Maut: Europarechtliches Risiko im Fokus
Berlin: (hib/CHB) Vor dem 2. Untersuchungsausschuss („PKW-Maut“) hat ein Zeuge die Zustände im Bundesverkehrsministerium kritisiert. „Ich habe im Bundesverkehrsministerium Entscheidungsstrukturen kennengelernt, in denen ich nicht weiterarbeiten wollte“, sagte Joachim Leitner in der Sitzung von Donnerstag, 5. März 2020. „Unsere fachliche Arbeit wurde von politischen Vorgaben dominiert“, erklärte der Jurist und Verkehrsingenieur, der von September 2015 bis April 2017 als Referent im Verkehrsministerium arbeitete und dort Mitglied der Projektgruppe zur Vorbereitung der PKW-Maut war. Mittlerweile arbeitet er beim Umweltbundesamt.
Bereits in seinem Eingangsstatement in der vom Vorsitzenden Udo Schiefner (SPD) geleiteten Sitzung gab Leitner zu Protokoll, er mache sich heute seine Rolle im Ministerium zum Vorwurf. „Ich wurde nie beauftragt, die Rechtsauffassung der Bundesregierung zu überprüfen“, betonte er während der Vernehmung. „Ich war beauftragt, sie zu vertreten.“ Bei der Beantwortung von parlamentarischen Anfragen und dem Verfassen von Sprechzetteln habe er mit vorgegebenen Textbausteinen arbeiten müssen. So seien beispielsweise stets der „echte Systemwechsel“ und die Frage der Gerechtigkeit betont worden. „Man hatte Weisungen auszuführen. Sie waren so, dass ich keinen bis wenig fachlichen Input leisten konnte“, erklärte der Zeuge weiter.
Weniger brisant waren die vorangegangenen Ausführungen von zwei weiteren Zeugen, bei denen es ebenfalls um die Entstehungsgeschichte der umstrittenen Maut ging. Deutlich wurde dabei, dass es im Bundesjustizministerium Bedenken gab, ob die Infrastrukturabgabe für Personenkraftwagen mit dem EU-Recht vereinbar sei.
„Es bestand ein europarechtliches Risiko“, sagte Christoph Freytag vom Bundesjustizministerium. „Unsere Einschätzung war: Es bleibt definitiv ein Restrisiko, das nicht ausgeglichen werden kann.“
Freytag war bis November 2016 als Referatsleiter im Justizministerium für verkehrsrechtliche Fragen zuständig. Am 1. Dezember 2014 legte er eine Stellungnahme vor, die ihrerseits auf Stellungnahmen mehrerer anderer Referate basierte. Das Papier wies auf die europarechtlichen Risiken des Gesetzentwurfs für die PKW-Maut hin. In der Folge, so erinnerte sich Freytag, habe die Hausleitung jedoch mitgeteilt, sie habe sich entschieden, den Entwurf „laufen zu lassen“. Am 17. Dezember 2014 wurde der Gesetzentwurf dann dem Bundestag zugeleitet.
Im Weiteren berichtete der Jurist, er habe im Jahr 2014 den Vorschlag gemacht, die KfZ-Steuer abzuschaffen, um auf diese Weise das europarechtliche Problem der PKW-Maut zu lösen. Hingegen lehnte er es auch auf mehrfache Nachfrage von Ausschussmitgliedern ab, das Risiko eines negativen Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Prozent zu beziffern.
„Ich hätte es abgelehnt, eine konkrete Risikobewertung vorzunehmen“, sagte auch Thomas Henze, der bis Mai 2019 in Sachen PKW-Maut als Prozessvertreter vor dem EuGH fungierte. Er war damals im Referat „Vertretung der Bundesrepublik Deutschland vor den europäischen Gerichten“ des Bundeswirtschaftsministeriums tätig. Grundsätzlich sei nie klar vorhersehbar, welche Argumente sich beim EuGH durchsetzten, sagte der Zeuge. Außerdem sei es seine Aufgabe als Prozessvertreter gewesen, die besten Argumente für die Verteidigung zu finden und nicht das Risiko zu bewerten.
Thematisiert wurde in der Befragung auch die Rolle von Prof. Dr. Christian Hillgruber, Lehrstuhlinhaber am Institut für Kirchenrecht der Universität Bonn. Er vertrat die Bundesregierung bereits während des (2017 eingestellten) Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kommission und dann auch bei der Klage Österreichs gegen die PKW-Maut. Er habe den Vertrag mit Hillgruber „unter besonderer Berücksichtigung seiner Vorbefassung“ mit dem Thema geschlossen, sagte Henze. Außerdem habe das Bundesverkehrsministerium erklärt, Hillgruber habe die Bundesrepublik in Sachen Maut bisher gut vertreten. Es sei aber kein Druck ausgeübt worden, Hillgruber beizuziehen, betonte der Zeuge. Dieser sei im Übrigen nicht nur Kirchenrechtler, sondern auch ein „ausgewiesener Staatsrechtler“.