Corona und Nachhaltigkeit
Berlin: (hib/LL) Zwischen der Existenzbedrohung vieler Unternehmen und schweren strukturellen Verwerfungen einerseits und der Chance eines klimapolitisch nachhaltigen Umbaus der Wirtschaft andererseits: In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Politik, wenn sie versucht, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie mit Konjunkturpaketen abzufedern, die die globalen Klimaziele im Blick behalten wollen.
Über die Chancen und Risiken beim „Re-Start“ der deutschen Wirtschaft nach den Lockdown-Maßnahmen und den richtigen Einsatz der knapper werdenden finanziellen Ressourcen des Staates beim Wiederaufbau diskutierten am Mittwochabend Abgeordnete des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung mit den beiden Sachverständigen Karsten Löffler, Vorsitzender des Sustainability Finance-Beirats der Bundesregierung, und Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie.
Löffler betonte die einmalige Chance, die sich jetzt auftue, durch eine bewusste wirtschaftspolitische Steuerung vor allem bei den konjunkturellen Maßnahmen entlang der internationalen Klimaziele den Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig zu stärken. Der Umbau der Wirtschaft hin zu nachhaltigen Produktionsprozessen stehe heute mehr denn je auf der Agenda. Ein Weg, der im Übrigen von vielen Unternehmen längst beschritten sei, verfestige und verstetige sich da. Zahlreiche Investoren arbeiteten zudem daran, ihre Portfolios zu „de-carbonisieren“. Das Ziel der Europäischen Union, bis zum Jahr 2050 „klimaneutral“ zu sein und die Selbstverpflichtung vieler Unternehmen gingen Hand in Hand. Die nachhaltige Ausrichtung der eigenen Geschäftsmodelle geschehe nicht zuletzt aus wohlverstandenem unternehmerischem Eigeninteresse. Und volkswirtschaftlich betrachtet trage jeder einzelne solche Modernisierungsschritt langfristig zur Sicherung von Wachstum und Beschäftigung und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft bei.
Löffler hob China als sehr lernfähige Volkswirtschaft hervor, die sich gezielt neue Technologien, beispielsweise im Bereich der Windenergie, aneigne. Während in Deutschland leider gerade der Ausbau der Windkraft ins Stocken gerate.
Der Einsatz der knapper werdenden Steuermittel für konjunkturelle Stimulus-Maßnahmen müsse nach strengen Kriterien erfolgen, die die Wirksamkeit des eingesetzten Geldes in den Mittelpunkt stellten und nachweisbar machten. Die Förderung müsse entlang verbindlicher und nachvollziehbarer Kriterien erfolgen. Vier Punkte seien wichtig: Es müsse immer und überall klar sein, was mit den Steuern passiere. Es sei zwischen großen und kleinen Unternehmen zu unterscheiden. Nicht alle könnten in derselben Zeit gleich viel leisten, daher müssten die Auflagen verhältnismäßig sein. Geförderte Unternehmen müssten sich aber auf die Klimaziele im Jahr 2050 verpflichten. Und sie müssten eine Strategie vorlegen, wie sie dazu ihr Geschäftsmodell in den kommenden Jahren umbauen wollen.
Löffler sah auch den Zielkonflikt zwischen einem nachhaltigen strukturellen Umbau der Volkswirtschaft und der kurzfristigen Arbeitsplatzsicherung in möglicherweise untergehenden Branchen. Mittel- und langfristig gelte es aber, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu sichern und dieses Ziel höher zu gewichten als kurzfristige Maßnahmen.
„Wenn wir das nicht tun, riskieren wir international überholt zu werden.“ Man setze sich dann auch noch aus der Perspektive der Generationengerechtigkeit dem Vorwurf aus, die Mittel nicht adäquat eingesetzt zu haben. Höhere Schulden, die nun unumgänglich seien, belasteten die kommenden Generationen doppelt. Wenn man das nun aufgrund früherer Versäumnisse tun müsse, dann solle man den Kindern wenigstens eine lebenswerte Welt hinterlassen.
Holger Lösch hoffte, dass mit den „billionenschweren Hilfsprogrammen“ nun das Schlimmste verhindert werden könne. Keinesfalls wolle man die nötigen Recovery-Maßnahmen mit dem Thema Nachhaltigkeit in Gegensatz bringen.
Die Chancen technologischer Innovationen seien den Unternehmen klarer als irgendwem sonst. Aber momentan befänden sich zahlreiche Firmen schlicht in einem Überlebenskampf. Als Verband spreche der BDI für alle seine Mitglieder. Viele erwarteten dieses Jahr beträchtliche Umsatzeinbußen und, am Ende des Jahres mit kleineren Belegschaften anzutreten.
Angesichts sich abzeichnender drastischer Einsparungen seitens der Verbraucher, aber auch der Finanzminister, ließen die internationalen klimapolitischen Ambitionen bereits jetzt deutlich nach. Lösch mahnte, immer auch das internationale wirtschaftliche Umfeld im Auge zu behalten, um sich nicht in einen Wettbewerbsnachteil zu manövrieren.
Dennoch eröffne sich durch Corona auch eine Chance für die Modernisierung der Wirtschaft. Seitens der Politik erwarte er steuerliche Entlastungen der Unternehmen und gezielte Investitionen. Es gelt jetzt flexibel und realistisch zwischen dem bisherigen Pfad des Wirtschaftens und neuen Technologien und Regelungen, die aber teilweise noch nicht marktreif seien, einen gangbaren Weg zu finden und die raren finanziellen Mittel effizient einzusetzen. Dabei müssten Staat und Wirtschaft ab sofort auch daran arbeiten, sich für kommende Krisen besser aufzustellen.
Zu den prädestinierten Feldern für Investitionen zählten die Gebäudesanierung und Energieeffizienz. Da könne man mit großzügigen Abschreibungsregeln viel erreichen, so Lösch. Der gesamte Bereich der Infrastrukturen gehöre zu den Bereichen, in denen der Staat jetzt verstärkt investieren müsse. Und schließlich seien die erneuerbaren Energien das Feld, auf dem sich sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie als auch die Fähigkeit Deutschlands erweisen müsse, die angestrebte Energiewende hinzubekommen. Er nannte eine CO2-arme Mobilität und eine wasserstoffbasierte Wirtschaft als Voraussetzung, ohne die die Energiewende nicht zu schaffen sei.
Insgesamt sei aber zwischen den Klimazielen und der Last, die die Unternahmen tragen könnten, abzuwägen. Viele Firmen sähen keine Möglichkeit, die geplanten Auflagen im Zusammenhang mit staatlichen Hilfen zu erfüllen. Bereits der bürokratische Aufwand, um an eine Förderung zu gelangen, sei für die Unternehmen ein Horror. Viele würden sich dann dafür entscheiden, lieber kein Geld vom Staat zu nehmen.
Neben den steuerlichen Entlastungen forderte Lösch eine drastische Senkung der Stromkosten. Er mahnte außerdem an, den Klimaschutz nicht allein von der Industrie zu verlangen. Die öffentliche Hand sei für ein Erreichen der Klimaziele und ein Gelingen der Energiewende in erheblichem Maß mitverantwortlich. Da türmten sich noch große Aufgaben auf, etwa bei der Sanierung der Gebäudeinfrastruktur.