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27.10.2020 Europa — Anhörung — hib 1160/2020

Positives Echo für Eigenmittelbeschluss der EU-Kommission

Berlin: (hib/JOH) Die Pläne von EU-Kommission und Europäischem Rat zur Reform des Eigenmittelsystems der Europäischen Union sind am Montag in einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses auf ein überwiegend positives Echo gestoßen. In der zweistündigen Sitzung unter Leitung von Gunther Krichbaum (CDU) begrüßten mehrere Sachverständige die zeitlich begrenzte Erhöhung der nationalen Beiträge zum EU-Haushalt sowie die Aufnahme von Krediten zur Finanzierung des 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ (NGEU), um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Überwiegend Einigkeit bestand zudem in der Frage, dass für die notwendige Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses durch den Bundestag eine einfache Mehrheit ausreichend ist.

Unter anderem wertete der stellvertretende Direktor des Jacques Delors Centre an der Berliner Hertie School, Lucas Guttenberg, den im Juli vom Europäischen Rat bestätigten Eigenmittelbeschluss als „enorm wichtigen Schritt für Europa“, der zu einer besseren wirtschaftlichen Erholung in den von der Pandemie besonders betroffenen Mitgliedstaaten führen werde. Eine schnelle Ratifizierung sei daher geboten. Da aus dem Beschluss allerdings finanzpolitisch keine neue permanente Handlungsfähigkeit erwachse, bleibe ein zentrales Problem der Wirtschafts- und Währungsunion weiter ungelöst: „Das Fehlen eines haushaltspolitischen Gegenstücks zur gemeinsamen Geldpolitik“.

Nach Ansicht von Professor Ulrich Hufeld von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg leistet das NGEU-Programm einen „außerordentlichen Beitrag“ zur Erholung der Union nach der Covid-19-Pandemie. Konzipiert sei es konsequent als Sonderrecht. Weder gäben die Mitgliedstaaten ihre Hoheit über die Finanzverfassung der Union preis, noch bahne der NGEU einer Fiskalunion den Weg, betonte er.

Laut Professor Claus-Dieter Classen von der Universität Greifswald bestehen auch keine unionsrechtlichen Bedenken gegen das Instrument. Artikel 311 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) sehe ausdrücklich die Schaffung neuer Kategorien in einem Eigenmittelbeschluss der EU vor. Auch stelle die Aufnahme von Krediten ein übliches Instrument zur Finanzierung eines öffentlichen Haushalts dar, zumal der Rückgriff auf die Kapitalmärkte nur in klar definiertem Rahmen gestattet werde.

Einen Bundestagsbeschluss mit Zwei-Drittel-Mehrheit hielten die meisten Sachverständigen nicht für notwendig. Der innerstaatliche Verfassungsraum werde vom vorliegenden Eigenmittelbeschluss nicht berührt, sagte Classen. Professor Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld ergänzte, beim NGEU handle es sich um ein inhaltlich wie zeitlich begrenztes Aufbauprogramm mit strikter Zweckbindung. Auf Grundlage der Solidaritäts- und Beistandsregeln des Artikels 122 AEUV solle es die verheerenden wirtschaftlichen Nebenfolgen einer globalen Pandemie in der Europäischen Union abmildern helfen.

Auch Professor Martin Nettesheim von der Juristischen Fakultät Universität Tübingen urteilte, die bestehenden Beteiligungsrechte des Parlamentes reichten aus. Jedoch sei eine politische Entwicklung absehbar, in deren Verlauf es zu einer verstärkten EU-Ausgabenfinanzierung durch Verschuldung kommen könnte. Mit Blick auf dieses „bisher hypothetische Szenario“ könnte der Bundestag darüber nachdenken, diesbezügliche Mitsprachemöglichkeiten im Begleitgesetz zu verankern. Eine verfassungsrechtliche Pflicht dazu bestehe jedoch nicht.

Susanne Wixforth vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) bezeichnete den NGEU als „ein Meisterstück“, das notwendig geworden sei, „weil die Wirtschafts- und Währungsunion nach wie vor unvollendet ist“. Für einen qualifizierten Mehrheitsbeschluss des Bundestages spricht aus ihrer Sicht, dass es bei dem Eigenmittelbeschluss „im weitesten Sinne“ um eine Kompetenzfrage gehe. „Kompetenzfragen sind auch Demokratiefragen“, erläuterte Wixforth. Einfache Mehrheiten seien zudem leichter anfechtbar.

Professor Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sagte, es sei ökonomisch sehr zu begrüßen, dass die EU mit dem NGEU ihre fiskalische Handlungsfähigkeit unter Beweis stelle. Er verwies jedoch auf die geplante Erhöhung der EU-Eigenmittelobergrenze um eine zweckgebundene Marge von 0,6 Prozentpunkten des Bruttonationaleinkommens bis zum Jahr 2058. Diese „massive Überdeckung“ übersteige die tatsächlichen Finanzierungserfordernisse in erheblichem Umfang, urteilte er. Das biete Anreize zur Tilgungsverzögerung und berge hohe Risiken für den Bundeshaushalt. Heinemann empfahl dem Bundestag, auf eine Korrektur des vorliegenden Eigenmittelentwurfs hinzuwirken. Die zusätzliche Eigenmittelmarge sollte für die gesamte Laufzeit abgesenkt und eine jährliche Mindesttilgung der NGEU-Schulden präzise vorgegeben werden.

Professor Dirk Meyer, ebenfalls von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg, warnte vor einer zukünftigen Kreditkompetenz als Regelfall und einer unwirtschaftlichen Mittelverwendung. Die „Fiskalunion mit Transfercharakter“ erscheine als Zielpunkt. Als Alternativen zu einem kreditfinanzierten NGEU schlug er eine einmalige Vermögensabgabe auf nationaler Basis, Hilfen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie eine Kreditbesicherung mit staatlichem Sondervermögen vor.

Andreas Schwarz von der EU-Kommission wies Meyers Einschätzungen zurück. Der neue Eigenmittelbeschluss sei „temporär und zweckgebunden“ und bedeute keinen Einstieg in eine schuldenfinanzierte Transferunion. Die Erhöhung der Eigenmittelobergrenze um 0,6 Prozentpunkte sei notwendig, damit die EU weiterhin den Bonitätsstatus „Triple-A“ am Kapitalmarkt erhalte. Schwarz äußerte die Hoffnung auf eine baldige Einigung mit dem Europäischen Parlament und bat den Bundestag, den Eigenmittelbeschluss daraufhin zügig zu ratifizieren. Vorher könne das Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ nicht starten.

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