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20.11.2020 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 1280/2020

Breitscheidplatz-Attentat kam nicht unerwartet

Berlin: (hib/WID) Der ehemalige Geheimdienstkoordinator des Kanzleramts, Klaus-Dieter Fritsche, hat bestätigt, dass deutsche Sicherheitsbehörden 2016 Kenntnis hatten von Aufrufen des sogenannten Islamischen Staates (IS), in Europa Anschläge auf „Feierlichkeiten zum Jahresende“ zu begehen. Dass Weihnachtsmärkte als „weiche Ziele“ in diesem Zusammenhang besonders gefährdet waren, sei den Zuständigen immer bewusst gewesen, sagte Fritsche am Donnerstag in seiner Vernehmung durch den 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“). Der heute 67-jährige Zeuge war von Januar 2014 bis Ende März 2018 im Kanzleramt als „Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes“ tätig. Zuvor war er unter anderem Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und Staatssekretär im Bundesinnenministerium gewesen.

Das Jahr 2016 stand nach Fritsches Worten in Zeichen der stetig wachsenden Bedrohung durch den radikalislamischen Terrorismus. Dabei sei es erstmals auch zu Attentaten auf deutsche Ziele gekommen. Fritsche erinnerte an den Anschlag auf eine deutsche Touristengruppe in Istanbul im Januar, die Messerattacke auf einen Bundespolizisten am Hauptbahnhof in Hannover, die Anschläge in Würzburg und Ansbach im Sommer. Insgesamt habe 2016 eine „hochgefährliche Lage“ geherrscht, „die alle Kräfte aller Sicherheitsbehörden in hohem Maße angespannt“ habe, sagte Fritsche.

Er habe damals im Kanzleramt neben der regelmäßig dienstags stattfindenden „nachrichtendienstlichen Lage“ mit den Präsidenten aller Sicherheitsbehörden des Bundes ein vierteljährliches Treffen auf Ebene der Referatsleiter eingeführt, um über die jeweils relevantesten Vorgänge auf dem Laufenden zu bleiben. Von Anis Amri, dem späteren Urheber des Attentats auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, oder einer seiner im Zuge der Ermittlungen namhaft gewordenen Kontaktpersonen sei bei solchen Anlässen damals allerdings nie die Rede gewesen.

Dafür sei immer wieder die besondere Gefährdung von Weihnachtsmärkten hervorgehoben worden. „Das hat man besprochen, es war immer Thema,“ sagte Fritsche. Dass ein Weihnachtsmarkt „durchaus Ziel eines Anschlages“ werden konnte, sei „immer ein latent vorhandenes Wissen“ gewesen. Dem Bundesnachrichtendienst (BND) sei selbstverständlich auch bekannt gewesen, dass das IS-Online-Magazin „Rumiyah“ in seiner Ausgabe vom 11. November 2016 dazu aufgerufen hatte, schwer beladene Fahrzeuge zu nutzen, um in Europa Anschläge auf große Menschenansammlungen zu verüben. Nach diesem Muster verfuhr Amri am Abend des 19. Dezember 2016.

Kritisch bewertete Fritsche das Verhalten des BND in der Causa Amri. So übermittelte im Februar 2016 das Bundeskriminalamt (BKA) dem Auslandsgeheimdienst zwei libysche Mobilfunknummern, die Amri angerufen hatte, mit der Bitte, die Inhaber festzustellen. Der BND habe daraufhin nur die eigene Datenbank abgefragt, ohne einen Treffer zu erzielen. Er habe darauf verzichtet, befreundete ausländische Dienste zu Rate zu ziehen. Nach dem Anschlag habe sich herausgestellt, dass die Amerikaner die Nummern kannten.

„Die Frage, warum die Nummern nicht an einen ausländischen Nachrichtendienst weitergeleitet wurden, ist auch von mir aufgeworfen worden“, berichtete der Zeuge. „Es wurde gesagt, dass es nicht geschehen ist. Ich habe gesagt, es wäre gut gewesen, wenn.“ Auch dass der BND im November 2016 keine andere Behörde informiert habe, als er Amris Mobiltelefon ortete, um sicher zu gehen, dass der Mann noch in Deutschland war, habe ihm missfallen, betonte Fritsche.

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