CDU-Agrarexperte Alois Gerig sieht Lebensmittel in Deutschland „gut und sicher“ und nimmt Landwirte gegen „Kampagnen“ in Schutz / Interview mit „Das Parlament“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 13. November 2017)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Die Kontroversen in der gesellschaftlichen Debatte über die Landwirtschaft hält der CDU-Agrarexperte Alois Gerig für „konstruiert“: „Unsere Lebensmittel sind sowohl bezahlbar als auch hochwertig, konventionelle und ökologische Landwirtschaft haben gleichermaßen ihre Berechtigung“. Das sagte der Baden-Württemberger, Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft in der vergangenen Legislaturperiode, in einem Interview mit der Berliner Wochenzeitung „Das Parlament“ (Ausgabe 13. November). Gerig, der bei der Bundestagswahl im September sein Direktmandat wiedergewann, bedauerte, dass „angesichts voller Regale“ kritische Kampagnen gegen die Landwirtschaft „leider auf fruchtbaren Boden“ fielen. Dabei seien die Lebensmittel „noch nie so gut und sicher wie heute“ gewesen.
Er gestand ein, dass die Marktentwicklung die Landwirte „jahrzehntelang“ dazu veranlasst habe, immer stärker zu rationalisieren. Heute seien sie „bereit, neue Wege zu gehen – beispielsweise auf ökologischen Landbau umzustellen oder in mehr Tierwohl zu investieren“. Den „nötigen Spielraum“ dafür erhielten sie, „wenn der Handel mitzieht und der Verbraucher bereit ist, für manche Produkte etwas tiefer in die Tasche zu greifen“.
In der aktuellen Diskussion um das das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat rief Alois Gerig dazu auf, die Zulassungsentscheidungen „nicht nach Stimmungslage“, sondern „auf wissenschaftlicher Grundlage“ zu treffen: „Da zuverlässige wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Glyphosat bei bestimmungsgemäßer Anwendung nicht schädlich ist, warne ich davor, diesem Wirkstoff die Zulassung zu entziehen.“ Dies lege auch die ökologische Sicht nahe. Landwirte müssten sonst „wieder viel häufiger den Pflug einsetzen“. Diese fördere die Bodenerosion und erhöhe den Kraftstoffverbrauch.
Das Interview im Wortlaut:
Gegensätze kennzeichnen den Blick auf die Landwirtschaft: ökologisch gegen konventionell, billige und trotzdem hochwertige Produkte, bäuerliche gegen industrielle Landwirtschaft. Was sollte die Politik tun?
Sie kann und muss aufklärend und ausgleichend wirken. Meines Erachtens werden die Gegensätze in der gesellschaftlichen Debatte konstruiert – unsere Lebensmittel sind sowohl bezahlbar als auch hochwertig, konventionelle und ökologische Landwirtschaft haben gleichermaßen ihre Berechtigung. Angesichts voller Regale fallen kritische Kampagnen gegen die Landwirtschaft leider auf fruchtbaren Boden. Und das, obwohl Lebensmittel noch nie so gut und so sicher waren wie heute. Hinzu kommt, dass bei nicht wenigen Verbrauchern die Wertschätzung für Lebensmittel verloren gegangen ist, weil sie in Deutschland meistens sehr günstig sind. Gerade mal zehn Prozent seines Einkommens gibt der Deutsche im Durchschnitt für Lebensmittel aus.
Liegt das auch am Überangebot?
Das ist nicht zu leugnen. Ein weiterer Grund für die niedrigen Preise ist, dass sich die vier großen Player im Lebensmitteleinzelhandel einen harten Preiskampf liefern und Landwirte mit geringen Erzeugerpreisen knebeln. Für Verbraucher mit geringem Einkommen ist es positiv, dass Lebensmittel preiswert sind – das will ich klar betonen. Gleichwohl wünsche ich mir, dass Verbraucher auch auf Qualität und Herkunft achten und durch bewusstes Einkaufen dafür sorgen, dass die Lebensmittel in Deutschland noch umwelt- und tiergerechter produziert werden. Um dies zu erreichen, müssen Verbraucher bereit sein, ins richtige Regal zu greifen und unsere Lebensmittel mehr wertzuschätzen. Vor dem Hintergrund, dass nach wie vor zu viele Menschen auf der Welt Hunger leiden, haben wir allen Grund, dankbar für unsere Lebensmittel zu sein.
Bleiben wir beim Billig-Regal: Preisgünstige Produkte bei gleichwohl hohen Standards für Umweltschutz und Tierwohl – sind das nicht unüberbrückbare Gegensätze?
Ab einer gewissen Grenze ja. Jahrzehntelang hat die Marktentwicklung Landwirte dazu veranlasst, immer stärker zu rationalisieren, um die Stückkosten zu senken. Eine Folge waren immer größere Bestände in der Tierhaltung. Wenn es die Zukunftsperspektive ihres Betriebes verbessert, sind Landwirte heute bereit, neue Wege zu gehen – beispielsweise auf ökologischen Landbau umzustellen oder in mehr Tierwohl zu investieren. Wenn der Handel mitzieht und der Verbraucher bereit ist, für manche Produkte etwas tiefer in die Tasche zu greifen, erhalten Landwirte dafür den nötigen Spielraum.
