Kontroverse um „ergänzende Vorbereitungshaft“
Berlin: (hib/STO) Der Entwurf der Bundesregierung „zur Verschiebung des Zensus in das Jahr 2022 und zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes“ (19/22848) stößt bei Sachverständigen auf ein gemischtes Echo. Dies wurde am Montag bei einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat deutlich.
Dem Gesetzentwurf zufolge soll der bislang für das kommende Jahr geplante Zensus auf das Folgejahr verschoben werden. Wie die Bundesregierung darin darlegt, haben sich mit der Corona-Krise auch bei der Aufgabenerfüllung der Verwaltung erhebliche Einschränkungen ergeben. „Eine planmäßige Durchführung des Zensus im Mai 2021 kann daher nicht mehr sichergestellt werden“, schreibt die Bundesregierung weiter. Daher soll der Stichtag des Zensus um ein Jahr verschoben und die erforderlichen Datenlieferungen an den neuen Zensusstichtag angepasst werden.
Zudem soll mit dem Gesetzentwurf ein neuer Hafttatbestand zur Vorbereitung einer Abschiebungsandrohung für Personen geschaffen werden, „die sich entgegen einem bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbot und ohne Betretenserlaubnis im Bundesgebiet aufhalten und von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht oder die aufgrund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses“ ausgewiesen worden sind.
Ziel ist laut Vorlage die Schließung einer Regelungslücke. Die Anordnung der Sicherungshaft setze voraus, dass der Ausländer zum Zeitpunkt der Haftanordnung vollziehbar ausreisepflichtig ist. Stelle er „vor Haftanordnung einen Asylantrag, ist die Anordnung von Sicherungshaft nicht möglich, da der Asylantrag den Aufenthalt des Ausländers zum Zwecke der Durchführung des Asylverfahrens erlaubt und damit keine vollziehbare Ausreisepflicht besteht“. Diese Regelungslücke solle mit der neuen Vorschrift beseitigt werden, indem eine „ergänzende Vorbereitungshaft“ in bestimmten Fällen geschaffen wird.
In der Anhörung verwies der Rechtswissenschaftler Professor Kay Hailbronner darauf, dass mit der ergänzenden Vorbereitungshaft ermöglicht werden soll, auch einen Asylantragsteller in Haft zu nehmen, der bereits im Besitz einer Aufenthaltsgestattung ist. Damit solle eine rasche Ablehnung eines aus sachfremden Motiven gestellten Antrags ermöglicht werden. Dabei sei die Vorbereitungshaft nur zulässig, wenn von dem Ausländer erhebliche Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehen. Seines Erachtens würde jedoch der Gesichtspunkt der Durchsetzung der Ausreisepflicht illegal aufhältiger Ausländer auch eine über die vorgeschlagene Reglung hinausgehende Anordnung von Sicherungshaft erlauben, „wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Asylantrag aus sachfremden Motiven gestellt wird, um das Einreise- und Aufenthaltsverbot zu unterlaufen und sich einer Ausreisepflicht nach Ablehnung des Asylantrags zu entziehen“.
Professor Marcel Kau von der Universität Konstanz sagte, es seien „keine verfassungsrechtlichen oder unionsrechtlichen Aspekte zu sehen, die gegen die getroffenen Regelungen sprechen“. Da die Regelungen „sehr spezifisch und einzelfallorientiert ausgefallen“ seien, sei davon auszugehen, dass sie in ihrer Anwendung „auf eine sehr begrenzte Anzahl von speziellen Fällen begrenzt sein werden“.
Der Berliner Rechtsanwalt Christoph Tometten sagte, für die Terrorismus-Abwehr bedürfe es der ergänzenden Vorbereitungshaft nicht. Bereits jetzt könnten zur Abwehr einer terroristischen Gefahr Abschiebungsanordnungen erlassen werden, wobei bereits vor Erlass einer solchen Anordnung eine Vorbereitungshaft in Betracht komme. Eine weitere Haftregelung sei daher im Bereich der Terrorismus-Abwehr überflüssig.
Philipp Wittmann, Richter am Verwaltungsgericht Karlsruhe, hob hervor, dass die EU-Aufnahmerichtlinie „eine Art Präventivhaft für Gefährder“ vorsehe. Eine solche Präventivhaft über längere Zeiträume entspreche jedoch nicht deutscher Rechtstradition und sei für Gefährder mit deutscher Staatsangehörigkeit nicht vorgesehen. Nach seinen Worten sollte der Bundesgesetzgeber sicherstellen, dass eine Inhaftnahme nur dann erfolgt, wenn sie auch ohne Asylantragstellung möglich gewesen wäre und ein „zeitnahes negatives Ende des Asylverfahrens absehbar ist“.
Der stellvertretende Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland, Stefan Keßler, kritisierte, dass die Einstufung als gefährliche Person zur ergänzenden Vorbereitungshaft führen solle, aber eine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit nirgendwo klar definiert“ werde. Auch könne „in der Haft kein sachgerechtes Asylverfahren durchgeführt werden“. Keßler monierte zugleich, die Zensusverschiebung und der ergänzenden Vorbereitungshaft hätten nichts miteinander zu tun. Die Vermischung beider Punkte sei problematisch, weil die Zensusverschiebung anders als die Regelungen zur Vorbereitungshaft eilbedürftig sein möge.
Zur Verschiebung des Zensus 2021 äußerte sich der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Georg Thiel. Er verwies unter anderem darauf, dass viele statistische Ämter Personal beispielsweise zur Unterstützung der Gesundheitsämter abgezogen hätten. Auch sei es unter Pandemiebedingungen schwer möglich, von Haustür zur Haustür zu gehen, um die Angaben zu überprüfen oder zu vervollständigen. Daher sei die Verschiebung des Stichtages um ein Jahr zwingend, weil ansonsten die Qualitätsanforderungen für den Zensus nicht zu erfüllen wären.