei vor dem Hintergrund des Zuschnitts der bestehenden Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht nicht ersichtlich. Auch Schmahl sieht die Gefahr einer Politisierung des Bundesverfassungsgerichts. Schließlich sei zu bedenken, welche politischen Signalwirkungen ein mit dem Entwurf angestrebtes Verfahren nicht nur gegenüber den Bündnispartnern, sondern auch gegenüber den sich im Auslandseinsatz befindlichen Soldatinnen und Soldaten hätte.
Schmahls Kollege Karsten Schneider von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz erklärte in seiner Stellungnahme, der Entwurf schaffe Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Frage, ob der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts auch zukünftig ganz oder teilweise an Vertretbarkeitskontrollen festhalten könne oder ob in der neuen Verfahrensart sämtliche Rechtsfragen - einschließlich völkerrechtlich strittiger Vorfragen - durchentschieden werden müssen. Ein verfassungsrechtlicher Auftrag an den Gesetzgeber, das neue Verfahren zu schaffen, bestehe nicht. Auch sprächen verfassungspolitische Gründe gegen ein Antragsrecht der Fraktionen.
Bedenken äußerte auch Pierre Thielbörger, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht und Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum. Er wies unter anderem auf mögliche Probleme hin, die sich aus der Berücksichtigung sowohl des Grundgesetzes als auch des Völkerrechts bei der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben könnten. Das höchste deutsche Gericht sei kein Bundesvölkerrechtsgericht, sagte Thielbörger.