Es gibt ein Ost-West-Ungleichgewicht in der Landwirtschaft zugunsten des Ostens mit seinen Großbetrieben: Führt dies nicht innerhalb des Berufsstandes und den bäuerlichen Interessenvertretungen zu Verwerfungen?
Nicht unbedingt zu Verwerfungen, aber immer wieder zu Diskussionen: Was kann man dafür tun, dass kleinere bäuerliche Familienbetriebe, wie sie in den alten Bundesländern zahlreich vorhanden sind, auch eine wirtschaftliche Perspektive haben? Unsere Kulturlandschaft, die in Jahrhunderten entstand und mit vielfältigen Feldern, Wiesen, Wäldern und Streuobstbeständen dem ländlichen Raum ein schönes Gesicht gibt, kann nur erhalten werden, wenn die Flurstücke nicht ins Unermessliche wachsen. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung wäre, dass Landwirte in strukturell benachteiligten Gebieten – zum Beispiel in Bergregionen – einen Ausgleich erhalten. Derartige Überlegungen sollten in die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union einfließen, die nach 2020 in Kraft treten soll.
Die Landwirtschaft hängt am Tropf der EU: Ist das auf ewig so festgeschrieben?
Nein – alle sieben Jahre wird die Agrarförderung in der EU neu verhandelt. Ich kenne viele Landwirte, die sagen, lasst doch die ganze Förderpolitik sein und gebt uns vernünftige Erzeugerpreise. So einfach geht’s leider nicht, denn die Erzeugerpreise werden auch durch die globalen Agrarmärkte beeinflusst. Zudem dient die Agrarförderung dazu, eine Balance unter den Landwirten in Europa herzustellen. Positiv für Mensch und Umwelt ist im Übrigen, dass mit der Förderung Auflagen für die Landwirtwirtschaft verbunden sind. Beispiel: Gegenwärtig müssen fünf Prozent der Agrarfläche aus der Produktion genommen und für den Naturschutz genutzt werden. Das ist ein wichtiger Beitrag, das Artensterben in den Griff zu bekommen. So wird ein Teil der Agrarflächen für Blumen und andere Pflanzen bereitgehalten, um den Insekten eine Zukunft bieten zu können.
Hört denn das Höfesterben irgendwann auf?
Ich bin nicht blauäugig – der Strukturwandel wird weitergehen. Aber ich bin überzeugt, dass er mit einer richtigen Politik abgebremst werden kann. Viele Betriebe werden aufgegeben, weil bei Renteneintritt des Landwirts kein Hofnachfolger bereitsteht. Junge Menschen wollen sich den Beruf des Landwirts häufig nicht antun – harte Arbeit an 365 Tagen im Jahr bei einer nicht gerade rosigen wirtschaftlichen Perspektive. Dazu kommen regelrechte Diffamierungskampagnen aus unterschiedlichen Richtungen. Landwirte müssen sich heutzutage beschimpfen lassen, sie würden ihre Tiere nicht ordentlich halten und die Umwelt vergiften. Wir müssen durch eine kluge Politik gegensteuern, indem wir Junglandwirte besonders fördern und die gesellschaftliche Akzeptanz für moderne Landwirtschaft verbessern. Dann werden wieder mehr Hoferben den elterlichen Betrieb weiterführen.
Der Unkrautvernichter Glyphosat ist ein aktuelles Reizthema.
Über Glyphosat wird sehr emotional gestritten – für viele ist dieser Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff zum Feindbild schlechthin geworden. Dies kommt meines Erachtens daher, dass in den USA beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel in großen Mengen zum Einsatz kommen. Wir haben aber glücklicherweise, auch durch richtige politische Weichenstellungen, in Deutschland keinen kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen.
Aber Glyphosat.
Ja, allerdings sind die Anwendungsvorschriften bei uns in den letzten Jahren deutlich restriktiver geworden. So gibt es das flächendeckende Abspritzen zur Ernteerleichterung schon lange nicht mehr. Ich gebe zu: Man kann noch besser werden – übrigens auch bei den Kommunen oder in privaten Gärten. Da zuverlässige wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Glyphosat bei bestimmungsgemäßer Anwendung nicht schädlich ist, warne ich davor, diesem Wirkstoff die Zulassung zu entziehen. Damit Zulassungsentscheidungen zuverlässig und glaubwürdig sind, müssen sie auf wissenschaftlicher Grundlage getroffen werden und nicht nach Stimmungslage. Zudem wäre ein Glyphosat-Verzicht aus ökologischer Sicht nicht unbedingt positiv, da die Landwirte wieder viel häufiger den Pflug einsetzen müssten. Dies fördert nicht nur die Bodenerosion, höherer Kraftstoffverbrauch ist auch dem Klimaschutz nicht dienlich.