Ex-Justizsenator Wieland fordert Platzbenennung
nach Benno Ohnesorg
Vorabmeldung zu einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 8. Januar 2018)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung-
50 Jahre nach dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration in West-Berlin von einem Polizisten erschossen wurde, fordert Berlins früherer Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne), einen Platz nach Ohnesorg zu benennen. „Das ist schon ein starkes Stück, dass es das noch nicht gibt“, sagte der Grünen-Politiker der Wochenzeitung „Das Parlament“. „Was alles fehlt“, sei ihm erst klar geworden, als er jetzt mit Ohnesorgs Sohn Kontakt gehabt habe: „Es gab nie eine Entschädigung für die Familie; es fehlt immer noch eine Entschuldigung des ganzen Senates“, auch wenn es jetzt eine Entschuldigung des heutigen Justizsenators gegeben habe. „Da ist noch eine Menge zu machen“, mahnte Wieland, der viele Jahre Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und anschließend des Bundestages war.
Zugleich zog er ein insgesamt positives Fazit der Protestbewegung von 1968, für die der Tod Ohnesorgs ein Schlüsselerlebnis war. Zwar habe ’68 „von den kurzfristigen Zielen kein einziges erreicht“, aber „langfristig die ganze Gesellschaft“ geändert. Geblieben sei ein „ganz anderes Selbstbewusstsein des Bürgers: dass er sich traut, viele Dinge in die eigene Hand zu nehmen“. In den Medien, den Schulen und Universitäten sei ein anderer Geist eingekehrt, mit zeitlicher Verzögerung auch in der Wirtschaft und bei Polizei und Justiz. „Erst ’68 endete der Obrigkeitsstaat“, resümierte Wieland.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Wieland, Benno Ohnesorgs Tod 1967 war für viele „68er“ ein Fanal. Sie waren bei der Demonstration gegen den Schah-Besuch – wie haben Sie das erlebt?
Ich habe das erste Mal solche Polizeigewalt erlebt, die völlig aus dem Ruder lief, gerichtet gegen friedliche Studenten. Wir standen gegenüber der Deutschen Oper in dem Kessel, den der Polizeipräsident dann zur Leberwurst erklärte, in die man hätte hineinstechen müssen. Ich flüchtete dann just in diesen Garagenhof, in dem Benno Ohnesorg später erschossen wurde. Sah noch rechtzeitig, dort gibt es keinen Ausgang, und erlebte daraufhin in der Krummen Straße den ersten Wasserwerfer-Einsatz meines Lebens. Und ich hörte auch Schüsse. Wir konnten uns von dem Geschehen kein Bild machen. Es wurde die Nachricht verbreitet, ein Polizist sei erstochen worden. Erst am nächsten Tag drang durch das Radio die Wahrheit durch, der Tod Benno Ohnesorgs. Das Gefühl bei allen war, das hättest auch du sein können.
50 Jahre später haben Sie eine Entschuldigung des Berliner Senats angemahnt. Kann die noch etwas heilen?
Erst als ich jetzt mit Benno Ohnesorgs Sohn Kontakt hatte, wurde mir klar, was alles fehlt. Seine Mutter war ja mit ihm schwanger, als der Vater erschossen wurde. Es gab nie eine Entschädigung für die Familie; es fehlt immer noch eine Entschuldigung des ganzen Senates – nur jetzt, immerhin, gab es die Entschuldigung des heutigen Justizsenators. Da ist noch eine Menge zu machen. Auch eine Platzbenennung nach Benno Ohnesorg muss erfolgen. Das ist schon ein starkes Stück, dass es das noch nicht gibt.
Nach Ohnesorgs Tod radikalisierten sich viele, manche bis zum Terrorismus. War das für Sie nachvollziehbar?
Das Ohnmachtsgefühl: ja. Ich selbst habe den Weg der Gewalt aus Verstandesgründen nie gewählt. Für mich war die Lehre: Man darf Menschen nicht so in die Enge treiben, dass sie denken, nur Gewalt ist der Ausweg. Es gab ja diese Verzweiflung, nun mit den Mitteln zurückschlagen zu müssen, die gegen uns angewendet wurden. Die Zahl derer, die den Weg in den Terror gingen, war zwar im Promillebereich, aber man muss ehrlicherweise auch sagen, dass schon die Demonstrationen ab 1968 nicht mehr friedlich waren, erstmals bei der „Schlacht am Tegeler Weg“ in Berlin gab es massenhaft Steinewerfer. Ein völliger Irrweg.
Jetzt hat die frühere RAF-Terroristin Silke Maier-Witt einen Sohn von Hanns-Martin Schleyer um Entschuldigung gebeten für die Ermordung des Vaters.
Das war längst überfällig. Und überfällig ist auch, dass diejenigen, die es wissen, schildern, wie das abgelaufen ist. Dass die Witwen und Kinder bis heute im Ungewissen sind, wer ihre Männer und Väter erschossen hat, ist nicht akzeptabel. Das ist für die Angehörigen nicht erträglich. Der Staat hat oft besonnen reagiert mit vorzeitigen Haftentlassungen und Begnadigungen, ohne dass diese Aufklärung des Geschehens zur Bedingung gemacht wurde. Hier besteht noch eine Bringschuld.
