Amri kein Mitglied des Islamischen Staates (IS)
Berlin: (hib/WID) Der Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri war nach bisheriger Kenntnis deutscher Sicherheitsbehörden zu keinem Zeitpunkt Mitglied der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Dies erklärte Generalbundesanwalt Peter Frank am Donnerstag vor dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“). Amri habe zwar mit dem IS sympathisiert und auch persönliche Kontakte zu IS-Kämpfern unterhalten. Es gebe aber keinen Hinweis, dass er selber der Organisation formal angehört habe, sagte Frank.
Der Zeuge berief sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zum Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129b StGB, der eine originäre Ermittlungskompetenz des Generalbundesanwalts begründet. Demnach bedarf es eines Nachweises, dass ein Verdächtiger einer Organisation, deren Mitgliedschaft ihm zur Last gelegt werden soll, in irgendeiner Weise förmlich beigetreten ist, sich also „integriert“ in den „Personenverband“, um ihn „von innen heraus“ zu stärken. Dies sei im Falle Amris offenbar nicht geschehen.
Es habe somit für ihn vor dem Berliner Anschlag keine Handhabe gegeben, laufende Ermittlungen gegen Amri an sich zu ziehen, betonte Frank. Ungeachtet seines polizeibekannten Status als islamistischer Gefährder sei er auch nicht wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach Paragraf 89a StGB zu belangen gewesen, der ebenfalls in die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts gefallen wäre. Um einen solchen Vorwurf zu begründen, hätte festgestellt werden müssen, dass ein Verdächtiger im Besitz der Mittel sei, die ihn zur Ausführung der Tat befähigt hätten.
Amri habe sich nach Erkenntnissen eines V-Mannes seit Ende 2015 zwar wiederholt gebrüstet, er sei jederzeit in der Lage, in Frankreich oder Italien Kalaschnikows zu beschaffen. Er habe aber nie konkrete Anstalten dazu gemacht. Der Kontakt zu Mitgliedern einer ausländischen Terrororganisation allein sei nicht strafbar, betonte Frank. Die Sympathiewerbung für eine terroristische Vereinigung habe der Gesetzgeber 2002 aus dem Strafrecht gestrichen.
Wie bereits andere Zeugen aus den Sicherheitbehörden vor ihm, bestritt auch Frank energisch, dass die Ermittler nach dem Attentat auf die Vermutung festgelegt gewesen seien, Amri habe die Tat allein begangen. „Weder ich noch meine Behörde haben eine Einzeltäterthese vertreten“, betonte er. Vielmehr habe er bereits am 23. Dezember 2016 vier Tage nach dem Anschlag ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe gegen den tunesischen IS-Kämpfer Mouadh Tounsi eröffnet, mit dem Amri während der Tatbegehung in Kontakt stand
Ein gleichartiges weiteres Verfahren sei am 29. Dezember gegen Amris Vertrauten Bilel ben Ammar eröffnet, wegen mangelnden Tatverdachts später aber wieder eingestellt worden: „Beides widerlegt, dass wir auf eine Einzeltäterthese festgelegt waren.“
Er selbst habe am frühen Abend des 20. Dezember, gut 21 Stunden nach der Tat, von der Identifizierung Amris als Täter erfahren, zunächst noch unter dem Pseudonym Ahmed al Masri, sagte Frank. In seiner Behörde sei der tatsächliche Name allerdings zu diesem Zeitpunkt schon bekannt gewesen. In der Nacht habe ihm seine damalige Pressesprecherin über Anrufe von Journalisten berichtet, die den Klarnamen Amri ebenfalls bereits gekannt hätten. Die Ermittlungen unmittelbar nach dem Anschlag hätten seiner Behörde ein Höchstmaß an Anstrengung abgefordert. Das Lagezentrum sei an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr besetzt, Arbeitsschichten von zwölf bis 14 Stunden über Weihnachten und Neujahr seien die Regel gewesen: „Die Kollegen haben dabei wirklich, richtig gebrannt in diesem Ermittlungsverfahren, um voranzukommen.“