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10.12.2020 Recht und Verbraucherschutz — Anhörung — hib 1371/2020

Experten uneinig über Entkriminalisierung des Containerns

Berlin: (hib/MWO) Überwiegend auf Skepsis traf ein Antrag der Fraktion Die Linke, mit dem die Entkriminalisierung des sogenannten Containerns von Lebensmitteln erreicht werden soll, bei den Sachverständigen in einer vom stellvertretenden Vorsitzenden Heribert Hirte (CDU) geleiteten Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am Donnerstag. In dem Antrag (19/9345) heißt es, die Entnahme von genießbaren Lebensmitteln aus Supermarktmülltonnen, also das Containern, stelle derzeit eine Straftat dar. Diese Rechtspraxis sei skandalös.

Laut Antrag ist das Containern kein missbilligenswertes Verhalten, sondern stellt ein besonderes gesellschaftlich gewünschtes Verhalten dar, weil es Lebensmittelverschwendung reduziere. Der Bundestag solle die Bundesregierung daher auffordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Aneignung entsorgter Lebensmittelabfälle von der Strafverfolgung ausgenommen wird, beispielsweise indem solche Lebensmittelabfälle als herrenlose Sachen definiert werden.

Unterstützung für das Anliegen kam von Annika Dießner von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Die Professorin für Strafverfahrensrecht und Strafrecht erklärte, die im Antrag vorgeschlagene Entkriminalisierung sei sinnvoll. Eine strafrechtliche Verfolgung der Betroffenen wegen Diebstahls widerspreche dem Ultima-Ratio-Grundsatz. Zwar beseitige die beabsichtigte Entkriminalisierung nicht generell die strafrechtlichen Risiken, die mit dem Containern verbunden sein können. Sie trage allerdings der sich wandelnden Einstellung der Gesellschaft mit Blick auf die Verwendung und Verschwendung von Ressourcen Rechnung.

Der Leipziger Rechtsanwalt Max Malkus erklärte, die Aneignung entsorgter Lebensmittelabfälle von der Strafverfolgung auszunehmen, sei, soweit nicht Privathaushalte betroffen sind, geboten und möglich. Sie zu kriminalisieren sei falsch. In den meisten Fällen finde eine Strafverfolgung wegen Diebstahls ohnehin nicht statt, und in einigen Bundesländern werde das Containern praktisch nicht als Straftat verfolgt. Eine Einschränkung des Eigentumsrechts an weggeworfenen Lebensmitteln scheine auch mit Blick auf die Sozialbindung des Eigentums sachgerecht und mit Blick auf die angestrebte Reduzierung der Lebensmittelverschwendung und nicht zuletzt dem Rechtsempfinden der Bevölkerung beim Containern geboten.

Evelin Schulz, Geschäftsführerin der Tafel Deutschland, begrüßte die gesellschaftliche und politische Debatte zum Umgang mit überschüssigen Lebensmitteln. In einer repräsentativen Forsa-Umfrage vom September 2020 hätten sich 86 Prozent der Befragten gegen die Strafbarkeit des Containerns ausgesprochen, sagte Schulz. Menschen, die aus Bedürftigkeit auf diese Lebensmittel angewiesen sind oder aber aus Nachhaltigkeitsgründen die Lebensmittel retten wollen, würden auf diese Weise kriminalisiert. Die Abhängigkeiten der umwelt-, abfall-, lebensmittel- und steuerrechtlichen Vorschriften müssten von Politik und Gesetzgeber im Zusammenhang betrachtet werden. Für den Handel sollte es Erleichterungen für Abgaben an die Tafel geben.

Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D., erklärte in seiner Stellungnahme, er halte die im Entschließungsantrag vorgeschlagene gesetzliche Regelung für rechtlich und praktisch nicht sinnvoll. Eine Regelung, wonach genießbare, nicht verkaufsfähige Lebensmittel regelmäßig als herrenlose Sachen anzusehen sind, wäre in die bestehende (straf-)rechtliche Systematik nur sehr schwer, teilweise gar nicht einzupassen. Alternativen, die geeignet sind, den grundsätzlich begrüßenswerten Zweck einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion durch Verwertung genießbarer Lebensmittel zu fördern, stünden bereits heute zur Verfügung und sollten gefördert werden. Eine bloß symbolische Privilegierungsgesetzgebung sei in der Sache nicht nützlich.

Michael Kubiciel, Lehrstuhlinhaber an der Universität Augsburg, sieht weder verfassungsrechtlichen noch kriminalpolitischen Handlungsbedarf für den Gesetzentwurf. Das Bundesverfassungsgericht habe die geltende Rechtslage explizit als verfassungskonform bezeichnet. Zudem sei die Rechtsprechung in Strafsachen hinreichend differenziert und trage den unterschiedlichen Fällen von Aneignungen von Abfällen in angemessener Weise Rechnung. Die Aneignung von entsorgten Lebensmitteln sei schon jetzt oftmals straflos. Zudem existierten zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung deutlich effektivere Strategien als die Straffreistellung des Containerns.

Auch für Oberstaatsanwältin Nicole Luther von der Staatsanwaltschaft Tübingen ist eine Gesetzesänderung, die die Aneignung entsorgter Lebensmittelabfälle von der Strafverfolgung ausnimmt, nicht erforderlich. Das geltende Strafrecht und Strafprozessrecht hielten ausreichend Instrumente vor, um angemessen auf Taten wie das Containern von Lebensmitteln zu reagieren. Sie halte das Strafrecht nicht für das geeignete Mittel, um auf politische oder gesellschaftliche Missstände - wie hier die auf Verschwendung von Lebensmitteln - hinzuweisen, diese zu bekämpfen.

Anja Schiemann von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster,Leiterin Fachgebiet Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik, erklärte, eine Gesetzesänderung sei wenig zielführend, da beim Containern regelmäßig noch die Straftatbestände der Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruchs erfüllt sein würden. Daher sei es weitaus sinnvoller, im Rahmen der nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung Lebensmittelmärkte ab einer gewissen Größe zu verpflichten, unverkaufte aber für den menschlichen Verzehr geeignete Lebensmittel zu spenden. Unkomplizierter scheine es zu sein, dass Lebensmittelmärkte ihren noch genießbaren Abfall unverschlossen bereitstellen. Dies dürfe aber für die Marktbetreiber nicht zu Haftungs-, Bußgeld- oder Strafbarkeitsrisiken führen.

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