Andere ‘68er landeten in K-Gruppen, Sie etwa in der maoistischen KPD/AO. Winfried Kretschmann, heute Ministerpräsident, wertete das einmal im Rückblick als „Verirrungen“. Trifft es das?
Ja, trifft es. Bei mir war es der kommunistische Studentenverband. Dem lag ohne Frage eine völlig falsche Einschätzung der chinesischen Kulturrevolution zugrunde. Wir hielten sie für eine antiautoritäre Fortsetzung der Revolution in der Hoffnung, damit würden alle negativen Erstarrungen wie in Osteuropa beseitigt. Die Schikanen, die Gewalttaten bis hin zum Mord, auch die politische Instrumentalisierung, sah man nicht oder wollte sie nicht sehen. Erst als sich die Berichte über die „killing fields“ in Kambodscha bestätigten, führte das für mich und viele andere zu einem totalen Bruch. Seitdem bin ich, um wen es auch immer als „Menschheitsbefreier“ geht, absolut skeptisch. Ironisierend kann man sagen, der Maoismus hat mich wenigstens davor bewahrt, die DDR gut zu finden.
Sie haben dann 1978 die Grünen mitgegründet in Berlin, saßen lange Zeit im Landesparlament, dann im Bundestag. War das auch eine Konsequenz aus ’68?
Ich denke, ja. Themen wie die NS-Vergangenheit und der Umgang damit waren ein Kontinuum bei der Kritik der „etablierten Parteien“, wie wir sie nannten. Das wollten wir anders machen. Zwar war `68 noch keine ökologische Bewegung, aber die Bereitschaft, diese neuen Fragen aufzunehmen und so z.B. gegen den Atomstaat Front zu machen, fußt auf 68. Auch war klar, dass im Umgang miteinander dieses alte K-Gruppen-Sektierertum endgültig vorbei sein musste zu Gunsten einer neuen Offenheit. Das neue Politikmachen hatte oft auch experimentellen Charakter. Das hat in Berlin lange sehr gut geklappt; im Bund ist schnell diese Realo-Fundi-Spaltung aufgetreten. Dem liegt die uralte Frage zugrunde, wie realpolitisch, wie weit der Wirklichkeit stattgebend muss eine Partei sein und wie weit die Wirklichkeit verändernd soll sie sein. Wer weiß, welchen Kurs er fährt und welche Ziele er hat, kann auch Umwege und Tempoverzögerungen in Kauf nehmen. Verrat schreit eigentlich immer nur, wer seiner Sache nicht sicher ist und denkt, die Alternative sei 100 Prozent oder gar nichts.
Sie sagten, der Maoismus habe Ihnen geholfen, wenigstens die DDR nicht gut zu finden. Die Ereignisse im Ostblock 1968 hatten Sie davor nicht bewahrt?
Dagegen haben wir damals demonstriert mit dem SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Prag, der Prager Frühling, der sowjetische Einmarsch dort, das war ein ganz großes Thema für uns. Wir sind demonstrierend zu den Grenzübergängen gegangen, weiter kamen wir nicht. Und jedenfalls in Berlin war der Moskau-hörige Flügel des SDS verschwindend klein. Vorherrschend war der antiautoritäre Flügel mit vielen, die aus der DDR gerade abgehauen waren. Entsprechend scharf kritisierte man auch die Verhältnisse in der DDR.
Und später?
Später hat es sich geändert – also nicht bei mir, wir haben dann auch als AL die DDR-Opposition nach Kräften unterstützt. Aber in der alten Bundesrepublik wurden der MSB Spartakus und andere recht stark und haben versucht, an die Friedensbewegung anzudocken, zum Teil auch mit Erfolg. Es floss ja auch eine Menge Geld aus Ost- Berlin.
Als Fazit: Ganz wenige gingen in Richtung Terrorismus, einige in Richtung DKP oder K-Gruppen, ein bedeutender Teil auch zu den Jusos – und das Gros tat weder das eine, noch das andere. Das sind die vielen, die dann eben auf ihrem ganz normalen Lebensweg die Republik total geändert haben.
Wie das?
’68 ist ja nicht wegen der RAF oder den K-Gruppen immer ein Thema, sondern weil ’68 zwar von den kurzfristigen Zielen kein einziges erreicht hat, aber langfristig die ganze Gesellschaft änderte. Wir haben das ja auch immer als Vorwurf gehört; etwa, dass heute niemand mehr Respekt vor Lehrern, vor Polizisten habe, liege an ’68.
Was ist geblieben von ’68?
Ein ganz anderes Selbstbewusstsein des Bürgers: dass er sich traut, viele Dinge in die eigene Hand zu nehmen. Erst ’68 endete der Obrigkeitsstaat. In den Medien, den Schulen, den Universitäten kehrte ein anderer Geist ein, mit zeitlicher Verzögerung auch in der Wirtschaft und selbst bei Polizei und Justiz.
Heute ist auch die AfD im Bundestag – klar gegen das „‘68er Deutschland“ positioniert. Sehen Sie da ein „Roll back“?
Nein. Das ‘68er Deutschland ist heute so stark – da werden sie sich wundern, mit wem sie es da aufnehmen müssen.