Sorge um Rechtsstaatlichkeit in Ungarn
Berlin: (hib/SAS) Mit Sorge beobachtet die Bundesregierung die jüngsten Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit in Ungarn. Die im Kampf gegen die Corona-Pandemie vom Parlament gebilligten Notstandsgesetze, welche vor allem das Regieren per Dekret ohne zeitliche Befristung erlauben und Strafen für das Verbreiten falscher oder die Wahrheit verzerrender Nachrichten vorsehen, stelle eine weitere Beschneidung von Rechtsstaat und Demokratie dar, sagte eine Vertreterin der Bundesregierung am Mittwochnachmittag im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Wie „groß das Problem“ sei, zeige auch die einhellig kritische Bewertung „aller EU-Institutionen sowie des Europarates“ zu den Notstandsgesetzen, so die Regierungsvertreterin. Nicht minder kritisch zu sehen sei auch, dass die von Präsident Viktor Orbán geführte Regierung im Zuge der jüngsten Haushaltsumgestaltung den Parteien die Hälfte der staatlichen Förderung entzogen habe. „Die Halbierung der Parteienfinanzierung in einem Land, in der die Opposition so unter Druck steht wie in Ungarn, ist ein weiterer Punkt, den wir mit Sorge betrachten“, betonte die Vertreterin des Auswärtigen Amtes.
Ähnlich unter Druck seien auch die Medien in Ungarn: Die Eigentumskonzentration nehme zu, inzwischen stünden „480 unterschiedliche Medien“ unter der Kontrolle der 2018 geschaffenen, regierungsnahen Stiftung KESMA. Unabhängige Medien würden immer mehr „ins Internet gedrängt“, sagte die Regierungsvertreterin. Die Berichterstattung sei stark polarisiert, regierungs- und oppositionsnahe Medien beschuldigten sich gegenseitig der „tendenziösen Berichterstattung“. Laut der Nichtregierungsorganisation Freedom House seien ungarische Medien so nur noch „teilweise frei“. „Dies ist ein sehr hartes Urteil für eine Demokratie“, konstatierte die Vertreterin des Auswärtigen Amtes. International „große Verwunderung“ habe vor wenigen Tagen auch die Einbestellung der in Budapest stationierten Botschafter Schwedens, Norwegens, Dänemarks und Islands hervorgerufen. Der ungarische Außenminister habe ihnen ihre Kritik an den Notstandsgesetzen vorgehalten.
Zunehmend eingeschränkt würden auch die Minderheitenrechte: Sehr beunruhigt sei die Bundesregierung aktuell über ein geplantes Gesetz, das es Transgender-Personen in Ungarn künftig unmöglich machen werde, das biologische Geschlecht oder den Vornamen offiziell ändern zu lassen, so die Regierungsvertreterin. Alle Rechtsdokumente würden dann nur noch den Namen und das Geschlecht „bei Geburt“ ausweisen. Dies setze Transgender-Personen einer potenziellen Diskriminierung aus und widerspreche europäischen Menschenrechtsstandards, dies habe die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung gerade erst öffentlich kritisiert.
Trotz allem halte die Bundesregierung weiterhin „alle Gesprächskanäle offen“. Das sei gerade in der aktuellen Situation wichtiger denn je, betonte die Vertreterin des Auswärtigen Amtes. Dieser „duale Ansatz“ umfasse bewusst Kontakte zur ungarischen Regierung sowie zur Zivilgesellschaft. Als Beispiel für letzteres nannte die Regierungsvertreterin die Fortsetzung des neu konzeptionierten „Deutsch-Ungarischen Forums“, das den Dialog zwischen jungen Menschen fördern soll.
In der anschließenden Diskussion äußerten Vertreter nahezu aller Fraktionen ihre Besorgnis über die Situation in Ungarn. Während die Union die erheblichen Einschränkungen der Justiz monierte, thematisierten SPD und Die Linke die Diskriminierung von Minderheiten wie den Roma. Mehrheitlich forderten die Abgeordneten stärkere Konsequenzen - gerade seitens der Europäischen Union. Es sei EU-Beitrittskandidaten nicht zu vermitteln, kritisierten etwa Bündnis 90/Die Grünen, weshalb bei ihnen „strenge Maßstäbe“ in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit angelegt würden, während EU-Mitglieder gegen solche Werte verstoßen dürften. Für den „Zusammenhalt und das Ansehen der EU“ sei dies verheerend. Die Fraktion plädierte deshalb, ebenso wie Die Linke, für eine stärkere Verknüpfung von EU-Zuwendungen an die Bewahrung von EU-Werten.